Henryk M. Broder / 01.05.2013 / 16:51 / 0 / Seite ausdrucken

Alles auf Pump

Noch vor einer Generation war es üblich, beim Kaufmann an der Ecke anschreiben zu lassen. Man kaufte auf Kredit und bezahlte am Monatsende, wenn die Löhne ausbezahlt wurden. So kamen die Kunden einigermaßen über die Runden; der Kaufmann musste zwar gegenüber seinen Lieferanten in Vorkasse treten, hatte aber dafür einen Kundenstamm, der ihm in Treue verbunden war.

Diese „Tante-Emma-Läden“ gibt es nicht mehr. Möglicherweise haben noch einige im Altmühltal oder in einem entlegenen Winkel des Spreewaldes die Konzentration im Einzelhandel überlebt, aber dann stehen sie entweder unter örtlichem Denkmalschutz oder gehören zum „Kulturerbe“ der UNESCO.

Früher wusste jede Hausfrau, dass man sich im Prinzip nur das leisten kann, was man bezahlen kann. Wer heute kein Geld hat, der lässt ebenfalls anschreiben – er zahlt mit der Kredit- oder EC-Karte. Auch diese Schulden müssen bezahlt werden, aber nicht unbedingt am Monatsende sondern irgendwann. Inzwischen ist jeder zehnte erwachsene Deutsche überschuldet, die häufigste Ursache sind „unangemessene Konsumausgaben“.

Für den Staat gilt dasselbe. Ende des Jahres 2012 hatten Bund, Länder und Gemeinden über zwei Billionen Schulden angehäuft, das ist beinah das Siebenfache des Bundeshaushalts von 302 Milliarden Euro in diesem Jahr. Für das „Bundesschuldenwesen“, also Zins und Tilgung der Kredite, die der Bund aufgenommen hat, gehen 11% des Bundeshaushalts drauf, genauso viel wie für Verteidigung.

Nun hat Angela Merkel vor kurzem in einem Zeitungs-Interview einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Wohlstand auf Pump geht nicht mehr, das muss allen klar sein.“ Heißt das, die alte Hausfrauenregel aus der Zeit der Tante-Emma-Läden kommt wieder zum Einsatz?

Mitnichten. Im Laufenden Jahr wird allein der Bund etwa 17 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen, um den Haushalt zu finanzieren. Weil es etwa 1.7 Milliarden weniger sind, als im Entwurf vorgesehen, gilt das bereits als eine Sparmaßnahme. Sparen bedeutet also nicht weniger ausgeben, Konsumverzicht, sondern etwas weniger Schulden machen.

Und während die Zahl der Privatinsolvenzen zwischen 2000 und 2012 von 14.000 auf 130.000 gestiegen ist, macht der Staat auf Pump weiter. Wäre die Bundesrepublik ein Tante-Emma-Laden, hätte sie längst Privatinsolvenz anmelden müssen.

Erschienen in der Weltwoche vom 1.5.13

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