Als Mahmud Abbas im Juni des vergangenen Jahres vor dem europäischen Parlament eine Rede hält, behauptet er darin, es gebe in Israel Rabbiner, die die israelische Regierung aufgefordert hätten, das Trinkwasser im Westjordanland zu vergiften, um Palästinenser zu töten. Das sei eine „klare Anstiftung zum Massenmord am palästinensischen Volk“. Es ist die uralte antisemitische Lüge von den Juden als Brunnenvergiftern. Die Abgeordneten erheben sich gleichwohl am Ende der Ansprache und spenden dem Palästinenserpräsidenten minutenlang Beifall, der Parlamentspräsident Martin Schulz twittert, er habe den Vortrag seines Gastes „anregend“ gefunden. Annette Groth, Mitglied des Deutschen Bundestages und Menschenrechtsbeauftragte der LinkspARTEi, äussert sich ganz ähnlich wie Abbas. Sie sagt, Israel habe die Wasserversorgung im Gazastreifen „gezielt kaputt gemacht“ und leite ausserdem „Tausende von Tonnen an Chemikalien“ sowie „toxisches Material“ ins Mittelmeer.
Jürgen Elsässer, Chefredakteur der Querfront-Zeitschrift Compact, zieht derweil auf einer Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnhof gegen „das internationale Finanzkapital“ sowie „die Wall Street“ vom Leder und ruft seinen Anhängern zu: „Wir müssen uns wehren sowohl gegen die Islamisierung wie gegen die Israelisierung und vor allem gegen die Amerikanisierung!“ Die Angesprochenen johlen, glauben wie ihr Idol fest an eine „amerikanisch-zionistische Weltverschwörung“ und sind der Ansicht, in den „Protokollen der Weisen von Zion“, einem antisemitischen, verschwörungstheoretischen Machwerk, stünden „ziemlich coole Gedanken“.
Linksradikale Demonstranten nennen den jüdischen Staat unterdessen ein „Konstrukt des Imperialismus“ und klagen gleichzeitig darüber, man dürfe „wegen des Hitler-Hintergrunds“ nichts gegen Israel sagen, weil man sonst sofort als Antisemit bezeichnet werde. Eine ältere evangelische Friedensaktivistin wirft den Israelis ein „Hineinsteigern in die Opferpsyche“ vor und behauptet, sie täten heute „etwas Ähnliches wie das, was ihnen selber widerfahren ist“, verhielten sich also wie weiland die Nazis gegenüber den Juden. Ein Rapper singt von einem „Genozid“, den Israel in Gaza verursache, andere rufen in ihren Liedern zum Boykott des jüdischen Staates auf. In einer Pariser Vorstadt ziehen Juden scharenweise fort, konfrontiert mit dem Judenhass ihrer muslimischen Nachbarn und im Stich gelassen von der französischen Politik.
Dem Antisemitismus auf den Grund gegangen
All das und noch sehr viel mehr dokumentiert der 90-minütige Film „Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa“, die Autoren Joachim Schroeder und Sophie Hafner von der Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft Preview Production aus München sind dafür viele tausend Kilometer durch Deutschland, Frankreich, Israel und den Gazastreifen gefahren. Sie zeigen aber nicht nur an ausgewählten Beispielen und Protagonisten eindringlich, wie virulent und wirkungsmächtig der Antisemitismus in beinahe allen politischen Lagern und Strömungen ist und welche unterschiedlichen Formen er annehmen kann, sondern sie ordnen ihn auch ein und zu, geschichtlich wie aktuell. Dazu dienen ihnen historische Aufnahmen genauso wie zahlreiche Interviews, die sie mit renommierten Experten geführt haben, beispielsweise mit dem amerikanischen Historiker Moishe Postone, dem israelischen Politiker Raphael Eitan – der die Mossad-Operation zur Verhaftung von Adolf Eichmann leitete – und der Linguistin Monika Schwarz-Friesel.
Darüber hinaus gehen Schroeder und Hafner in Gaza der Frage nach, was genau eigentlich mit dem vielen Geld geschieht, über das die UNRWA, das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen, verfügt – eine Einrichtung, die die radikalsten Palästinenser in ihrer Absicht, Israel den Garaus zu machen, ausdrücklich bestärkt. Sie zeigen, dass es etlichen NGOs im Nahen Osten weniger um humanitäre Hilfe geht als vielmehr um die Dämonisierung und Delegitimierung des einzigen jüdischen Staates. Sie lassen aber auch palästinensische Studentinnen und Studenten aus dem Gazastreifen zu Wort kommen, die sich überraschend klar gegen die Hamas und deren Antisemitismus positionieren. Und sie machen deutlich, dass es Palästinenser gibt, die in israelischen Siedlungen im Westjordanland arbeiten und dort in jeder Hinsicht ein gutes Auskommen haben. All das widerspricht fundamental den landläufigen Gewissheiten, die „israelkritische“ Europäer in Bezug auf die Tätigkeit humanitärer Organisationen einerseits und hinsichtlich der Palästinenser andererseits zu haben glauben.
Joachim Schroeder und Sophie Hafner ist eine herausragende Dokumentation gelungen, die dem Hass gegen Juden buchstäblich auf den Grund geht. Dabei arbeiten sie in ihrem Film überzeugend heraus, dass der moderne Antisemitismus längst nicht nur in umgekippten Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen und in körperlichen Angriffen auf Juden zum Ausdruck kommt. Sondern dass er im Hass auf den jüdischen Staat, im Antizionismus also, eine mittlerweile noch populärere und gesellschaftsfähigere Variante gefunden hat, die sowohl bei Linksradikalen als auch bei Rechtsextremisten sowie bei Islamisten und in der bürgerlichen Mitte beheimatet ist. Die vielen Perspektivwechsel, die intelligenten Interviews, die intensive Recherche, die eindrucksvollen Bilder, der meist nüchterne, manchmal aber auch angemessen sarkastische und immer präzise Kommentar aus dem Off – all das macht „Auserwählt und ausgegrenzt“ höchst sehenswert und lässt den Betrachter erheblich klüger werden. Hier geht es weiter.