Die deutsche Bundesregierung hat seit April 2018 einen Beauftragten für die weltweite Religionsfreiheit, der beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angesiedelt ist und „den Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit im zweijährigen Rhythmus fortschreiben soll“, wie es in einer Pressemitteilung heißt.
Der Posten wird bekleidet vom Esslinger CDU-Abgeordneten Markus Grübel, der zuvor parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium war. „Verfolgung und Gewalt aus religiösen Motiven nimmt weltweit stetig zu. Bei meinen zahlreichen Besuchen in den Einsatzgebieten der Bundeswehr konnte ich mir ein Bild davon machen, welcher akuten Bedrohung viele religiöse Minderheiten ausgesetzt sind“, schrieb Grübel nach seiner Ernennung. Seine Aufgabe verstehe er „auch als Einsatz für den Frieden und zur Minderung von Fluchtursachen“.
Vor einigen Tagen traf sich der Religionsfreiheitsbeauftragte mit den Direktoren der israelischen Nichtregierungsorganisation B‘Tselem, Hagai El-Ad, und der palästinensischen Vereinigung Al-Haq, Shawan Jabarin. „Themen unseres Gesprächs waren die Menschenrechtslage und die Situation der Zivilgesellschaft in Israel und den Palästinensischen Gebieten“, ist dazu auf Grübels Facebook-Seite zu lesen.
Das klingt nach Dialog und gutem Willen, nach Vermittlung und angeregtem Austausch. Und was wäre auch dagegen einzuwenden, hochrangige Vertreter einer israelischen und einer palästinensischen NGO an einen Tisch zu bringen? Zunächst einmal nichts – doch ein Blick auf die biografischen und politischen Hintergründe vor allem von Shawan Jabarin und auf die Ziele von dessen Organisation lässt das Treffen reichlich fragwürdig erscheinen.
Jabarin wurde 1985 im Alter von 25 Jahren von einem israelischen Gericht dafür verurteilt, für die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) neue Mitglieder angeworben und militärische Trainingslager arrangiert zu haben. Von den 24 Monaten Haft verbüßte er neun. Auch danach war er aller Wahrscheinlichkeit nach für die PFLP aktiv, die vor allem für ihre Flugzeugentführungen und Attentate berüchtigt ist und sowohl in der Europäischen Union als auch in den USA auf der Liste der Terrororganisationen steht.
Im Jahr 1994 musste Jabarin wegen seiner Tätigkeit für die Vereinigung jedenfalls erneut ins Gefängnis, diesmal für ein halbes Jahr. Israel ging davon aus, dass er eine führende Rolle in der PFLP einnahm. Wegen seiner Tätigkeit für diese Partei verweigerte ihm Jordanien im Jahr 2003 die Einreise, Israel wiederum hat ihm mehrfach die Ausreise untersagt.
Shawan Jabarin als Dr. Jeykll und Mr. Hyde
Für Al-Haq tätig ist Jabarin seit dem Jahr 2006. Er begann dort als eine Art Außendienstmitarbeiter und stieg bald zum Direktor auf. Der Oberste Gerichtshof Israels war im Juni 2007 gleichwohl überzeugt, dass Jabarin seine Aktivitäten für die Volksfront zur Befreiung Palästinas nicht aufgegeben hat. In einer Bekräftigung des Ausreiseverbots für ihn hieß es: „Der Antragsteller ist anscheinend ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Einen Teil seiner Zeit verbringt er damit, eine Menschenrechtsvereinigung zu führen, einen anderen wiederum als Aktivist in einer Organisation, die keine Skrupel hat, Menschen zu töten, und die sich um Rechte keinen Deut schert. Mehr noch: Sie negiert das grundlegendste Recht von allen, ohne das es keine anderen Rechte gäbe, nämlich das Recht auf Leben.“
Im Juli 2008 urteilte der Oberste Gerichtshof, es gebe „zuverlässige Informationen“, nach denen Jabarin „ein führender Aktivist der terroristischen PFLP ist“. Nachdem das Ausreiseverbot gegen ihn im Februar 2012 aufgehoben wurde, nahm Jabarin immer wieder die Gelegenheit wahr, auf internationaler Ebene gegen Israel zu agitieren: In Frankreich beispielsweise traf er sich mit Diplomaten, Parlamentariern und Vertretern von Menschenrechts-NGOs; in Südafrika trat er als „Zeuge“ vor dem Russell-Tribunal auf, das Israel unterstellte, ein „Apartheidstaat“ zu sein; in Norwegen sprach er mit dem Dachverband der Gewerkschaften, der schließlich dafür stimmte, zu einem wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott des jüdischen Staates aufzurufen.
Im Januar 2015 wurde Jabarin zudem auf Veranlassung von Mahmud Abbas zum Mitglied eines 40-köpfigen Komitees ernannt, das die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag beobachtet und die Palästinensische Autonomiebehörde bei ihren Verhandlungen mit dem ICC berät und unterstützt. Seitdem reicht Al-Haq regelmäßig Dokumente beim Gerichtshof ein, mit denen Israel kriminalisiert werden soll. Sie sollten beispielsweise zeigen, dass die israelische Armee beständig Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit begeht, etwa im Gazakrieg des Sommers 2014 sowie generell im Westjordanland und Ostjerusalem sowie im Gazastreifen.
Im Mai 2016 nahm Shawan Jabarin überdies in der spanischen Stadt Malaga an einer vom Palestinian Center for Human Rights (PCHR) organisierten Konferenz von Rechtsexperten teil, deren erklärtes Ziel es war, geeignete Strategien zu entwickeln, um „israelische Kriegsverbrecher“ vor Gericht zu bringen.
Al-Haq: Führende Organisation in der BDS-Bewegung
Jabarin ist darüber hinaus ein Befürworter der regelmäßigen Zahlungen der Autonomiebehörde an die rund 6.500 verurteilten palästinensischen Terroristen, die in israelischen Gefängnissen einsitzen, und an Angehörige von getöteten Terroristen. Bei diesen Zuwendungen gilt der Grundsatz: Je grausamer die Tat, desto länger die daraus resultierende Haftstrafe, desto höher die monatliche monetäre Unterstützung. Diese kann bis zu rund 3.500 Dollar pro Monat betragen. Hinzu kommen Boni für die Ehefrau und jedes Kind sowie je nach Wohnsitz auch Ortszuschläge. Die Kritik an diesen „Märtyrerrenten“ aus den USA und stellenweise aus Europa wies Jabarin im Juli 2017 mit dem Argument zurück, wenn die „Rechte“ der inhaftierten Terroristen „ausgehöhlt“ würden, steuere man „auf eine echte Krise in der palästinensischen Gesellschaft und unmittelbar auf eine Explosion zu“.
Jabarins Organisation Al-Haq wiederum gab, wie Pierre Heumann vor vier Jahren in der Weltwoche berichtete, „eine 34-seitige PR-Fibel heraus, in der sie für den Boykott von israelischen Produkten warb, die aus dem Westjordanland stammen“. Auch NGO Monitor betont die eminent wichtige Rolle der Vereinigung in der antisemitischen BDS-Bewegung.
Al-Haq gehörte außerdem zu den Teilnehmern der berüchtigten Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus, die im August und September 2001 im südafrikanischen Durban stattfand. Sie wurde zu einem Tribunal gegen Israel, das als Ausgeburt des Rassismus und des Kolonialismus an den Pranger gestellt und als „Apartheidstaat“ verunglimpft wurde.
Auch zum Goldstone-Bericht des notorischen UN-Menschenrechtsrates, der im Herbst 2009 erschien und eine vehemente Anklageschrift gegen Israel wegen dessen angeblicher Kriegsverbrechen im Zuge der Militärschläge Ende 2008, Anfang 2009 darstellte, trug Al-Haq maßgeblich bei. Shawan Jabarin selbst nahm im Juli 2009 an einem Hearing der Goldstone-Kommission teil.
Der Deutsche Bundestag hat bekanntlich im Mai dieses Jahres mit großer Mehrheit beschlossen, die BDS-Bewegung als antisemitisch einzustufen und ihr öffentliche Räume und finanzielle Mittel zu verweigern. Wie kann es dann sein, dass ein Beauftragter der Bundesregierung den Direktor einer führenden BDS-Organisationen zum Gespräch einlädt?
Zuvor hatte bereits Niels Annen, der parlamentarische Staatssekretär des deutschen Außenministers Heiko Maas, Al-Haq während einer Nahostreise die Aufwartung gemacht. Dass die Bundesregierung ganz offensichtlich nur die deutschen BDS-Ableger als antisemitisch einstuft, während sie die palästinensischen für zivilgesellschaftliche Ansprechpartner hält – obwohl beide sich in ihren Ansichten und Zielen nicht voneinander unterscheiden –, ist so unsinnig wie befremdlich.
B’Tselem: Von der Kritik zur Dämonisierung
Doch auch die Einladung des Direktors von B’Tselem, Hagai El-Ad, durch Markus Grübel ist fragwürdig. Das „israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten“, wie es sich selbst nennt, ist eine von mehreren israelischen NGOs, die in Westeuropa wesentlich besser beleumundet sind als in Israel selbst und ihre Gelder auch zu einem großen Teil aus Europa bekommen. Ohnehin ist ihr Wirken vor allem auf die Öffentlichkeit außerhalb Israels ausgerichtet, sie erhoffen sich davon Druck auf die israelische Regierung. B’Tselem, zu dessen Direktor Hagai El-Ad im Jahr 2014 aufstieg, hat Israel in der Vergangenheit als „Apartheidstaat“ verunglimpft und dem jüdischen Staat zudem vorgeworfen, Nazimethoden anzuwenden. Eine absurde Dämonisierung und Delegitimierung.
Ende des Jahres 2014 geriet die Vereinigung zudem in die Kritik, weil einer ihrer Aktivisten dem amerikanisch-israelischen Publizisten Tuvia Tenenbom vor laufender Kamera sagte, der Holocaust sei „eine Lüge“ und „eine Erfindung der Juden“. B’Tselem dementierte die Äußerung zunächst, dann erfolgte eine halbherzige Distanzierung und erst später die Ankündigung, sich von dem Mitarbeiter zu trennen.
Für Aufsehen sorgte auch der Versuch eines palästinensischen Mitarbeiters von B’Tselem, gemeinsam mit einem israelischen Aktivisten einen Araber, der im Westjordanland privaten Grundbesitz an Juden verkaufen wollte, in eine Falle zu locken. Dort wäre er von palästinensischen Sicherheitskräften festgenommen worden, und ihm hätte die Todesstrafe gedroht.
Die 1989 gegründete Organisation hat längst ihr ursprüngliches Ziel aus den Augen verloren, vermeintliche oder tatsächliche israelische Rechtsverstöße in den umstrittenen Gebieten zu dokumentieren, um die israelische Öffentlichkeit sowie Entscheidungsträger zu informieren und gesellschaftskritisch in Diskussionen zu intervenieren. B’Tselem ist zu einer Vereinigung geworden, die nahezu jede Tätigkeit der Armee und jedes Regierungshandeln gegenüber den Palästinensern für prinzipiell illegitim, ja, illegal hält und sich nicht scheut, mit Organisationen zu kooperieren, die dem jüdischen Staat nach seiner Existenz trachten.
Einer ihrer Hauptaktivisten etwa, Adam Aloni, sprach im September 2017 in Frankreich auf einer radikal antiisraelischen Konferenz, die den Titel „Von der Balfour-Deklaration bis heute: eine koloniale Tragödie“ trug, und stellte in Abrede, dass Israel eine Demokratie ist. Bereits im Juni 2017 hatte B’Tselem-Direktor Hagai El-Ad auf einer Veranstaltung des Komitees der Vereinten Nationen für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes behauptet, die israelische Regierung setze den Vorwurf des Antisemitismus gezielt ein, um Kritiker ihrer Politik zum Schweigen zu bringen.
Wie Al-Haq trug auch B’Tselem im Jahr 2009 zum unsäglichen Goldstone-Bericht bei und spielte fünf Jahre später, während des Gaza-Krieges im Sommer 2014, eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung überhöhter Zahlen in Bezug auf getötete palästinensische Zivilisten. Das Datenmaterial, über das die NGO verfügte, stammte dabei ausschließlich aus palästinensischen Quellen und erwies sich als nicht verifizierbar. Zudem rechnete B’Tselem in mehreren Fällen fälschlich palästinensische Kombattanten zu den Zivilisten.
Eine inhaltsleere Antwort
MENA-Watch wollte vom Religionsfreiheitsbeauftragten Markus Grübel per E-Mail wissen, welche Ergebnisse das Treffen erbracht hat, nach welchen Kriterien die Einladung gerade dieser beiden Gesprächspartner erfolgt ist, ob er den politischen Hintergrund von Shawan Jabarin kennt – vor allem seine Zugehörigkeit zur PFLP –, ob er weiß, dass es sich bei Al-Haq um eine führende BDS-Organisation handelt, und wie sich das Treffen mit dem Anti-BDS-Beschluss des Bundestages verträgt. Nach mehreren Tagen reagierte Grübel, ebenfalls per E-Mail:
„Als Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit ist es meine Aufgabe, den internationalen Dialog zu Religionsfreiheit zu führen. Zur Erfüllung dessen treffe ich mich mit zahlreichen Vertretern der Zivilgesellschaft. Gegenstand dieser Gespräche ist die Lage der Religionsfreiheit in dem jeweiligen Land sowie Möglichkeiten des interreligiösen Miteinanders in Regionen, in denen Menschen mit unterschiedlicher Religion leben.
Auch in meinem Gespräch mit B’tselem und Al-Haq ging es um Religionsfreiheit sowie die allgemeine Lage der Menschenrechte in der Zivilgesellschaft in Israel und den Palästinensischen Gebieten. Mein Anliegen bei diesen Gesprächen ist es, auf ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religion oder Ethnie hinzuwirken.“
Grübel hat sich also geweigert, auch nur auf eine einzige der gestellten Fragen einzugehen und stattdessen eine bemerkenswert inhaltsleere Antwort geschickt.
Festhalten lässt sich aber auch so: Für ein friedliches, zivilgesellschaftliches Miteinander von Israelis und Palästinensern steht insbesondere Shawan Jabarin ganz gewiss nicht. Dass ein Vertreter der Bundesregierung dennoch offensichtlich vom Gegenteil ausgeht, obwohl die antisemitische Einstellung von Al-Haq und seinem Direktor auf der Hand liegt und unschwer zu recherchieren ist, spricht genauso Bände wie die Einladung des Vertreters einer fundamentaloppositionellen israelischen NGO, die zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt. So viel auch zur Beteuerung der Bundesregierung, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf mena-watch