Deutschland vor den letzten großen Krisen: Der Putz bröckelt von den Wänden manches Schulgebäudes, dieses Finanzamtes und jener Polizeistation. Straßen werden zu Buckelpisten. Brücken und Schwimmbäder müssen geschlossen werden. Und selbst eine so ehrwürdige Einrichtung wie das Berliner Schillertheater, wo ich als Student „Nathan der Weise“ mit Ernst Deutsch erleben durfte, von 1951 bis 1993 Spielstätte der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, musste seine Pforten dicht machen. Der Grund war immer der gleiche: akuter Geldmangel.
Vorspiel: Der Tsunami
Und dann kam am zweiten Weihnachtstag 2004 die „Monsterwelle“ vor der Küste Südostasiens, der verheerende Tsunami im Indischen Ozean mit fast 230.000 Toten. Und plötzlich war Geld da. Aus heiterem Himmel gewissermaßen. Ad maiorem imperii gloriam gewissermaßen (zum größeren Ruhm der Regierung): „Kabinett beschließt 500 Millionen Euro Hilfe für Flutopfer“ titelte der „Spiegel“ vom 5. Januar 2005. „Mit der Summe, die etwa zwei Promille des Bundeshaushalts eines Jahres entspricht, steht Deutschland an der Spitze der internationalen Hilfszusagen von Regierungen, vor Japan (367 Millionen Euro) und den USA (257 Millionen Euro)“, wiegelte das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“ (Rudolf Augstein 1963) ab, das später zur „Spritzpistole der Angela Merkel“ werden sollte. Damals hieß der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), und der antwortete auf die Frage in der Bundespressekonferenz, wie denn die Zahl von 500 Millionen zustande gekommen sei, sie habe mit der „angemessenen Notwendigkeit zu tun“. Basta. „Oppositionsführerin Merkel begrüßt(e) die Hilfszusage“. Das waren noch Zeiten. Anfang 2020 ging die Meldung über den Äther: „Etwa alle vier Tage schließt in Deutschland ein Hallen- oder Freibad für immer – 80 pro Jahr sind es, so die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).“ Kein Wunder, waren da doch 500 Millionen im Indischen Ozean baden gegangen.
Erster Akt: Die Finanzkrise
In der weltweiten Finanzkrise 2008 trat die mittlerweile zur Bundeskanzlerin mutierte Angela Merkel (CDU) mit ihrem Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor die Kameras und verkündete: „Die Spareinlagen sind sicher“ und anderes mehr. Diese Zusage (und anderes mehr) „wird die deutschen Steuerzahler wohl mehr als 68 Milliarden Euro kosten“ meldete die „Süddeutsche“ unter dem Titel „Jede Familie zahlt 3.000 Euro für Finanzkrise“. Währenddessen bröckelte der Putz natürlich weiter. In NRW verursachte die Brückensperrung bei Leverkusen insgesamt 6.350 Kilometer Stau. Ein Verkehrsexperte des ADAC erklärte, ungefähr jeder dritte Stau in NRW sei darauf zurückzuführen, dass die Politik in der Vergangenheit zu wenig Geld in den Ausbau und Erhalt der Fernstraßen investiert habe. „Mit einer Entspannung der Situation ist nicht vor 2030 zu rechnen.“
Zweiter Akt: Die Flüchtlingskrise
Als Angela Merkel dann am 4. September 2015 ihr Herz öffnete und die Schengen-Grenzen offen ließ, strömten hunderttausende Flüchtlinge ins Land nach dem Jesus-Wort „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matthäus 11, 28). Denn wir sind ein reiches Land, wie Experten à la KGE und Juso-Chefin Johanna Uekermann versicherten. Ein Märchen freilich, eines, das ein Land ruinieren kann. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2018 versucht, die verschiedenen Kosten der Flüchtlingskrise zu erfassen. Eine genauere Erfassung gibt es bisher nicht“ (Handelsblatt vom 29.10.2019). Danach beliefen sich die Kosten für 2017 auf knapp 21 Milliarden Euro und für 2018 auf 23 Milliarden Euro. Doch egal, ob wir nun plötzlich Menschen geschenkt bekommen haben (KGE) oder „das Proletariat von morgen“ (HMB): Die Kosten verhalten sich jedes Jahr wie einst der legendäre Käfer, der bekanntlich läuft und läuft und läuft. Da ist es dann ein dringend benötigter Trost, von zwei bedeutenden Denkern des 21. Jahrhunderts, Heiko Maas und Wolfgang Schäuble, zu erfahren: „Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden (sic!) weggenommen." Als Lohn für diese epochale Leistung verlieh das Morgenmagazin dem heutigen Außenminister den „Wirtschafts-Nobelpreis“. Gratulation! Doch schon die alten Römer kannten den tieferen Grund einer solchen Leistung: Juristen, wie es Maas und Schäuble sind, können einfach nicht rechnen: iudex non calculat (vorsorglicher Hinweis für Puristen: zugegeben, ist etwas zurechtgebogen).
Dritter Akt: Die Coronakrise
Ja, und dann kam etwas Einmaliges, noch nie Dagewesenes: die Coronakrise, in der wir gerade stecken. Erst jetzt zeigte die Kanzlerin, wozu sie wirklich fähig ist. Und die 16 Ministerpräsidenten kannten keine Parteien mehr, sie kannten nur noch Deutsche. Koste es, was es wolle. Geld gibt es ja in Hülle und Fülle. Von 150 Milliarden und mehr war die Rede. Nicht mehr nur zwei Promille, sondern fast die Hälfte des Bundeshaushalts für ein Jahr. Vermutlich hatte Heiko Maas seinem Parteifreund Olaf Scholz verraten, wie man an so viel Geld kommt, ohne es jemandem wegzunehmen.
Kennzeichen jeder Epidemie oder Pandemie ist, dass sie Tote fordert, sehr viele Tote (Cholera, Grippe, Typhus, Pest und Polio und jetzt eben SARS-CoV-2 oder COVID-19). Dieses Gesetz wollte die mächtigste Frau der Welt (wer, wenn nicht sie?) brechen und die Pandemie „beherrschbar“ machen (Gesundheitsminister Jens Spahn). Während in Nicht-Corona-Zeiten kein Hahn danach kräht, dass täglich im Schnitt 2.500 Menschen sterben (in Deutschland wohlgemerkt, zwischen 925.200 und 954.874 waren es jährlich von 2015 bis 2018), wurden die Corona-Toten jetzt täglich in den Fernsehnachrichten gemeldet. Bisher waren es insgesamt 5.767 (Stand 24. April 2020), überwiegend Männer. „Das aktuelle Durchschnittsalter der Corona-Todesfälle in Deutschland liegt zwar aktuell bei 80 Jahren, dennoch betonte RKI-Chef Lothar Wieler in der Pressekonferenz am Dienstag [7. April]: ‚Jede Person, unabhängig von der Altersgruppe, kann an Covid-19 erkranken. Aber das Risiko, schwer zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter, und es steigt auch damit, ob man Vorerkrankungen hat oder nicht.‘ Prinzipiell könne aber ‚wirklich jede Altersgruppe‘ betroffen sein.“ Als demnächst 79-Jähriger mit gleich mehreren Vorerkrankungen finde ich das natürlich beunruhigend. Andererseits bemühe ich mich auch als Beamter im Ruhestand immer, an das große Ganze zu denken. Und da ist natürlich der Tod vieler alter weißer Männer eine gute Nachricht, also vom Ende her gedacht, meine ich, sind sie doch zu Lebzeiten für nahezu jedes Übel dieser Welt verantwortlich gewesen. Allerdings ist das nicht die Gedankenwelt unserer Kanzlerin: „Einer der größten Mythen über die Bundeskanzlerin besagt, dass sie immer vom Ende her denkt. Merkel selbst hat ihn eifrig genährt. Aber sie denkt nicht vom Ende her, im Gegenteil“ meint Tina Hildebrandt in der „Zeit“.
Die Pfarrerstochter, die in der Uckermark aufwuchs, kann bis heute ihre christlichen Wurzeln nicht verleugnen und denkt deshalb per se in den Kategorien der Humanität. Manche haben das der „Eiskönigin“ anfangs nicht abgenommen, aber seit Fukushima ist es für alle Menschen guten Willens unübersehbar und prägt ihre Politik. In der Begegnung mit dem weinenden „Flüchtlingsmädchen“ (die Familie kam 2010 nach Deutschland zur medizinischen Behandlung ihrer gelähmten Tochter) Reem vor laufender Kamera wurde das im Kleinen deutlich, nahm in der Flüchtlingskrise weltpolitische Formen an und steigerte sich jetzt in der Coronakrise in pandemische Dimensionen. Dass Krebskranke, deren CT-Termine storniert oder deren Operationen verschoben werden oder die gar zu den vereinbarten Terminen vor verschlossenen Türen stehen, das ein wenig anders sehen, wird die Kanzlerin hoffentlich nicht irritieren. Wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen zu hören ist, denkt sie sogar über eine fünfte Amtszeit nach („Wenn Deutschland mich braucht“).
Finale furioso: Die Klimakrise
Irgendwann wird die Coronakrise vorbei sein, und wir kehren wieder zur Normalität zurück, womit nichts Anderes gemeint ist als der tägliche Wahnsinn (the daily madness, la folie quotidienne, la locura diaria, la follia quotidiana, de dagelijkse waanzin, päivittäinen hulluus, ﺍﻟﻴﻮﻤﻲ ﺍﻟﺟﻧﻮﻦ [ aljunun alyawmiu] ...). Dann wird Greta ihre Einsiedelei verlassen und Luisa Neubauer wieder an der Spitze von FFF marschieren. Jetzt haben ihnen ja die bedauernswerten Schulschließungen jegliche Möglichkeit genommen, wirksam und nachhaltig auf den drohenden Weltuntergang hinzuweisen. Wenn es bis dahin nicht gelungen ist, zahllose Existenzen zu vernichten und unsere Wirtschaft nachhaltig zu ruinieren, bleibt noch jede Menge zu tun. Da sind bröckelnder Putz und eine verrottende Infrastruktur wahrhaftig nicht mehr als der berüchtigte „Vogelschiss“. Und wehmütig werden uns die Finanzzahlen der diversen Krisen wie die Ackermann’schen Peanuts erscheinen angesichts der Billionen, um die es jetzt wieder geht.
Vor über 200 Jahren schrieb Friedrich Schiller, der im Gegensatz zu Goethe ein Dichter der Freiheit war, diese visionären Zeilen (Das Lied von der Glocke, 1799):
„Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“