112-Peterson: Wir sind stärker, als wir glauben

Angesichts des Verlustes zweier Familienmitglieder musste ich mich mit dem Tod auseinandersetzen. Bei den Beerdigungen ergriff ich die Gelegenheit, jeweils mit dem Bestattungsunternehmer zu sprechen, weil diese Leute an und für sich einen seltsamen Job haben. Es gibt ja die Theorie von Freud, die besagt, dass Menschen furchtbar unter der Todesangst leiden. Eine ganze Reihe sozialpsychologischer Theorien, genannt Terror-Management-Theorie, beruht auf der Idee, dass wir uns mit unseren Glaubenssystemen gegen die Todesangst verteidigen. Diese Idee vertrat auch Ernest Becker, der darüber das großartige Buch „Die Überwindung der Todesfurcht“ geschrieben hat.

Diese Theorien haben jedoch eine Schwäche: Es gibt nachweislich Menschen, die dem nicht entsprechen. Krankenschwestern in der Notaufnahme oder Palliativpflege sind beispielsweise nicht so. Meine Schwägerin arbeitet als Krankenschwester in der Palliativpflege. Das ist vielleicht ein harter Beruf! Man pflegt Menschen, die leiden, weil sie sterbenskrank sind. Man versucht ihnen ihre verbliebene Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Im Zuge dessen entwickelt man eine Bindung zu ihnen, denn das ist eine logische Folge daraus, dass man sich um sie kümmert. Und dann sterben sie. Und das geschieht ständig. Es ist doch seltsam, dass Menschen überhaupt in der Palliativpflege arbeiten können. Wie ist das möglich? Es zeigt sich, dass wir seltsamerweise auch angesichts des Todes leben können.

Um nun auf die Bestattungsunternehmer zurück zu kommen: Es war sehr interessant, sich mit ihnen zu unterhalten, weil sie sich ununterbrochen mit dem Tod und mit Trauer auseinandersetzen. Die beiden, mit denen ich sprach, fanden ihren Beruf sehr bedeutsam. Ich fragte sie, was das eigentlich mit ihrem Leben macht, dass sie von Tod und Leid umgeben sind. Die Antwort lautete, dass es ihr Leben nicht untergräbt, sondern bereichert. Darauf wäre doch niemand gekommen, denn das macht eigentlich überhaupt keinen Sinn. Es wirft jedoch ein interessantes Licht auf das, was Menschen leisten können. Gott allein weiß wohl, wie stark wir sind.

Man muss nur einmal einen Blick auf unsere Geschichte werfen, da findet man unzählige Beispiele dafür, wie stark Menschen sein können. Ich las zum Beispiel das Buch „635 Tage im Eis. Die Shackleton-Expedition“ über das Schiffsunglück der Endurance in der Antarktis 1915 (im Zuge der Endurance-Expedition zwischen 1914 und 1917, Anm.d.Red.). Die Besatzung harrte daraufhin ein Jahr in der Antarktis aus, ohne dass ein einziger starb. Das muss man sich mal vorstellen! Mit Hilfe ihrer drei Rettungsboote landeten sie schließlich auf Elephant Island. Von dort aus wurde ein Teil der Mannschaft zur Walfänger-Insel Südgeorgien geschickt, um Hilfe zu holen. Diese Truppe durchquerte also in einem Rettungsboot 1.500 Kilometer des rauhesten und kältesten Ozeans der Welt. Sie erreichten die Insel, mussten jedoch nach dem Anlegen ein völlig unbekanntes Gebirge überqueren. Auf der anderen Seite fanden sie Hilfe und konnten schließlich die zurückgebliebenen Mannschafts-Mitglieder retten. Und alle überlebten.

Wenn man sich derartige Geschichten vor Augen hält, kann man sich auch fragen, wie stark man eigentlich selber ist. Vielleicht finden wir das heraus, indem wir uns einer Herausforderung stellen. Am besten einer, von der wir glauben, dass wir sie bewältigen können und die sich nur ein wenig unserer Reichweite entzieht. Wenn wir solch eine Herausforderung meistern, sind wir schon ein wenig stärker. Und dann geht es weiter zur nächsten, größeren Herausforderung. Gott allein kennt unsere Grenzen. Wir können es herausfinden, indem wir uns der Welt stellen.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug und hier zum gesamten Vortrag.

Erfreute redaktionelle Nachbemerkung: Jordan B.Peterson, der schwer  erkrankt war, erholt sich von seinem Koma. Wie, das sehen Sie hier.

Foto: jordanbpeterson.com

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Prisca Kawubke / 27.05.2020

Ich bin froh zu lesen, dass es Jorsan Peterson wieder besser geht!

Thomas Taterka / 27.05.2020

Es gibt eine wirklich sehr gelungene Fernsehproduktion über die Fahrt der “Endurance” mit Kenneth Branagh als Shackleton. Wer also keine Lust hat, sich erziehen zu lassen von den ” üblichen Verdächtigen “, hat hier ganze zwei Abende zur besseren Auswahl. Zum Text oben möchte ich anmerken, daß die “Auseinandersetzung” mit dem Tod denen am leichtesten fällt , die am weitesten davon entfernt sind , jemanden geliebt zu haben. Einen geliebten Menschen ( oder auch ein Tier)  kann man nicht “ersetzen”, man bleibt mit Erinnerungen zurück, die man aushalten muß. Da gibt’s nichts zu ” bewältigen “. Der Tod ist keine blöde Schule, in der man Noten bekommt, um besser klarzukommen mit dem absurden Scheiß, den man Leben nennt. Er hat keinen ” Sinn ” , er ist einfach nur das Ende eines Lebens.

M. Schneider / 27.05.2020

In einer satten mit Mehltau und Alternativlosigkeit überzogenen (Merkel)Gesellschaft haben viele Menschen es vielleicht verlernt, sich ernsthaften Herausforderungen zu stellen oder geben schnell auf, wenn sie damit konfrontiert werden, versuchen erst gar nicht, zu kämpfen, so dass sie niemals das Gefühl kennen lernen werden, an Erfahrung reich und viel stärker daraus hervorzugehen.

Sebastian Kramberg / 27.05.2020

Ich freue mich sehr, daß Herr Peterson genesen ist und seine Arbeit wieder aufgenommen hat, trotz seiner schwierigen persönlichen Situation und Verluste.

Wolfgang Kaufmann / 27.05.2020

Herausforderungen suchen? Probleme sehen? Hindernisse überwinden? Das sind Tugenden, mit denen Sie vielleicht im 19. Jahrhundert den Wilden Westen erobern oder im 20. Jahrhundert zum Mond fliegen konnten. Aber eine von Helikoptereltern gepamperte Generation sprechen Sie damit nicht an. In der Generation „Rundum-Sorglos“ muss es das teuerste Smartphone sein und der höchste Schulabschluss, aber völlig ohne Mühe, gratis und umsonst. Cool sind heute das herrische Verhalten und die Ausbeutung der Malocher, die im Jahre 1789ff. den französische Adel aufs Schafott brachten. – Ein Grundeinkommen ohne zu arbeiten, kiffen, chillen und gamen den ganzen Tag; andernfalls kommt der übliche Hammer: „Ihr klaut uns unsere Zukunft.“ Schon verlangen einige Hüpferlinge die Bar-Auszahlung von Kindergeld und Corona-Stütze. Und eine weichgepülte Müttergeneration, die lieber fraternisiert als zu erziehen, zieht sich den Schuh auch noch an. – Oft bleiben die Männer bei diesem Thema sowieso außen vor, denn ihnen gehören die Kinder nicht. Nach einer langen und aufwändigen Ausbildung nimmt man zur Not auch ein Second-Hand-Weibchen ins Bett und Bankerte aus früheren Verbindungen ins Haus. Er ist die Drohne und sie die Königin. Wieso stark sein, wenn dreist reicht?

Werner Arning / 27.05.2020

Es gibt Menschen, deren Angst vor dem Leben größer ist als ihre Angst vor dem Tod. Häufig sind dieses Menschen, die sich den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen fühlen. Sie fühlen sich überfordert. Instinktiv ziehen sie sich lieber zurück, als sich beispielsweise einer Schwierigkeit zu stellen. Lieber geben sie nach, als beispielsweise ihr Recht einzufordern. Sie begeben sich lieber in die Rolle des Unterlegenen, auch wenn sie wissen, dass sie eigentlich stärker sind und es eigentlich besser wissen als ihr Gegenüber. Sie geben gerne Anderen recht, anstatt ihr Anliegen zu vertreten. Sie machen sich lieber klein. Sie begeben sich gerne „unter den Schutz“ einer anderen Person, die alles für sie entscheidet. Denn Entscheidungen treffen zu müssen, überfordert diese Lebensängstlichen. Ja, Entscheidungen peinigen sie. Denn die jeweilige Entscheidung könnte ja ein Fehler sein. Den würden sie sich, wenn es schiefgeht, vorwerfen, denn sie gehen hart mich sich selber ins Gericht. Anderen verzeihen sie deren Fehler. Eher geben sie sich selber noch die Schuld an diesen, als den Anderen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist ihnen äußerst unangenehm, jemanden bloßzustellen. Aus Angst vor dem nächsten Schritt verharren sie lieber still. Und in gewisser Weise löst der Gedanke an den Tod keine unangenehmen Gedanken bei ihnen aus, im Grunde ist eher das Gegenteil der Fall. Natürlich sprechen sie diesen Gedanken nicht aus. Aber endlich Ruhe zu finden vor all den Herausforderungen, das klingt für sie durchaus attraktiv. Diesen Menschen sei gesagt : du bist viel stärker als du denkst. Tu es. Und sei es ein Fehler. Mache aus deiner Schwäche eine Stärke. Blödsinn aus Lebenshilfebüchern? 5 Mark ins Phrasenschwein? Das kommt darauf an.

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