Von Bernd Fischer.
Die Festspielleitung scheint an ihrem Irrweg „Regietheater“ eisern festzuhalten, auch wenn das Echo mäßig ist. Gleichzeitig steigen die Kartenpreise ins Astronomische. Wie geht es weiter mit den Festspielen? Kann die Rettung mit Katharina Wagner noch gelingen?
Der problematische Absatz der Karten für den Ring weist auf ein grundlegendes Problem der Festspiele hin. Durch die Ausrichtung auf ein überdrehtes Regietheater hat man immer mehr das Stammpublikum vergrault, darunter viele Mitglieder in lokalen Wagnerverbänden oder in der Gesellschaft der Freunde Bayreuth, die ohne weiteres bereit und auch finanziell dazu in der Lage wären, selbst die nunmehr überteuerten Karten für den Ring zu erwerben (siehe unten), wenn er denn in einer ansprechenden Form dargeboten würde. Deren Fernbleiben macht sich in den letzten Jahren immer stärker bemerkbar. Kompensiert wird dies durch Besucher, die mehr an der „Event-Erfahrung“ interessiert sind und eben keine engere Bindung an das eigentliche Werk haben. Diese besuchen jedoch eher Einzelveranstaltungen. Nun ist man an dem Punkt angelangt, an dem man es eigentlich nicht mehr ignorieren könnte. Die Festspielleitung scheint aber an ihrem Irrweg „Regietheater“ eisern festzuhalten.
Das zweite grundlegende Problem der Festspiele besteht darin, dass sie seit dem Ende der Ära Wolfgang Wagners immer mehr zu einem „gewöhnlichen“ Festival wurden. Vor zwanzig Jahren hatte man als Wagner-Enthusiast noch das Gefühl, einer Pilgerfahrt beizuwohnen. Erhebend war der Gedanke, zum kleinen, erlauchten Kreis der Kartenbesitzer zu zählen. Der Kartenvergabeprozess war zwar reichlich intransparent, aber die Kartenpreise waren – etwa im Vergleich zu den Festivals in Salzburg und Glyndebourne – recht niedrig. Letzteres war sehr demokratisch gedacht, denn dadurch wurde es etwa auch einem musikbegeisterten Studienrat, der eine Familie zu versorgen hat, prinzipiell ermöglicht, die Festspiele zu besuchen. Sozial gedacht war auch, zwei Veranstaltungen zu vergünstigten Preisen ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder vorzusehen. Diese Tradition erwuchs aus der substanziellen finanziellen Unterstützung der Gewerkschaften, die sie im Vorfeld der Wiedereröffnung der Festspiele 1951 geleistet hatten.
In den Folgejahren nach dem Abgang Wolfgang Wagners wurden die Festspiele neu organisiert. Die Kartenvergabe wurde transparenter, aber das Preisniveau wurde nicht nur angehoben, sondern bis zum Äußersten ausgereizt. Die Anzahl der Plätze in günstigeren Kategorien wurde verringert, die Aufführung für die Gewerkschaftsmitglieder gestrichen. Selbst die Parkplätze waren auf einmal kostenpflichtig. Im Jahr 2007 musste man für eine erstklassige Karte des Parsifals 208 € (Reihe 1, Platz 8) zahlen, 2011 bereits 260 €, im Jahr 2023 kostete eine solche Karte dann 460 € (teuerste Kategorie)! Wie viele Mittelstandsfamilien können sich jetzt noch einen Besuch des gesamten Rings bei den Festspielen leisten? Kalkuliert man mit einem Kartenpreis von 1.200 € pro Person (für alle vier Teile), dann kommt man bei zwei Personen für eine Woche Bayreuth (oder Umgebung) inklusive Kost und Logis und Anreise mal locker auf 3.500 bis 4.000 €!
Die wirtschaftlichen Gründe dafür sind sicher nachvollziehbar, nur hat man auch durch diese Maßnahmen das Gefühl der „Gemeindezugehörigkeit“ schwer beschädigt. Viele überlegen sich heute genau, ob sie das Geld nicht eher für eine Aufführung des Rings in Berlin, München oder auch Düsseldorf aufwenden. Früher hätten das die meisten überhaupt nicht als vergleichbar angesehen.
Immer neue Hasen aus dem Hut gezaubert
Betrachtet man ihr Wirken bei den Festspielen vorurteilsfrei, dann muss man diese Frage wohl verneinen, denn dazu hat sie zum einen einfach zu wenig Erfolge vorzuweisen und zum anderen lässt sie nicht erkennen, dass sie die Gründe ihres Scheiterns begreift bzw. bereit ist, die notwendigen Maßnahmen für ein Gegensteuern zu veranlassen. Sollte man einen einzigen Begriff wählen, der ihre Leitungstätigkeit umschreibt, dann wäre es wohl erratisch. Von den Inszenierungen während ihrer Amtszeit können vielleicht vier oder fünf als zumindest halbwegs gelungen gelten, was eine ziemlich miese Quote ergibt. Auffallend ist, dass auch nicht ein einziger Regisseur wiederverpflichtet wurde; selbst die nicht, die von der Kritik oder dem Publikum gefeiert wurden, wie etwa Stefan Herheim oder Hans Neuenfels. Die einzige – allerdings verzichtbare – Ausnahme bildete Katharina selbst, die zwei Inszenierungen (Meistersinger und Tristan) in den Sand gesetzt hat. Für diese Veranstaltungen konnte man übrigens – vielleicht mit Ausnahme der Premierenjahre – immer recht leicht Karten erhalten...
Stattdessen werden immer wieder neue Hasen aus dem Hut gezaubert, mit denen sie die Fachwelt blenden und ihre Kritiker zum (temporären) Verstummen bringen will. Das beste Beispiel ist die Wahl der künstlerischen Leiter für den Ring des Nibelungen – sicherlich die weitaus komplexeste künstlerische Herausforderung in Bayreuth und das wirtschaftlich bedeutendste „Produkt“. Für die für 2020 geplante (und coronabedingt 2022 vollzogene) Neuproduktion verpflichtete sie völlig überraschend den bis dato eher unbekannten Dirigenten Pietari Inkinen und den Regisseur Valentin Schwarz, der damals gerade Anfang dreißig war. Für beide war es die allererste Produktion in Bayreuth. Schwarz hatte zuvor (laut der Auskünfte auf seiner Webseite) noch nicht eine einzige Wagner-Oper inszeniert! Tätig war er insbesondere in Weimar und Darmstadt; an der Staatsoperette Dresden hatte er im Jahr 2020 gerade „Die Banditen“ von Jacques Offenbach auf die Bühne gebracht. Inkinen ist seit 2017 u.a. Chefdirigent der Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern.
Nichts gegen diese beiden noch jungen Künstler, aber welche Eigentümer eines nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft operierenden Unternehmens würden für ihr mit großem Abstand wichtigstes Produkt auf Leitende Angestellte setzen, die im betreffenden Feld so gut wie keine Erfahrung aufzuweisen haben? Zur Einordnung sei ein kurzer Rückblick erlaubt: Christian Thielemann durfte in Bayreuth zum ersten Mal im Alter von 40 Jahren auftreten. Damals übernahm er mit den Meistersingern in der Inszenierung von Wolfgang Wagner lediglich eine bereits etablierte Produktion. Erst im Jahr 2002 übertrug man ihm die musikalische Leitung bei einer Neuinszenierung. Dabei hatte er sich schon lange als international anerkannter Wagner-Dirigent etabliert, u.a. an der Deutschen Oper, einem gewichtigen „Wagner-Haus“, wo er in diesen Jahren Generalmusikdirektor war.
Ganz gut genügte noch nie für Bayreuth
Verglichen damit erscheint die Ernennung von Schwarz und Inkinen so, als ob Volkswagen zwei Konstrukteure, die zuvor nur in einer Fahrradmanufaktur gearbeitet haben, mit der Entwicklung eines neuen Entwurfs für ihr wichtigstes Modell beauftragen würde. Überhaupt steht zu vermuten, dass die unkonventionelle Wahl auch als Affront gegen Christian Thielemann gedacht war, der wohl für Katharina zu dominant geworden war: Seht her, es geht auch ohne Thielemann! Es gibt so viele, die es auch können; dies sollte wohl die Botschaft sein. Nachdem sie ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, die ihr 2008 als Co-Leiterin aufgenötigt worden war, und so manchen unliebsamen Mitarbeiter losgeworden ist, scheint jetzt der letzte Schritt in der Emanzipation von Thielemann zu bestehen.
Auch bei beiden vorangegangen Neuinszenierungen des Rings wurden sehr merkwürdige Entscheidungen getroffen. Frank Castorf hatte noch nie zuvor irgendeine Oper inszeniert. Das gleiche galt auch für Tankred Dorst. Er war im Jahr der Premiere bereits 81 Jahre alt, allerdings hatte ihn noch Wolfgang Wagner engagiert. Keiner der beiden hat übrigens danach je wieder eine Oper inszeniert.
Auch bei den Dirigenten hat es Katharina Wagner letztendlich nicht geschafft, eine gleichbleibend hohe Qualität zu gewährleisten. Lange wurde dies dadurch kompensiert, dass der überragende Wagner-Dirigent unserer Zeit, Christian Thielemann, Jahr für Jahr auf dem Hügel sehr präsent war. Ihn hat man nun anscheinend auch nicht halten können oder wollen. Man fragt sich ferner, warum ein großartiger Wagner-Dirigent wie Kirill Petrenko nicht mehr in Bayreuth dirigiert, warum ein Andris Nelsons nicht mehr verpflichtet werden kann! Sicher, andere Dirigenten in diesem und im letzten Jahr waren schon ganz gut. Aber ganz gut genügte noch nie für Bayreuth; für ein Bayreuth zu Höchstpreisen ist es fatal!
Aufbau einer Marketingabteilung wäre ein Alarmsignal
2024 soll Philippe Jordan, der in Bayreuth kein Unbekannter ist, das Dirigat für den Ring übernehmen. Aber dies und alle Marketing-Aktivitäten, die Katharina nun vorschweben, werden nichts an den grundlegenden Problemen ändern. Die Inszenierung ist restlos vermurkst und auch weitere kleinere Eingriffe werden nichts daran ändern. Man kann nur versuchen, den 2024er Ring mit wirklich erstklassigen Sängern zu besetzen. Wenn das nichts hilft, dann muss die Preisschraube zurückgedreht werden. Das dämmert wohl den Damen und Herren des Hügels bereits, denn es wurde verlautbart, dass man im nächsten Jahr die Preise nicht anheben wird. Ein Einfrieren der Kartenpreise dürfte aber kaum genügen. Denkbar wäre es, wie an anderen Opernhäusern auch einen Preisnachlass für den Erwerb eines gesamten Ringzyklus zu gewähren – vielleicht um 15 oder 20 Prozent.
Was sie an anderen Maßnahmen verkündet hat, ist als Fortsetzung ihres erratischen Führungsstils zu sehen. Der geforderte Aufbau einer Marketingabteilung kann schon als Verzweiflungstat angesehen werden. Wenn man für ein Produkt wie die Bayreuther Festspiele auf Werbung setzen muss, hat man eigentlich schon verloren. Überhaupt: Wie soll diese Abteilung finanziert werden? Will man die Kartenpreise in Zukunft noch weiter überreizen?
Laut Katharina überlegt man sogar, den Ring zukünftig ohne Pausentage anzubieten, damit die Gäste zumindest zwei Übernachtungen einsparen können. Dies ist der falsche Weg! Lieber sollte man aufzeigen, dass es in der nahen Umgebung von Bayreuth – etwa in der fränkischen Schweiz oder im Fichtelgebirge – günstige Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest die Stadt Bayreuth und der Bezirk Oberfranken (beide vertreten in der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth) endlich aufwachen, um zusätzlichen Schaden für die Stadt und die Region abzuwenden.
Nötig wäre eine neue, beständig konservativere Ausrichtung
Mit der im Jubiläumsjahr 2026 geplanten Aufführung des Frühwerks Rienzi, der letzte der Tribunen, und der damit eingehergehenden Erweiterung des Kanons der aufgeführten Werke Richard Wagners von zehn auf elf zieht Katharina schließlich ein weiteres Kaninchen aus dem Hut. Ob dies ein Erfolg wird, bleibt sehr zu bezweifeln, denn es gab gute Gründe dafür, die drei Frühwerke Wagners nicht in den Bayreuth-Kanon aufzunehmen. Zwar weist der Rienzi unbestritten einige sehr schöne Passagen auf, aber insgesamt ist dieses noch sehr in der Tradition der französischen Grand Opéra verwurzelte Werk (Bülow bezeichnete es als Meyerbeers beste Oper!) doch recht sperrig. Ohne Striche würde eine Aufführung beinahe fünf Stunden dauern – dazu kämen noch die Pausen, wohlgemerkt. Gelegentliche Aufführungen an hiesigen Opernhäusern liegt dann auch ausnahmslos eine stark gekürzte Fassung zugrunde. Die Deutsche Oper in Berlin weist als Spielzeit für ihre Fassung zwei Stunden und 34 Minuten aus! (Selbst bei dieser stark reduzierten Fassung erscheint noch manches als entbehrlich.)
Unter ökonomischen Gesichtspunkten bleibt sehr zu bezweifeln, ob eine noch unreife Oper, die man um die Hälfte kürzen muss, das Publikum nachhaltig ansprechen wird. Ein Experiment aus dem Jubiläumsjahr 2013 ging eher schief. Damals hatte man die drei frühen Opern in der Oberfrankenhalle gesondert von den offiziellen Festspielen aufgeführt (Rienzi in einer Fassung der Oper Leipzig, die beiden anderen Werke konzertant). Die Kritiken waren alles andere als enthusiastisch und die Vorführungen keineswegs ausverkauft. Christian Thielemann hat sich übrigens immer dagegen ausgesprochen, die frühen Werke in den Kanon der aufzuführenden Werke aufzunehmen, da deren Klangkonzeption nicht zu der Akustik des Festspielhauses passe. Bereits der Fliegende Holländer sei in dieser Hinsicht grenzwertig. Auch von solchen fundierten Bedenken lässt sich Katharina nicht mehr leiten. Sie will die Alleinherrschaft; irgendwie passend zur Geschichte des Cola di Rienzo.
Wie man es dreht und wendet, die Konsolidierung der Festspiele kann nur gelingen, wenn man ihnen eine neue, beständig konservativere Ausrichtung gibt und dadurch die vergrätzten eingefleischten Wagner-Liebhaber zurückgewinnt. Dies würde bedeuten, die grotesken Formen des Regietheaters zu vermeiden. Das ginge mit Regisseuren wie Andrea Moses, Andreas Homoki, Uwe Erik Laufenberg oder Brigitte Faßbender, nicht aber mit Schwarz oder Tcherniakov. Denn es gibt sie durchaus: Regisseure, die Wagners Werke eindrucksvoll inszenieren, ohne gleich eine Parallelwelt erschaffen zu müssen.
Lange Zeit unterlag man dem Glauben, dass ein Mitglied der Wagner-Familie die Festspiele leiten sollte. Mit der Entwicklung der Festspiele hin zu einem Festival wie viele andere auch, kann man getrost auch diese Wunschvorstellung über den Haufen werfen, zumal sich auch kein geeigneter Kandidat aus der Familie aufdrängt. Nike Wagner wäre eine gute Wahl gewesen, doch sie ließ sich als Nachfolgerin von Wolfgang Wagner aus (familien-)politischen Gründen nicht durchsetzen. Katharina Wagner ist gescheitert, und die Verantwortlichen sollten sich dies eingestehen. Auch wenn es zunächst paradox klingen mag: Eine Abkehr von ihr kann auch als Zeichen des Vertrauens in das Werk Richard Wagners gedeutet werden.
Teil 1 finden Sie hier.
Bernd Fischer studierte Physik und Mathematik mit anschließender Promotion in Köln und Boca Raton (USA), anschließend war er viele Jahre in leitenden Positionen in der Finanzbranche sowie als Autor von zahlreichen Artikeln und Fachbüchern zur Finanzmathematik tätig. Seit 2019 arbeitet er als freier Schriftsteller.