Inge ist eine Anfangsechzigerin und nicht nur leicht esoterisch angehaucht. Außerdem ist für sie jeder „rechts", von der Hauskatze bis zu Olaf Scholz.
Wir haben schon seltsame Freunde. Ich meine das gar nicht abwertend, denn jeder ist ja, wie er ist, und jeder kämpft in seiner eigenen Schlacht, die ich nicht kenne. Ich habe ja auch meine persönliche Schlacht. Aber manchmal … Gut, es ist auch nicht einfach, mit dem Schatz und mir befreundet zu sein und immer auch ein Ritt auf der Rasierklinge, denn es kann sich ja niemand sicher sein, nicht dann doch auch in einer Geschichte zu erscheinen. Mit uns befreundet zu sein, das erfordert Mut und auch einen Schlag Wahnsinn. Ich will das nur vorausschicken, falls jemand meint, das sei ein Zuckerhof oder Ponyschlecken. Manchmal allerdings werden auch der Schatz und ich vom Wahnsinn überrollt.
Nehmen wir Inge. Inge ist eine Anfangsechzigerin und nicht nur leicht esoterisch angehaucht. Sie hat quasi einen direkten Draht zu irgendeiner ominösen Allmacht, und ich erinnere mich, ihr mal aus der Gärtnerei von Hinternmond an der Saale einen Olivenzweig mitgebracht zu haben, von dem ich behauptete, er sei vom Ölbaum Christi. Sie hat sich sehr gefreut. Ich auch. Sie hat auch gleich dessen besondere Energie gespürt, was wohl daran lag, dass er etwas klebrig war, weil mir daheim versehentlich Zitronenlimo drüber gelaufen war. Das habe ich ihr aber nicht erzählt. Und sie hat sich das dann selbst so intensiv verkauft, dass ich tatsächlich auch fast überzeugt war, der vermaledeite Zweig sei wirklich vom Gethsemane. Ich weiß ja nicht, woher „Büttner´s Blumenbude“ (Kleinselbstständige mögen Namensalliterationen) seine Olivenzweige bezieht. Könnte ja doch sein. Außerdem hat sie im Gemeinderat für die Grünen kandidiert, wurde aber nicht gewählt. Irgendwie schade.
Auf jeden Fall sitzt also Inge an jenem Nachmittag bei uns am Küchentisch und plaudert mit dem Schatz, als ich kurz hereinkomme, um zu prüfen, ob im Kühlschrank Licht brennt und vielleicht sogar eine italienische Salami beleuchtet. Und da schnappe ich im Ploppen der Kühlschranktüre den Satz „Ich würde da nicht mit den Coronaleugnern mitgehen, das sind alles Nazis“ von Inge auf.
„Du schreibst ja auch in diesem neurechten Blog …“
Nun, ich kenne einige, die da mitlaufen. Von denen marschiert garantiert keiner in Polen ein oder überfällt Dänemark. Okay, Mallorca, im Sommer, aber da bezahlen sie ja dafür. Ich unterbreche die Kühlschrankinspektion und setze mich dazu. „Woher weißt du das?“, frage ich. „Kannst du in jeder Zeitung und in der Tagesschau finden“, gibt sie ohne Ironie zurück. „Ich war aber schon dabei“, sage ich, „und ich habe keine Nazis gesehen“. Sie lächelt. Wie ich meine, etwas überheblich. „Tja, dann frage dich mal, woran das liegt. Du schreibst ja auch in diesem neurechten Blog …“ Aha. Ich bin also der Nazi. Deswegen habe ich keine gesehen. Außerdem schreibe ich für die Achse. Da weiß man ja Bescheid. Ich beschließe, einen Test zu machen und deute auf den Schatz: „Sie war auch dabei. Du würdest also sagen, dass sie auch ein Nazi ist?“ Aber Inge ist um keine Antwort verlegen: „Nun, dass Ihr beide rechts seid, ist ja kein Geheimnis. Aber …“, so tröstet sie, „… das soll unserer Freundschaft keinen Abbruch tun.“ Spricht's und legt lächelnd die Hand auf den linken Unterarm des sprachlosen Schatzes.
Okay. So läuft das. „Da gehen ganz viele unterschiedliche Leute mit. Beispielsweise der Zahnarzt, Dr. Müller …“ „Auch so einer …“, gibt sie zurück. „… und Orkan Demirel, der Friseur …“ „… wundert mich nicht, der hat auch Erdogan gewählt …“ „… und Levy Rosenzweig, der Apotheker!“ „Der schlimmste Nazi von allen! Der behandelt sogar den AfD-Kreisvorstand!“ Ich bin überwältigt. Alles Nazis. Wusste ich gar nicht. Ich starte einen weiteren Testballon: „Mir war sogar letzten Montag so, als hätte ich deine Mutter gesehen …“ „Würde mich auch nicht wundern, die war bei Kriegsende im Jungmädelbund“, gibt sie Details aus der Familienchronik preis. „Okay, was ist mit Klara Breuninger …“, nenne ich den Namen einer stadtbekannten, bis in die Wolle grün gefärbten Kommunistin, die sich eher mit flüssigem Blei übergießen und am Zuckerfest auf einem Atomgrill ein Schweinesteak braten würde, als auf einem der Spaziergänge mitzulaufen.
„Die habe ich schon lange in Verdacht, rechts zu sein und das nur zu tarnen, um Publikum für ihre alternative Theaterbühne zu bekommen … Die hat eh den höchsten Grad der Selbstverleugnung erreicht, die alte weiße Frau!“, führt Inge aus. „Sahra Wagenknecht“, werfe ich einfach einen Namen in die Küche. „Gerade die, die ist doch mehr Nazi als Gauland! Bald fliegt sie bei der Linken raus!“, stellt Inge im Brustton der Überzeugung fest. „Olaf Scholz“, ruft der Schatz dazwischen. „Auch so ein verkappter Nazi!“, hechelt Inge. „Greta Thunberg!“, schlage ich vor. „Kommt gleich hinter Alice Weidel!“, kontert Inge.
Eine der beiden Katzen schlappt durch die geöffnete Küchentüre. „Und die da?“, frage ich und deute auf das arglose Tier. „Eine Nazikatze. Schwarzer Scheitel, braunes Fell. Keine weiteren Fragen“, stellt Inge im Brustton der Überzeugung fest. Ich hebe den Salzstreuer, der auf dem Tisch steht, an und wedle Inge vor der Nase damit herum. „Auch so ein Nazistreuer“, sagt sie.
„Er meint das ja nicht so“
„Inge, ich glaube, du hast ein Problem“, stelle ich mit sanfter Stimme fest, um sie nicht noch mehr zu reizen, „ich glaube, du siehst überall Nazis, wo es gar keine gibt …“ Das war jetzt genau falsch. „NUR, WEIL DU SIE NICHT SEHEN WILLST, HEISST DAS NICHT, DASS SIE NICHT DA SIND!“, brüllt sie mich an. „Okay, Inge, woran machst du fest, dass die Genannten inklusive Katze und Salzstreuer Nazis sind?“, versuche ich es mit therapeutischem Nachfragen. Sie schaut mich, wie ich meine, mit leicht irrem Blick an. „Wenn DU das nicht weißt …“ „Nein, ich weiß das nicht. Deswegen frage ich ja nach. Also, Inge: Warum sind das alles Nazis?“ „Das ist ja wohl sehr offensichtlich“, entgegnet Inge keuchend. „Nein, Inge, das ist es nicht. Zum dritten Mal, warum sind das alles Nazis?“, bohre ich nach. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich beleidigen zu lassen“, lenkt sie ab. Ich sehe, wie ihr Tränen in die Augen schießen. Das tut mir leid und das habe ich nicht gewollt. Da blutet mir jetzt schon mein rechtes Herz. So ein wenig.
„Er meint das nicht so, Inge“, sagt der Schatz empathisch und streichelt nun ihren Unterarm. „Du weißt, wie er ist“, haut er mich zusätzlich in die Nazi-Pfanne. Inge schluchzt. Und wenn eine Frau weint, auch, wenn es die verstrahlte Inge ist, dann ist der Kampf vorüber und man tritt nicht nach. Ich bin da schon sehr old-style. Weinende Frauen machen mich einfach weich. Ich kann nichts dafür. Ich brummele eine Entschuldigung und gehe wieder an den Kühlschrank und öffne die Türe. „HA“, brüllt Inge hinter mir her, „BRAUNE EIER! Ich hab´s GEWUSST!“ Ja Inge, die Nazi-Eier sind von dem verdammten Nazi-Bio-Hof, gelegt von Nazi-Hühner*innen.
Ich habe mir das aber nur gedacht und nix gesagt, um die verheulte Inge nicht zum Implodieren zu bringen. Und ich habe mir bei der Verabschiedung später auch verkniffen, ihr zu sagen, dass sie nun eine Kontaktschuld hat. Weil sie mit uns Rechten befreundet ist. Man muss einen Menschen nicht zerstören, der „Seinen Kampf“ aufrecht, mit fanatischem Willen und bis zur letzten Patrone gegen irgendeinen Faschismus kämpfend, ausfechten will. Und dort sehr offensichtlich 1000 Jahre vom Endsieg entfernt ist. Erst recht, wenn er konventionelle Heil-Methoden aus politisch korrekten oder auch nur rabulistischen Gründen ablehnt.
(Weitere therapeutische Tipps des Autors gibt´s unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.