112-Peterson: Kleiden Sie sich wie ein Erwachsener!

Unsere gesamte Kultur fördert die Idee, dass die Teenagerzeit der Höhepunkt unseres Lebens sei. In der Folge laufen Erwachsene gerne betont leger herum. Vor allem Männer sind oft wie übergroße Zehnjährige gekleidet.

Bevor ich 2018 auf Tournee ging, dachte ich mir, dass ich so adrett wie möglich aussehen sollte, wenn ich vor insgesamt 100.000 Leuten spreche. Also kaufte ich mir ein paar sündhaft teure Anzüge – und hatte prompt ein schlechtes Gewissen wegen dieser Extravaganz. Mein Auftreten hatte jedoch zur Folge, dass immer mehr junge Männer zu meinen Vorträgen im dreiteiligen Anzug erschienen. Oder Paare sich kleideten, als wären sie Gäste einer Hochzeitsfeier. Das vermittelt mir das Gefühl, dass diese jungen Leute keine Lust mehr haben, sich wie Kinder aufzuführen.

Unsere gesamte Kultur fördert die Idee, dass die Teenagerzeit der Höhepunkt unseres Lebens sei. In der Folge laufen Erwachsene gerne extra leger herum. Vor allem Männer sind oft wie übergroße Zehnjährige gekleidet. Das hat etwas sehr Erniedrigendes. Unsere Kultur gibt den Leuten immer weniger Gelegenheit, sich auf klassische Weise herauszuputzen und sich wie Erwachsene zu präsentieren. Die Wichtigkeit eines solchen Auftritts wird seit den 60er Jahren immer weiter heruntergespielt.

Natürlich ist diese Entwicklung auch einfach als Folge von Modetrends zu verstehen. Mode entwickelt sich immer von oben nach unten. Wenn Förmlichkeit zur Norm wird und schließlich auch die unteren Schichten erreicht, dann will die Oberschicht natürlich nicht mit den Unmodischen gleichgesetzt werden und kleidet sich plötzlich legerer. Wenn dieser Trend dann wieder die unteren Schichten erreicht, müssen sich die Tonangebenden erneut etwas anderes ausdenken.

Die aufgepumpten Versionen ihrer eigenen Söhne

Hinzu kommt aber die reflexartige Haltung, dass alles, was irgendwie mit patriarchaler Unterdrückung oder dem Erwachsensein assoziiert wird, zugunsten einer angeblich freien Individualität eliminiert wird. Das Ergebnis ist aber, dass am Ende alle gleich aussehen. Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal im Sommer nach Washington reiste, verblüffte mich eine Sache am meisten: Zu sehen, dass erwachsene Männer zwischen diesen Denkmälern herumliefen und aussahen wie eine große Version ihrer kleinen Söhne. Als hätte man sie mit der Fahrradpumpe aufgeblasen. Ich dachte mir, wie seltsam es doch ist, wenn sich Erwachsene wie Kinder kleiden.

Natürlich ist dies ein globales Phänomen und nicht nur auf die USA oder Kanada beschränkt. In Washington erlebte ich in dieser Hinsicht einen Schlüsselmoment, weil die Stadt doch in gewisser Hinsicht ein Pilgerort ist und man Menschen verschiedener Schichten gleichzeitig erleben kann. Ich hatte also buchstäblich den Querschnitt der Bevölkerung vor mir.

 

Dies ist ein Auszug aus einem Gespräch von Jordan B. Peterson mit Bet-David und Adam Sosnick. Hier geht's zum Auszug und hier zum gesamten Gespräch.

Foto: jordanbpeterson.com

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RMPetersen / 11.05.2022

An meiner ersten Berufsstelle lernte ich die Bedeutung angemessener Kleidung kennen. Ich musste für die Umweltbehörde zu kritisch-ablehnenden Industrie-Veranstaltungen; dort hat es mir sowohl inneren Rückhalt gegeben als auch gegenüber dem Publikum Ernsthaftigkeit gezeigt, dass ich korrekt und seriös gekleidet auftrat. Für Vorträge bei NGOs war man ohne Krawatte ok, bei Industrieverbänden immer mit gutem grauen oder dunkelblauem Anzug. Abends auch mit schwarzem Jackett. Und immer mit einem serösen Schlips. Das sind nicht beliebige Äusserlichkeiten, sondern verdeutlichen den Willen, auf gleicher Augenhöhe sprechen zu wollen und sprechen zu können. Man kann sich auch durchkämpfen, wenn man schlampig gekleidet kommt, aber es ist unendlich viel schwerer. Und Etliche erreicht man nicht.

Detlef Rogge / 11.05.2022

“Mode entwickelt sich immer von oben nach unten.” Ach ja? Das war einmal. Empfehlenswerte Lektüre: Paul Fussel über das Prole Drift Syndrom, leider nicht in deutscher Übersetzung, was allein schon Bände spricht. Kaum daß die Temperaturen erträglich werden, sieht man sie wieder im öffentlichen Raum, erwachsene Männer in kurzen Hosen. Respektlos, schamlos, piefig, frei jeder Ästhetik, einfach ekelhaft. Und die Frauen? Mehr eingepackt statt angezogen, Farbenlehre ungenügend. Keine Pariserin oder Römerin würde so rumlaufen, wie es deutsche Frauen tun.

Marcel Seiler / 11.05.2022

Autor Peterson hat recht. Auch ich kleide mich nicht wirklich wie ein Erwachsener. Ich wollte nie wie die Generation meiner Eltern sein. Insbesondere die Unterwürfigkeit, die sie uns abverlangten, wollte ich nie jemand anderem abverlangen. Weitere Faktoren: Diese Gesellschaft zeigt Erwachsenen keinen Respekt. Sie erlaubt es Männern nicht, Männer zu sein. Warum sollen sich Männer als erwachsene Männer kleiden wollen?

Daniel Zander / 11.05.2022

So sehr ich Herrn Peterson sonst schätze, hier muss ich ihm zumindest teilweise widersprechen. Es ist sicher richtig, dass manche Leute herumlaufen, als ob sie von der Fernsehcouch kämen - Trainingsanzug und ähnliche Fürchterlichkeiten - aber darob Anzug und Krawatte als modisches Erwachsenenbekenntnis zu proklamieren will mich gar nicht überzeugen. Es scheint im Gegenteil so, dass diese genannten Kleidungsstücke eher die Uniform der Angepassten, der Opportunisten, der beruflichen Streber sind, ein Ausdruck absoluter Konformität. Das Gewand des Bürgertums ruft in mir jedenfalls Assoziationen an eine bürgerliche Welt hervor, die sich in Formen und Regeln schickt - und oft auch darin erschöpft -, ein textiles Manifest des absoluten Willens, die Form über den Inhalt zu stellen.

Dr. Joachim Lucas / 11.05.2022

So wie die überall verbreitete und respektlose Anduzerei einer pöbelhaften Anmache gleicht, so ist das “Sie” ein Zeichen von Respekt und die alters- und situationsabhängige Kleidung ein Ausdruck von Wertschätzung. Und sie ist Ausdruck einer Selbstpositionierung. Früher gabs den - immer noch zeitlosen - Spruch. “Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen”. In dieser Gesellschaft gibt es inzwischen kein Schamgefühl mehr, nichts ist den Leuten mehr peinlich, kein Aufzug zu lächerlich und infantil genug. Schon Lagerfeld wußte:. “Wer im Jogginganzug rumläuft, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.” Aber es ist inzwischen nicht mehr nur der Jogginganzug.

Heiko Stadler / 11.05.2022

Kürzlich erhielt ich einen Brief von einer großen deutschen Telefongesellschaft. Der Inhalt lautete etwa so: “Hiermit bestätigen wir dir, dass wir dir deinen gewünschten Service eingerichtet haben.” Ich zuckte kurz zusammen, verzichtete dann aber doch darauf, der Telefongesellschaft mitzuteilen, dass ich weder im Sandkasten spiele, noch als Politiker irgend welche geistigen Sandkastenspielchen mache.

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