Zu Beginn der Corona-Krise, die keine biologische, sondern eine kulturelle Krise ist, hatten fast alle große Angst vor COVID-19, kaum einer war zu Beginn des Lock-Downs dagegen. Die kollektive Stimmung war panisch-hysterisch. Nachdem wissenschaftlich klar ist, dass das Virus nicht gefährlicher ist als ein neuer Influenzastamm, hat sich nun eine Opposition gegen die Fortsetzung des Lockdowns gebildet. Sie setzt sich aus allen politischen Lagern zusammen, ist aber in Teilen so alarmistisch und erregt, wie man zu Anfang der Krise panisch war: Der Protest ist durchzogen von Verschwörungstheorien. Absurde Thesen, der chinesische Staat habe das Virus im Labor entwickelt und absichtlich freigesetzt oder die Pharmaindustrie habe ein materielles Interesse an dem Virus, machen die Runde. Linke und rechte Verschwörungstheoretiker verbreiten Panik, rufen gar zu Gewalt auf. Zwar protestieren die Demonstranten für ein berechtigtes Anliegen, nämlich für die in unserer Verfassung verbrieften Grundrechte, doch überdreht der Protest zuweilen zum Alarmismus.
Diesen Irrationalismus finden wir aber auch bei den Verfechtern des Krisenmanagements der Regierung. Höchst rational auftretende, streng wissenschaftliche Kritiker wie Sucharit Bhakdi werden als “Corona-Verharmloser” angegriffen. Christian Drosten warnte sogar vor diesem Typus von Kritik, beanspruchte ein Deutungsmonopol. Warum reagieren viele Menschen und sogar er, ein etablierter Wissenschaftler, in der Öffentlichkeit so übertrieben, emotional und irrational? Warum sind sie nicht fähig zum nüchternen und rationalen Nachdenken, warum dringen einzelne Stimmen der Vernunft nicht durch, sondern werden in den Mainstream-Medien und den Social Media gleich erstickt?
Anders als die Hongkong-Virus-Pandemie, die im Winter 1968/69 ohne jegliches öffentliches Aufsehen eine deutlich höhere Letalität mit sich brachte als Corona, trifft die Grippe heute auf eine bereits zutiefst verunsicherte und angsterfüllte Bevölkerung. Den Angst-Raum, in dem sich die Corona-Panik entfaltet, spannen zwei wesentliche Komponenten auf.
Subkutane politische Angst
Erstens geht eine subtile politische Angst um, weil das Legitimitätsmodell unseres Landes, die im nationalen Rechtsstaat gegründete repräsentative Demokratie, erodiert. Seit Beginn der 1990er Jahre, seit der Ergänzung des GG um Art. 23 (Verwirklichung eines vereinten Europas) und dem Vertrag von Maastricht, wird dieses Legitimitätsmodell untergraben und durch ein neues Herrschaftsmodell ersetzt, die Postdemokratie (Colin Crouch). Deren Modell setzt nicht mehr auf Repräsentation und Rechtsstaatlichkeit, sondern auf transnationale Verträge ohne Verfassungscharakter, die weitreichende politische Entscheidungen in Gremien – wie der EZB – ohne klassische Gewaltkontrolle ermöglichen. Dies geschieht ohne demokratische Öffentlichkeit und wird begleitet durch eine Judikative, deren Hauptfunktion die Bestätigung des demokratisch nicht legitimierten politischen Handelns ist. Bestes Beispiel ist der Europäische Gerichtshof (EuGH).
Seit Beginn der rechtswidrigen Eurorettung leben wir erstmals seit 1949 wieder im fiskalpolitischen Zustand der “taxation without representation”. Seit 2015 haben wir zudem eine fundamentale Krise der Staatlichkeit, da seitdem mit der Grenzöffnung für jedermann eines der drei durch Jellinek definierten grundlegenden Elemente des Staates, die territoriale Integrität, chronisch aufgelöst wird.
Selbst wenn die Mehrheit dies nicht explizit reflektiert und im Wahlverhalten noch nicht durchgreifend darauf reagiert, spüren die Menschen intuitiv und subkutan, dass das demokratisch-nationalstaatliche Legitimitätsparadigma, welches im Laufe des 19. Jahrhunderts die Monarchie als Herrschaftsmodell abgelöst hat, ins Wanken geraten ist. Wie Guglielmo Ferrero in seinem Meisterwerk “Pouvoir” (Paris 1943) gezeigt hat, sind solche Phasen stets mit zunehmender öffentlicher Angst verbunden: Das Volk bekommt Angst vor den Amtsträgern, weil die nicht mehr verlässlich im Rahmen des überkommenen Modells handeln, und die Amtsträger bekommen Angst vor dem Volk, weil sie fürchten, es könnte ihre Usurpation des etablierten Modells erkennen und beenden, ihnen das Mehr an Macht, das die Usurpation bringt, wieder nehmen. Das ist die erste Komponente des Angst-Raums.
Todesangst der Hedonisten
Die zweite Komponente des Angst-Raums ist das radikal säkulare hedonistische Lebensmodell unserer Zeit. Das radikal zur Selbstverwirklichung drängende Ich hat den dreifaltigen Gott ersetzt, ganz wie Nietzsche es forderte. Doch für dieses Ich gibt es keine Gnade, keine Erlösung und kein Jenseits mehr, es ist auf sich gestellt und muss ganz allein mit der Notwendigkeit seines eigenen Todes zurechtkommen. Da dies die Kräfte der meisten Menschen übersteigt, wird der Tod aus der Gesellschaft eliminiert und verdrängt. Die italienischen Lastwagen voller Leichen haben uns seinen Schrecken wieder plastisch vor Augen geführt: Der säkulare Hedonismus ist die zweite Komponente des Angst-Raums, der die Corona-Panik ermöglicht hat.
Egal, wie einer politisch steht: Angstgetriebener Alarmismus, offene Emotionalität und Panikmache haben im demokratischen Diskurs nichts zu suchen. Politische Entscheidungsfindung in der Demokratie verlangt Disziplin und rationale Debatten. Dahin müssen wir schleunigst zurück, sonst scheitert unsere Staatsform. Aufklärung ist der “Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit”, doch ob das “krumme Holz” (beides Kant) das schaffen kann, haben viele Denker bezweifelt. Nun besteht wieder die Chance dazu. Ergreift sie, liebe Mitbürger!