Eine BiFi-Rolle auf die Schnelle bröselt mürbe und porös wie die Knochen eines hundertjährigen Osteoporotikers. Was zum Teufel ist das? Erst jetzt sehe ich das Klingelwort „Veggie“ auf der Verpackung – ich habe in eine Transwurst gebissen!
Ich bin spät dran. Das Frühstück muss also ausfallen. Der Hunger meldet sich leider schon am Ortsausgangsschild, kann jedoch mit dem Hinweis, irgendwo auf der Autobahn schnell gestillt zu werden, zum Verstummen gebracht werden. So vorzugehen, gebietet allein schon die Vernunft, denn nichts unterbricht ein Kundengespräch peinlicher als ein knurrender Magen, der deutlich hörbar ruft: „Geben Sie mir den Auftrag, ich habe Hunger und brauche das Geld!“ Die erste Autobahn-Raststelle wird also genutzt, um rasch und ohne viel Nachdenken ein paar typische Snacks einzukaufen. Alles zwar ess-, aber sicher kaum genießbar, funktional wie Schiffszwieback oder Einmannpackungen bei der Armee. Zweck schlägt Genuss und so eine in undefinierbaren Teig eingebackene Minisalami ist in zweiter Linie auch noch praktisch, weil man sich dank eines Teigmantels mit der Konsistenz von Fensterkitt die Finger nicht fettig macht und die Kalorienzufuhr nebenbei und während der Fahrt erledigt werden kann. Einfach aufreißen und reinbeißen.
Jeder weiß, wie langweilig die Dinger schmecken, aber schon beim ersten Bissen hatte diese BiFi-Rolle meine ganze Aufmerksamkeit. Die Teighülle hatte so gar nichts Zähes, sondern bot dem Biss überhaupt keinen Widerstand. Mürbe und porös wie die Knochen eines hundertjährigen Osteoporotikers bröselte es und gab den Weg frei auf das Röllchen im Inneren. Der Weg durch den Teig war zu kurz, um noch verdutzt innehalten zu können. Der Eindruck von Mürbheit verstärkte sich in der Mitte noch und der fleißige Archivar in meinem Kopf suchte im Textur-Archiv verzweifelt nach bekannten Dingen. Im Abschnitt „Lebensmittel“ wurde er nicht fündig, „Salami“ oder auch nur „salamiartig“ verwarf er sogleich. In was hatte ich da gerade gebissen? Mittlerweile kam auch der Geschmack beim Gedächtnisarchivar an, der jedoch nur mit aufgerissenen Augen und kopfschüttelnd die Schultern hochzog. „Keine Ahnung, was das sein soll! Ich tippe auf Kohlenanzünder oder Styropor.“ Fehlte nur noch der Augenschein und der ergab eine orange-rote, glanzlose Masse an der Stelle, wo eigentlich die Salami sein sollte.
Erst jetzt bemerkte ich das Klingelwort „Veggie“ auf der Verpackung. Ich hatte mich wohl in der Eile vergriffen. In dem Moment erinnerte ich mich an diesen grenzdebilen Werbespot auf YouTube, in dem sich ganz zeitgemäß nur Loser und Deppen in peinlichen Posen und Klamotten tummelten und das Ergebnis dem Betrachter als das „Neue Normal“ verkauft werden soll. Der Spot warb für eben jene neue „Veggie-Bifi“, von der ich jetzt eine Probe im Mund hatte, mit dem Spruch: „Wenn Weizen BiFi sein will, dann machen wir das möglich.“ Ich hatte soeben in eine Transwurst gebissen!
Der Weizen wollte es so, und da heute jeder alles sein oder wollen kann, ohne dass Kritik erlaubt ist, tut man dem verwirrten Weizen eben den Gefallen. Mein Problem war natürlich die Blindverkostung, so ganz ohne Kennenlernen, political correctness und Pronomen. Der gute Wille, den Weizen nicht zu verletzen und sein Salamistreben nicht durch zu hohe oder gar normative Ansprüche an Geschmack, Textur, Farbe oder Funktion zu stören, hatte sich vorab nicht einstellen können. Jeder brave Veggie-Bürger hätte doch anerkannt, dass auf der Verpackung „BiFi“ steht, eine Teighülle vorhanden ist und in der Mitte ein irgendwie roter, runder Zentimeter auf den geneigten Esser wartet. Das muss ja wohl reichen!
Doch auch für den ersten unfreiwilligen Eindruck gibt es keine zweite Chance und meine beleidigten Sinne urteilten in aller Härte: Alles Weizenartige hatte man diesem Weizen ausgetrieben und dennoch ist keine Salami aus ihm geworden. Nur eine politisch korrekte Zumutung. Außerdem habe ich einen Verdacht: der Weizen wollte gar nicht BiFi sein!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.