Von Jacques Offenburg.
Wie schwierig es mit der gendergerechten Sprache auch für jene ist, die sich redlich um sie bemühen, wurde mir erst neulich wieder bewusst, als ich eine Bekannte fragen wollte, ob sie einen Führerschein besitze. Da mir viel daran lag, die Beziehung zu vertiefen, wollte ich nichts falsch machen. Die Gefahr, ins Fettnäpfchen zu treten, war groß. Denn abgesehen davon, dass das F-Wort heute generell einen unangenehmen Beigeschmack hat, kann eine Frau niemals Führer, sondern allenfalls Führerin sein. „Gibt es eigentlich“, so überlegte ich laut, „Führer- und Führerinnenscheine?“ Die Dame meinte, man sollte besser von einem Fahrzeugführungsschein sprechen. Oder, weil Führungsschein ein ungebräuchliches Wort sei, von einem Fahrzeugführungs-Zeugnis. Darauf wandte ich ein, dass Letzteres dem Fahrzeug bescheinigen würde, dass es sich selber gut geführt habe. Fahrzeuge aber, die sich selber gut führten, bedürften ja keiner Fremdführung mehr.
Mein Gegenüber sah mich irritiert an. Rasch erklärte ich, dass ich mit Fremdführung nicht die Tätigkeit eines Fremdenführers oder einer Fremdenführerin meinte, sondern die Führung des Fahrzeugs durch eine fremde Person, also einen Fahrer oder eine Fahrerin. Wir einigten uns darauf, dass das Ganze sehr kompliziert sei und man schon klare Vorgaben bräuchte. Um keine Zweifel an meiner richtigen Gesinnung und meinen guten Absichten aufkommen zu lassen, betonte ich, dass solche Vorgaben auch rechtlich verbindlich sein sollten: Am besten – und nun unterlief mir ein unverzeihlicher Fehler – durch einen entsprechenden Passus im bürgerlichen Gesetzbuch. Natürlich hätte ich bürger*Innenlichen Gesetzbuch sagen sollen. Und so musste ich mir die berechtigte Frage gefallen lassen, ob ich die Rechte der Zivilgesellschaft nur auf Männer beschränkt wissen wolle.
Ich versuchte die Situation zu retten, indem ich die Flucht nach vorn antrat: Die konsequente Verwendung des Gendersternchens bei Bürger*Innen sei in der Tat ein großes Desiderat. Erst neulich hätte ich mir überlegt, wie wir eigentlich das Oberhaupt einer Stadtverwaltung nennen sollten. Bürgermeister*In sei ja nur eine halbe Sache. Eigentlich müsste es doch Bürger*Innenmeister*In heißen. Noch besser sei es freilich, alle Geschlechter (derzeit immerhin 71) einzubeziehen, und – in Analogie zu den ‚Lehrenden’ und den ‚Studierenden’ – die Pluralform des Partizips Präsens Aktiv zu wählen, zumal Partizipation gerade in der Politik derzeit hochwillkommen sei. Meine Bekannte fand das sehr überzeugend, fragte mich aber, wie ich die Partizip-Form zu Bürger*In und Meister’*In zu bilden gedächte. Die Bürgenden, die Meisternden? Das Stadtoberhaupt als der/die BürgendenMeisternde?
Dieser Begriff sei in der Tat etwas schwierig, gab ich zu, denn er führe zu einer Sinnverschiebung. Ein bürgendenmeisterndes Stadtoberhaupt würde die Bürgenden meistern, also diejenigen, die für die Fehler der Politiker*Innen beziehungsweise Politikmachenden mit ihren Steuergeldern bürgen, im Zaume halten. Aber nun ja, immerhin komme das der politischen Realität durchaus nahe.
Ein weiteres Eigentor
Meine Bekannte fand diese Äußerung etwas populistisch, und so gab ich auch umgehend zu bedenken, dass der Begriff BürgendenMeisternde im Zeitalter der Inklusion ohnehin einen schalen Beigeschmack habe: Stadtoberhäupter seien ja nicht nur für jene zuständig, die das Bürger*Innen-, pardon, das Bürgendenrecht besitzen, also für die schon länger hier Lebenden, sondern auch für alle anderen Einwohnenden. Also sollte man vielleicht sagen: Betreuende aller Einwohnenden.
Meine Bekannte fand diesen Lösungsansatz gut und schlug vor, ihn auf andere Bereiche zu übertragen. Könne es statt Minister*Innenpräsident*In nicht einfach MinistrierendenPräsidierende heißen? „Sehr richtig“, rief ich. Und weil ich mich nun endlich auf der richtigen Spur wähnte, nahm ich weiter Fahrt auf: „Und wie verhält es sich mit dem höchsten Regierungsamt? Wo residiert der/die Bundeskanzler*In? Doch nicht etwa im Bundeskanzleramt? Das Mindeste wäre Bundeskanzler*In-Amt. Noch besser wäre freilich der/die Bundeskanzelnde im Bundeskanzelndenamt.“ Doch meine Bekannte war skeptisch. Es könne zu falschen Assoziationen führen. Etwa, dass die in diesem Lande lebenden Menschen immer wieder (ab-)gekanzelt würden. Oder dass das eine oder andere Wahlversprechen gecancelt würde. Dann, so fuhr sie ironisch fort, könne man ja gleich Bundescancelndenamt – oder alternativ Bundescancel-Zentrale – sagen. Ich versuchte, die Situation zu retten, indem ich die ‚Bundeskanzlei’ ins Spiel brachte. Dumm nur, dass es mal eine Reichskanzlei gab! Ich hatte ein weiteres Eigentor geschossen.
Ich unternahm einen neuen Anlauf: „Na ja, vielleicht war das mit den Partizipien ja doch keine so gute Idee von mir. Immerhin verleiten sie ja auch zu einem falschen Gebrauch. Nehmen wir das Wort ‚Reisende’. Es bezeichnet Menschen, die sich gerade auf einer Reise befinden und nicht Leute, die gelegentlich reisen. In Entsprechung dazu bezeichnet das Wort ‚Lehrende’ Personen, die im Begriff sind, zu lehren. Wie aber können Menschen, die gerade ihre Lehre abhalten, in einer Konferenz zusammensitzen? Also gibt es in Schulen und Hochschulen gar keine Lehrendenkonferenzen. Allenfalls Belehrendenkonferenzen, in denen Menschen, die bei anderer Gelegenheit lehren, sich nun selbst belehren – etwa darüber, was und wie sie in Zukunft politisch korrekt zu lehren haben. Sofern sie einander aber nicht belehren, sondern einfach nur konferieren, sitzen sie in einer Konferierendenkonferenz.“
Wenn Sprache auf die Hündin kommt
In der ihr als Frau eigenen Feinfühligkeit erspürte meine Gesprächspartnerin meine guten Absichten. Begütigend erklärte sie, das Wort „Bundeskanzlei“ sei zwar unglücklich gewählt, nichtsdestoweniger wären andere Abstracta durchaus sinnvoll. Beispielsweise könnte man statt „Präsidierende“ „Präsidium“ sagen. Und statt von „Befreundeten“ oder „Angefreundeten“ (immerhin noch besser als Freunde und Freundinnen) könne man vom „Freundeskreis“ sprechen. Auch sei es nicht nötig, das Wort „Kollegende“ zu bilden, weil man auch „Kollegium“ sagen könne.
Das alles war gut gemeint, aber leider überkam mich in diesem Moment meine männliche Eitelkeit. Mitleid wollte ich nicht haben, und so verfiel ich zu meinem Unglück in die toxische Rolle des Besserwissers: „Der Ansatz, Personen als ein Gremium oder als eine Institution zu definieren, funktioniert leider nicht bei einzelnen Individuen“, erklärte ich. „Denn das Kollegium, das Ministerium und das Präsidium sind Kollektive. Also müsste man bei Einzelpersonen sagen: Die Leitende Person der Bundeskanzlei, die Leitende Person des Ministerium-Präsidiums, das Mitglied der Kollegiumskonferenz.“
Da meine Bekannte nichts erwiderte, fuhr ich fort: „Darüber hinaus lässt sich auch gar nicht für alle Gruppen ein Überbegriff finden. Was wäre beispielsweise der Sammelbegriff für die Backenden? Früher, in dunkeldeutschen Zeiten, hätte man gesagt, Bäcker und Bäckerinnen arbeiten in einer Bäckerei. Wirklich? Nicht in einer Bäcker*Innenei oder einer Backendenei? Doch Gottseidank/Göttinseidank/Gottheitseidank wurde in dieser verfahrenen Situation ein Ausweg gefunden: Mitglieder des Backgewerbes arbeiten in einem Backshop. Selbiger stellt per definitionem zwar keine Backwaren her, sondern verkauft sie nur, aber was soll’s? Ein(e) Schelm*In, wer alle diese Differenzierungen für eine Eselei – pardon! Esel*Innenei hält oder glaubt, nun sei die Sprache auf die Hündin gekommen.“
Nationaler Sprachsozialismus?
In der Überzeugung, mit diesen glänzenden Wortspielen zu imponieren, ergänzte ich: „Mit den Tieren ist es überhaupt so eine Sache. Kann ein Mann sich sauwohl fühlen und eine Frau pudelwohl? Oder fühlt ein Mann sich nicht eberwohl und eine Frau – ja was: püdelinnenwohl oder pudeldamenwohl? Nun könnte man ja einfach sagen, ein Mann fühle sich pudelwohl und eine Frau sauwohl. Das wäre einerseits korrekt, würde Frauen aber doch auch wieder benachteiligen. Denn eine Sau ist innerhalb der Tiermetaphorik eindeutig negativer konnotiert als ein Pudel.
Das Gesicht meiner Bekannten versteinerte sich. Ich aber redete mich in Rage: „Nichts ist ehrenhafter, als sich im Sinne der politischen Korrektheit für den rechten Sprachgebrauch einzusetzen. Wobei rechter Gebrauch natürlich nicht in den Plural gesetzt werden darf. Wenn wir in diesem Lande eines nicht brauchen, dann sind es rechte Gebräuche. Niemand will braunem Brauchtum das Wort reden. Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen wollen wir in unserem Lande nicht, und folglich auch keine Nationalsozialisierende beziehungsweise auf nationaler Ebene Sozialisierende. Am Ende hätten wir sonst noch nationalen Sprachsozialismus!“
Bei den letzten Sätzen hatte ich mein Haupt emphatisch in die Höhe geworfen. Als ich mich wieder meiner Bekannten zuwenden wollte, war der Stuhl mir gegenüber leer. Mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass es ein zweites Rendezvous nicht geben wird. Das Verhältnis der Geschlechter – es ist einfach kompliziert!