Von Alex Feuerherdt.
Am Ende wurde sie dann doch noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt, die Dokumentation Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa von Joachim Schroeder und Sophie Hafner. Danach hatte es lange Zeit nicht ausgesehen, nachdem der deutsch-französische Sender Arte, für den der Film ursprünglich produziert worden war, eine Ausstrahlung kategorisch abgelehnt hatte – trotz der Abnahme durch die zuständige, zum Westdeutschen Rundfunk gehörende Redakteurin Sabine Rollberg.
Für die Weigerung hatte Arte zunächst offiziell formale Gründe geltend gemacht: Die Dokumentation, so hieß es, entspreche „in wesentlichen Punkten“ nicht dem vereinbarten Projekt – zu wenig Europa, zu viel Naher Osten. Außerdem habe der arabisch-israelische Autor und Psychologe Ahmad Mansour, der die „Ausgewogenheit“ und „Ergebnisoffenheit“ garantieren sollte – eine höchst merkwürdige Vorgabe beim Thema Antisemitismus –, nicht wie ausgemacht mitgewirkt.
Dass diese Argumente nur vorgeschoben waren und es in Wahrheit um die politische Stoßrichtung des Films ging, ließ sich schon früh mehr als nur vermuten, zumal die Autoren glaubwürdig berichtet hatten, dass die Verantwortlichen des Senders ihr Werk für eine „antimuslimische, antiprotestantische und proisraelische Provokation“ hielten, mit der „Öl ins Feuer“ gegossen werde.
WDR und Arte - zwei Sender, eine Meinung
Beim Vertragspartner WDR sah man gleichwohl – respektive genau deshalb – keinen Handlungsbedarf und stellte sich hinter Arte. In der Folge gerieten die Sender allmählich unter Druck: Zum einen häuften sich in den Medien die Beiträge von Journalisten und Redakteuren, die den Film zu sehen bekommen hatten und die Ablehnung der Ausstrahlung kritisierten, so etwa René Martens in der taz und Jan Grossarth in der FAZ. Zum anderen erhob sich auch in den Social Media einige Empörung über die störrische Haltung von Arte und WDR. Doch die beiden Anstalten blieben bei ihrem Entschluss, die Dokumentation dem Publikum vorzuenthalten.
Das änderte sich erst, als die Bild-Zeitung sich der Sache annahm, ganzseitig über den Film berichtete und ihn schließlich sogar einfach für 24 Stunden auf ihrer Website online stellte. Ein Akt der digitalen Piraterie, der für den Springer-Konzern ein überschaubares Risiko darstellte. Schließlich konnte er davon ausgehen, dass Arte und der WDR schon aus Imagegründen an einem Rechtsstreit kein Interesse haben würden.
Nun war die Dokumentation im Netz und damit der Kontrolle der beiden TV-Sender entzogen. Der bewusste Leak heizte die Debatte erst richtig an. Zwar sprangen manche Journalisten jetzt Arte zur Seite: Der Film sei einseitig und fehlerhaft, hieß es verschiedentlich, deshalb sei es richtig oder zumindest verständlich, dass seine Ausstrahlung abgelehnt wurde. Doch es gab auch viel Anerkennung für den Schritt des Boulevardblatts, die Dokumentation zu zeigen, und viel Unverständnis für die Bockbeinigkeit der Fernsehanstalten.
Kein „Faktencheck“, sondern Gesinnung
Beim Versuch, die Diskurshoheit zurückzugewinnen, ergriff die ARD schließlich die Flucht nach vorne und nahm den Film kurzfristig doch noch ins Programm, gewiss nicht zuletzt deshalb, weil es sie störte, dass die Bild-Zeitung sich als Hüterin der Presse- und Meinungsfreiheit präsentierte, während Arte und der WDR sich mit dem – berechtigten – Vorwurf der Zensur herumschlagen mussten.
Die Ausstrahlung am 21. Juni sollte jedoch nicht ohne Auflagen und Einschränkungen erfolgen, ganz im Gegenteil. Zum einen wurde eine Maischberger-Talkshow im Anschluss an den Film anberaumt, deren mehrheitliche Besetzung mit „Israelkritikern“ erwarten ließ, dass der Dokumentation und seinen Machern der mediale Todesstoß verpasst werden sollte. Zum anderen wurden Schroeder und Hafner vom WDR unter Druck gesetzt: Sie sollten innerhalb kurzer Zeit einen umfangreichen Katalog mit Fragen zu ihren Quellen und Belegen beantworten, außerdem erhielten sie zwei Tage vor dem Sendetermin per E-Mail eine Aufforderung des Senders, den Film noch einmal an mehreren Stellen zu überarbeiten. Ansonsten sei es „nicht gut möglich“, ihn „in dieser Fassung auszustrahlen“.
Nachdem die Dokumentation seit Monaten in einer von einer WDR-Redakteurin abgesegneten Fassung vorlag und die Autoren dennoch immer wieder – erfolglos – ihre Bereitschaft signalisiert hatten, verbliebene Differenzen auf dem Gesprächsweg zu klären, hatte es der WDR also plötzlich eilig. Schroeder und Hafner beantworteten die Fragen trotzdem und nahmen auch die geforderten, rechtlich angeblich notwendigen Bearbeitungen vor. Allein, es half nichts: Die ARD zeigte den Film mit zahlreichen Einblendungen und redaktionellen Hinweisen, die eine vehemente Distanzierung von der Dokumentation darstellten.
Betreutes Fernsehen
Parallel dazu veröffentlichte der WDR im Internet einen „Faktencheck“ mit Anmerkungen zu nicht weniger als 29 Stellen im Film. „Betreutes Fernsehen“ nannten sowohl Thomas Eppinger als auch Gideon Böss diese Art von Kommentierung, die man sonst nur rechtsradikalen Werken wie Hitlers „Mein Kampf“ angedeihen lässt. Man tritt dem WDR vermutlich nicht zu nahe, wenn man davon ausgeht, dass diese Art der Präsentation bereits vor den Antworten und Änderungen der Filmemacher feststand.
Wie wenig der „Faktencheck“ seine Bezeichnung verdient und was er eigentlich bezweckt, ließ der WDR höchstselbst auf seinem Twitter-Account deutlich werden. Dort hieß es unumwunden: „Der Faktencheck soll zur Meinungsbildung berechtigte Gegenthesen anbieten.“ Es geht ihm also um Gesinnung, nicht um Tatsachen, womit er nichts anderes als eine Mogelpackung ist.
Entsprechend sieht er aus: Statt Fakten enthält er allerlei politische Wertungen, die den Einschätzungen der Filmemacher widersprechen, und der WDR mag nicht einmal dort Antisemitismus erkennen, wo er offensichtlicher kaum sein könnte. Etwa bei Mahmud Abbas‘ Rede vor dem Europaparlament, bei Richard Wagner oder bei der im Film zu hörenden Behauptung der Linken-Abgeordneten Annette Groth, die Israelis vergifteten das Mittelmeer mit Tausenden Tonnen toxischer Chemikalien.
Oder beim Anschlag auf das Pariser Bataclan im November 2015. Es gebe, schreibt der WDR, „keinerlei Belege dafür“, dass dieser Angriff des IS „antisemitisch motiviert war“. Er könne deshalb „nicht in eine Aufzählung antisemitischer Attentate aufgenommen werden“.
Dass das Etablissement Juden gehörte und wegen proisraelischer Veranstaltungen immer wieder bedroht wurde; dass eine salafistische Terrorgruppe, die sich später dem IS anschloss, schon Jahre zuvor kundgetan hatte, einen Anschlag auf das Bataclan zu planen, „weil die Eigentümer Juden sind“; dass der IS generell genauso wenig einen Hehl aus seiner antijüdischen Gesinnung macht wie andere islamistische Organisationen – all das genügt dem Westdeutschen Rundfunk nicht, um in dem Angriff auf die Lokalität und ihre Besucher eine antisemitische Tat zu sehen. Ob das ein Ausdruck politischer Blindheit ist oder eine ideologische Überzeugung widerspiegelt, ist dabei fast schon nebensächlich.
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