Alex Feuerherdt / 04.07.2016 / 15:02 / Foto: Oxfordian Kissuth / 3 / Seite ausdrucken

Wisch und weg! So schafft man den Antisemitismus ab!

Es gibt in diesen trüben Zeiten auch noch gute Nachrichten, eine davon lautet: Der Antisemitismus stirbt in Deutschland allmählich aus. Das haben jedenfalls honorige Wissenschaftler der Universität Leipzig in ihrer neuesten „Mitte-Studie“ herausgefunden, in der sie schreiben, nur noch fünf Prozent der West- und 4,1 Prozent der Ostdeutschen hegten Hass gegen Juden. Wäre der Antisemitismus eine Partei, zöge er also nicht in den Bundestag ein, sondern müsste ein schnödes außerparlamentarisches Dasein fristen wie beispielsweise die FDP. Wenn das der Führer erführe!

Dummerweise hat die gute Nachricht einen Haken, denn die Wissenschaftler haben ein bisschen gemogelt. Ihre Studie misst nämlich „nicht tatsächlich vorkommenden Antisemitismus, sondern nur sogenannten klassischen Antisemitismus“, wie Alexander Nabert in der Jungle World zu Recht schreibt. „Klassisch“ heißt gleichsam: old school. Juden arbeiten mit üblen Tricks, sind eigentümlich, passen nicht zu uns, haben einen zu großen Einfluss – solche Sachen eben. Das sagen heute nicht mehr ganz so viele so offen, aber damit hat sich das antisemitische Ressentiment natürlich nicht erledigt.

Antisemitismus? Gibt’s nur rechtsaußen!

Vielmehr hat es längst andere Ausdrucksformen gesucht und gefunden. „Der moderne Antisemitismus projiziert auf Israel, was er früher auf die Juden projizierte, hetzt gegen Banker, wo er früher nur Juden sah, und verfällt in ein verschwörungstheoretisches Geraune über ‚die da oben‘, anstatt über ‚die Juden an den Machthebeln‘ zu schwadronieren“, wie Nabert pointiert zusammenfasst. In der „Mitte-Studie“ kommt dieser moderne Antisemitismus aber nicht vor, er wird gewissermaßen wegdefiniert. „Weil der Fokus der Untersuchung in diesem Jahr auf der Islamfeindlichkeit in Deutschland gelegen habe, hätten sich die Leipziger bei den Fragen zum Antisemitismus auf die klassischen Ressentiments beschränkt“, gibt Johannes C. Bockenheimer im Tagesspiegel die Begründung der Wissenschaftler wieder.

Eine absurde Rechtfertigung durch die Forscher, mit der das Problem grotesk verharmlost wird. Gleichzeitig ist die Studie prototypisch für die in Deutschland ausgesprochen populäre Sichtweise, dass die „Israelkritik“ sowie der regressive Antikapitalismus nichts mit Antisemitismus zu tun haben, und dass der Hass gegen Juden nahezu ausschließlich rechtsaußen zu verorten ist. Groß ist die Aufregung dementsprechend immer nur dann, wenn sich beispielsweise ein AfD-Politikerantisemitisch äußert. Diese Partei wollen deshalb unter anderem die baden-württembergischen Jusos vom Verfassungsschutz beobachten lassen, während es dem sozialdemokratischen Nachwuchs gewiss nicht einfiele, etwa den eigenen Parteigenossen Martin Schulz ins Visier zu nehmen, obwohl der es fürwahr redlich verdient hätte.

Schulz findet Abbas' Rede anregend

Denn Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, ist nicht nur politisch verantwortlich dafür, dass der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, vor wenigen Tagen eine Rede vor eben jenem Parlament halten durfte. Er nannte diese Ansprache, in der Abbas die alte antisemitische Legende von den brunnenvergiftenden Juden wiederkäute, anschließend auch noch „inspiring“, also „anregend“. Der palästinensische „Präsident“, der schon lange über keinerlei demokratische Legitimation mehr verfügt, hatte unter anderem behauptet: „Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung sehr klar dazu aufgefordert, unser Wasser zu vergiften, um Palästinenser zu töten. Ist das nicht eine eindeutige Anstiftung zum Massenmord gegen das palästinensische Volk?” Für seine Rede erntete Abbas von den Parlamentariern und ihrem Präsidenten nicht etwa deutliche Kritik, sondern im Gegenteil viel Applaus.

Einmal mehr hatte Abbas eine faustdicke Lüge aufgetischt, denn die erwähnten Rabbis, auf die er sich berief, gibt es nachweislich gar nicht. Dass Martin Schulz dennoch Beifall klatschte, verwundert gleichwohl nicht besonders, wenn man sich seine Rede ins Gedächtnis ruft, die er vor knapp zweieinhalb Jahren vor dem israelischen Parlament, der Knesset, gehalten hatte. Darin hatte er unter Berufung auf „junge Menschen in Ramallah“ behauptet, die Israelis dürften „70 Liter Wasser am Tag benutzen und Palästinenser nur 17“. Das stimmte zwar hinten und vorne nicht, aber das Gerücht war in der Welt. Schulz traut Israel also viel Böses zu, nach Abbas‘ Ansprache müsste er allerdings eigentlich erklären, wie es sein kann, dass die Israelis die Palästinenser mit Wasser vergiften, das sie ihnen gleichzeitig vorenthalten.

Soldaten erschießen Palästinenser nach Steinwurf

Es fragt ihn bloß niemand danach, auch nicht die etablierten Medien, die viel zu sehr damit beschäftigt sind, in Bezug auf den „Nahostkonflikt“ ihre vertrauten Erklärungsmuster zu pflegen. Wie die funktionieren, macht das Weblog PPQ in einem lesenswerten Text am Beispiel eines auf Zeit Online erschienenen Beitrags deutlich. „Soldaten erschießen Palästinenser nach Steinwurf“, lautete die Überschrift des Zeit-Textes, der dem üblichen Trick der Verdrehung von Tat und Antwort folgte, wie PPQ analysiert:

Das Prinzip von Actio und Reactio wird außen vor gelassen, die Reaktion tritt an den Anfang, das sie auslösende Ereignis hingegen ans Ende. Für den flüchtigen Leser wird die Reaktion so zum Auslöser, die ursprünglich reaktionsauslösende Aktion dagegen verschwindet in Nebensätzen.

Dass zu dieser reaktionsauslösenden Aktion nicht nur ein Steinwurf gehörte, sondern auch Molotow-Cocktails, und dass zwei Autofahrer dabei verletzt wurden, erfährt der Leser auf Zeit Online zudem erst im späteren Verlauf des Artikels. „Aber damit nicht der Eindruck hängenbleibt, hier seien ein paar Terroristen bei der Arbeit erwischt und niedergestreckt worden, hängt die Redaktion noch ein themenfremdes Stückchen über den Abriss eines Terroristenhauses an“, fährt PPQ fort. Das angesprochene Zeit Online-Stückchen endet denn auch mit den Worten: „Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen wird im In- und Ausland angezweifelt“ – es soll schließlich niemand glauben, Israel könnte irgendetwas Erlaubtes tun.

Mit einer Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates und also mit Antisemitismus hat all das natürlich rein gar nichts zu tun. Sonst fände es ja Eingang in eine „Mitte-Studie“ und könnte somit glatt als Beleg dafür gelten, dass der Antisemitismus in Deutschland doch nicht ausstirbt, sondern im Gegenteil quicklebendig ist. Eine solch schlechte Nachricht jedoch kann man in diesen trüben, wenngleich rundum vergangenheitsbewältigten Zeiten einfach nicht gebrauchen.

Zuerst erschienen auf mena-watch

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Winter / 06.07.2016

Die von Parteistiftungen der Grünen und Linken finanzierte und interessengeleitete Studie ist unter seriösen Wissenschaftlern umstritten, weil sie mit suggestiven Fragen versucht das nachzuweisen, wovon sie von vorneherein ausgeht. Wessen Weltbild immer noch kreist um Hitler und die Juden - nun, der muss halt den Begriff des Antisemitismus ständig erweitern und inflationieren, um die angebliche, permanente Bedrohung der Juden begründen zu können. Es wäre besser, bei der Definition des klassischen Antisemitismus zu bleiben - welcher in Deutschland mit dem Massenzustrom von muslimischen Einwanderern genug Zulauf erfährt - statt sich um imaginierten “Antisemitismus” zu sorgen (“grotesk” ist es, wenn er noch nicht einmal etwas mit Juden zu tun hat), dessen Beschwörung lediglich dazu dient, unliebsame politische Anliegen/Kritik pauschal zu diffamieren.

vismaldororis / 05.07.2016

Israel hat eine besondere Beziehung zu Deutschland, die aus unserer langen Geschichte erwächst. Das meint zwar nicht, dass wir unkritisch und ohne zu fragen an der Seite Israels stehen sollten, aber mindestens sollte es soweit gehen, dass wir Deutschland und damit auch deutsche Politiker Israel vertrauen sollten. Sie sollten darauf vertrauen, dass Isreal nicht einfach zulässt das Menschen nur für einen Steinwurf erschossen werden, dass Israel die Menschen in den arabischen Nachbarländer ausrotten will und auch darauf vertrauen, dass Israel nicht nach etwas schlechtem strebt. Man sollte annehmen, dass ein Land was Selbstverteidigung ausübt und dazu auch gewzungen ist, weil es von Ländern umgeben ist, die dieses Land am liebsten auslöschen würden (Ausnahmen bestätigen die Regel), ein wenig mehr Verständnis verdient hat. Antisemitismus wird geschürt, wenn man jedesmal, wenn Isreal sich gegen Terror wehr das ganze darstellt wie den unfairen großen Bruder, der sein kleines Geschwisterkind misshandelt. Dabei wird gerne vergessen, dass das kleine Geschwisterkind dem großen Bruder gerade fast das Auge ausgestochen hat… Es ist doch traurig das hier diejenigen, die sich gegen Terror und Bombenanschläge offensiv wehren, statt nur passiv zu erdulden und den Kopf einzuziehen, diffamiert werden. Und besonders traurig daran ist, dass es Israel ist, was hier diffamiert wird und das die deutschen Politiker so wenig vertrauen in dieses, mit uns so besonders verbundene Land, setzen.

Wolfgang Kaufmann / 04.07.2016

Ich vermute, dass in Deutschland rund fünf Millionen unmittelbare und bekennende Antisemiten leben. Um einiges bedenklicher sind freilich die wohlmeinenden Mitglieder und Mitgliederinnen von Zirkeln, die diese verhätscheln und ihnen das Essen in den fünften Stock hochtragen lassen – Stichwort Teddybär. Denn diese „mittelbaren“ Antisemiten sind überzeugt, die deutsche Schuld abzuarbeiten, während sie in kindlicher Naivität eine neue Katastrophe einfädeln.

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