„An der Sprache sollst du sie erkennen“, so Hans Jacob im Jahr 1938 zum Sprachgebrauch der Nazis. Was erkennt man an der Sprache der Corona-Politik?
Die Lehren, die in Deutschland aus der Geschichte gezogen werden, verraten immer mehr über gegenwärtige Zustände als über die Schrecken jener Zeit. Weil das Vergangene von solchen, die viel fühlen, aber wenig denken, nicht als historischer Erfahrungshintergrund genommen wird, muss es als Selbstbedienungsladen für eine deutsche Selbstgerechtigkeit herhalten, die ihr Mäntelchen stets nach dem Wind hängt.
Eben noch hatte Auschwitz den Deutschen einen Minderheitenschutz aufgetragen, der schon dezente Hinweise auf Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie unter muslimischen Migranten unter den Verdacht einer rassistischen Stimmungsmache stellte. Heute gilt es als Holocaustverharmlosung, den seit Bestehen der Bundesrepublik ungeniertesten Angriff auf die Grundrechte samt der Ausgrenzung von „Ungeimpften“ mit der Frühzeit nationalsozialistischer Herrschaft zu vergleichen und manche Ähnlichkeiten festzustellen. Wo es früher „Wehret den Anfängen“ hieß, ist heute ein Nachdenken über ebendiese Anfänge schon verdächtig.
Das Vergangene aber kehrt nicht identisch, sondern verwandelt wieder. Es trägt nicht seine ursprünglichen Uniformen und singt nicht seine Lieder; sein Geist findet neue Erscheinungsformen, die der vormaligen Brutalität keineswegs entsprechen müssen. Deswegen muss man kein überzeugter Anhänger nationalsozialistischer Unmenschen sein, um zu sprechen wie deren gesundheitsversierte Light-Versionen.
Biologische Überlebensgemeinschaft
Ein signifikantes Beispiel hatte Bernhard Lassahn hier ja schon beschrieben. Nachdem die Satirikerin Sarah Bosetti auf einem Youtube-Kanal des ZDF ein diffuses „rechts unten“ als Blinddarm der Gesellschaft ausgemacht hatte, der „ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes“ sei, verteidigte sie in einem zweiten Video ihre biologisierende Sprache und bekräftigte damit nachdrücklich, wie es in ihr denkt: Gesellschaft ist für sie eine moralische Überlebensgemeinschaft, die sich in vermeintlich schweren Pandemiezeiten in eine solidarische In- und eine asoziale Out-Group spaltet – im Grunde also ein Zwangsverband.
Zum Inner-Circle der Verantwortungsvollen und Gerechten gehört in diesem Weltbild ganz sicher auch Kevin Kühnert, der knuffige SPD-Nachwuchs, der auch anders kann. Wenn er mal an seine Omi und seinen Opi denkt, die in ihrem Alter naturgemäß auf intensivmedizinische Hilfe angewiesen sein könnten, „platzt ihm fast die Hutschnur“. Nicht etwa seine Partei erzürnt ihn, die schließlich für den Pflegenotstand und das Kaputtsparen des Gesundheitssystems mit verantwortlich zeichnet, sondern jene Menschen, die alles besser wüssten als die Wissenschaft und daher selbstverschuldet die Intensivstationen „verstopfen“ würden.
Die Sprache bezeugt den autoritären Charakter: Wer die Frechheit besitzt, vorläufig zugelassene und abschließend noch nicht als sicher zertifizierte Impfstoffe mit regierungsamtlich signifikantem Nebenwirkungsprofil für sich persönlich abzulehnen, aber dann aufgrund einer PCR-positiven Lungenentzündung lntensivpflege beansprucht, der gilt Kühnert als lästiges Menschenmaterial. Wenn die medizinische Versorgung nicht reibungslos vonstatten gehe, läge das somit an wissenschaftsfeindlichen Gesundheitsschmarotzern, die eigentlich schleunigst entfernt gehörten – wie der Blinddarm rechts unten.
Ab nach Madagaskar
Dass niemand je ein Krankenhaus verstopft hat, weil es dahingehend nur unzureichende Kapazitäten gibt, muss die nun im Bundestag sitzende Juso-Pappnase ausblenden, um das Gesundheitssystem weiter zu entsolidarisieren. Dass er das moraline Rüstzeug dafür mitbringt, diesen Prozess den Vorgaben eines nicht nur impfbasierten Social-Credit-Systems gemäß lautstark zu begleiten, zeigen 51 Sekunden echauffierten Tränendrüsen-Drückens. Auf Twitter, wo er sich derweil mit meditierend-geschlossenen Augen inszenierte, verbreitete er den Clip im Anschluss selbstzufrieden. In der Ruhe liegt die Kraft, im Karrierismus ein Stahlbad.
Würde er seine Wut „nicht bremsen“ können, um sie nicht „sofort in eine Übersprungshandlung gleiten zu lassen“, käme er vielleicht auf Ideen, die dem Soziologie-Professor Heinz Bude hinsichtlich der „Impfgegner“ im Bauch rumoren. „... nach Madagaskar kann man sie nicht verfrachten, was soll man machen“, stellte der als Forscher mit dem Nationalsozialismus nachweislich Vertraute im Podcast von Gabor Steingart fest; er spielte also (bewusstlos) auf den Madagaskarplan der Nationalsozialisten an. Ja, eigentlich müssten sie weg, die fürs Überleben nicht Notwendigen, die Verstopfer und Gefährder; die unbelehrbaren Besserwisser und Egoisten, die das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung anmaßenderweise über die allwissende Wissenschaft und obendrein die Volksgesundheit stellen.
Der Nationalsozialismus etablierte sich aus einer der bürgerlichen Gesellschaft immanenten Dynamik, aus der heraus sie in einen totalitären Unstaat umschlug. Dies ernst zu nehmen, würde bedeuten, ihre Prinzipien und Maßstäbe gegen seine Willkür und Härte zu verteidigen – womit zu verurteilen wäre, was gerade geschieht. Die eskalierende Sündenbock-Rhetorik, die paranoide Wahnvorstellung einer mehrheitlichen „Geiselhaft“ (Nikolaus Blome) durch „Impfverweigerer“ sowie deren demütigende Entrechtung im Zuge sogenannter 2G-Regelungen rufen in Erinnerung, dass die Grundrechte der Einzelnen Abwehrrechte gegen den Staat sind, dessen Institutionen sie vor dem enthemmten Zugriff durch die angebliche Mehrheit eigentlich zu bewahren hätten.
„Das Impfen oder Nichts“ (Mercedes)
Führt man sich vor Augen, dass die Bundesregierung inzwischen selbst ein Risiko von 1 zu 5.000 hinsichtlich schwerwiegender Impf-Nebenwirkungen angibt, welches sie mit der albernen Behauptung relativiert, bei einer Corona-Infektion lande man mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit auf der Intensivstation, erschreckt der Furor des Durchimpfens umso mehr. Die Vorstellung, dass sämtliche „Impflücken“ (Drosten) geschlossen werden müssten, zieht nach sich, dass die „Seuchen“-Jäger (rnd.de) in jede „Ritze“ (Söder) kriechen müssen, in der Corona lauere, der Staat sich also ins Private hinein zu totalisieren habe.
Einmal auf den Trip gekommen, noch den Letzten spritzen zu müssen, um der pandemischen Lage Herr zu werden, wird dann auch die bundesweite Verteilung der „Leugner“ kartographiert, deren Namen und Adresse kennen zu wollen, nur eine Frage der Zeit ist. Dieses zwanghafte Kontrollbedürfnis wird nicht nur gestützt von Journalisten, die sich für den medialen Arm der Aufklärung halten, wenn sie etwa das Vertrauen in gesunde Immunsysteme als „vernunftfernen Glauben an von der ‚Schulmedizin‘ ignorierte Selbstheilungskräfte der Natur“ denunzieren. Auch das deutsche Kapital dient sich dem eskalierenden Staat an und bringt dabei reihenweise schlichtweg schwachsinnige Werbeslogans hervor. Mit „Das Impfen oder Nichts“ wirbt etwa Mercedes und verdeutlicht damit den vernunftfernen Glauben an die Impferlösung sowohl formal als auch inhaltlich.
Desillusionierung und Hoffnungsschimmer
Was geschieht hier? Ein – in den Worten des Bundeskanzlers – „Regime“ schickt sich an, mit einem „Waffenarsenal“ an Maßnahmen die „roten Linien“ des Rechtsstaats zu übertrampeln. Der covidianische Unstaat hebt Grundrechte als Privilegien für konformes Verhalten negativ auf und untergräbt stetig aggressiver sein bürgerliches Ausgangsfundament. Dass Scholz mit seinem Amtseid einen Hohn auf das Grundgesetz leistete, erkennt man längst nicht nur an Kindern, die von Klassenfahrten ausgeschlossen werden, weil sie gegen einen für sie harmlosen Erreger nicht geimpft sind. In der Weihnachtszeit zeigte sich eine Zerrissenheit in vielen Familien, die von der Politik zielgerichtet herbeigefürchtet wurde, ohne einen Funken Respekt für christliche Werte, die zu schätzen, man nicht einmal gläubig sein muss. Ich gebrauche dieses Wort sparsam: Die Bundesregierung zersetzt die Gesellschaft.
Das von ihr zurückgelassene soziale Trümmerfeld wird noch weitere eigentlich stinknormale Menschen mit Familie und Kindern dazu treiben, sich in verzweifelter Defensive von einer „ekelhaften Gesellschaft“ abzuwenden. Allerdings erzeugt der lebensfeindliche Massenwahn auch eine Gegenbewegung, Menschen kommen nun miteinander ins Gespräch, deren Protest vom erfahrungsvermittelten Wissen zeugt, was eine Gesellschaft erst lebensfroh und zivilisiert macht: Angst- und Zwanglosigkeit im alltäglichen Miteinander sowie die Bereitschaft, Konflikte diplomatisch auszuhandeln. Das stimmt hoffnungsvoll für die Zukunft. Doch haben freundliche Menschen noch eine ganze Weile die neurotisierte Mehrheit zu ertragen; und die hat sich in einem selbstbezüglichen System aus Zahlen, Verordnungen und Dogmen restlos um den Verstand gebracht.