Chaim Noll / 04.09.2022 / 10:00 / Foto: Nir.roitman / 60 / Seite ausdrucken

Wie Aviv Geffen über seinen Schatten sprang

Aviv Geffen, einer der beliebtesten israelischen Pop-Musiker, hat  seinen politischen Standort neu definiert, ganz öffentlich. Wäre sowas in Deutschland möglich? Nein. Der Wahnsinn der Abgrenzung und Denunziation hat sich fest in den Köpfen eingenistet.

Aviv Geffen ist einer der beliebtesten israelischen Pop-Musiker. Selbst Leute, die ihn nicht besonders mögen (wie ich), hören hin und wieder seine Lieder. Unter denen einige poetische und witzige sind wie Se rak or hajareach („Es ist nur das Mondlicht“). Aviv Geffen ist außerdem eine Ikone der israelischen Linken. Ein Großneffe von Moshe Dayan, Neffe der früheren Knesset-Abgeordneten Yael Dayan, einer leidenschaftlichen Feindin der „Siedler“. Mit noch mancher und manchem aus der linken Tel Aviver Schickeria verwandt oder verschwägert, ist Aviv Geffen, falls es so etwas gibt, ein linker Prinz. Oder war es. Ich bin gespannt, wie seine bisherigen Freunde reagieren werden auf das, was er vor einigen Tagen getan hat.

Geffen war einer der aggressivsten Kritiker der israelischen „Rechten“, womit hier in Israel vor allem die „Siedler“ nebst Unterstützer-Szene gemeint sind, jene mittlerweile annähernd eine Million Juden (statistische Angaben schwanken zwischen sieben- und neunhunderttausend), die in der „Westbank“ oder in „Ost-Jerusalem“ leben. Also von ihrem 1922, vor genau hundert Jahren, vom Völkerbund etablierten, von dessen Nachfolge-Organisation, der UN, nie widerrufenen Recht Gebrauch machen, im gesamten früheren britischen Mandatsgebiet zu siedeln. Und deshalb von der EU und anderen Wächtern über Israels territoriale Inferiorität fälschlich als „illegal“ abgestempelt werden. Bis hin zur „Kennzeichnung“ von dort stammender Produkte und anderen an Früheres erinnernde Maßnahmen.

Und nun hat Aviv Geffen, bis vor kurzem ein Aushängeschild dieser Bewegung, plötzlich seinen Standort geändert. Radikal. Und ganz offen. Schon seit einiger Zeit war er zusammen mit dem chassidischen Sänger Avraham Fried aufgetreten, der – mit Rauschebart, schwarzer Kipah und heraushängenden Gebetsfäden – geradezu das wandelnde Feindbild linker Kreise verkörpert, und damit nicht genug: Geffen und Fried nahmen Einladungen an, in „Siedlungen“ und Militärstützpunkten in der Westbank gemeinsame Konzerte zu geben. Und bei dieser Gelegenheit hielt Aviv Geffen vor einigen Tagen, am 25.8., in der bekannten, strategisch wichtigen Siedlung Beit El eine bemerkenswerte Rede.

Wäre so etwas in Deutschland vorstellbar?

Es fiele ihm nicht leicht, sagte er, das auszusprechen, was ihm auf dem Herzen läge. Er sei Vorurteilen gefolgt und hätte Hass und Spaltung verbreitet. „Es ist beglückend, heute hier zu sein“, erklärte er.

„Hinter mir liegt eine schwere, kurze Reise in meinem Inneren, während derer ich begriffen habe, dass ihr, meine Brüder, und ich getrennt waren aus allen möglichen Gründen, darunter meine Ignoranz und mein Versuch, mich bei gewissen Kreisen beliebt zu machen. Ich habe gegen euch Stimmung gemacht aus Unkenntnis und Unverständnis, doch inzwischen bin ich erwachsen und bitte euch um Verzeihung aus der Tiefe meines Herzens. Ich bin hier aus Liebe. Viele Freunde haben mir auf dieser Reise geholfen, vor allem meine Freundin Ayelet Shaked, die mir nahelegte, tolerant zu sein und mich gegenüber der Welt zu öffnen.“

Man muss dazu sagen, wer Ayelet Shaked ist: die derzeitige Innenministerin und Vorsitzende einer Partei, die sich, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, jamina nennt, wörtlich „die Rechte“. Dass Aviv Geffen, ein Bannerträger der israelischen Linken, überhaupt mit einer Frau wie Ayelet Shaked befreundet ist, mit ihr spricht und auf ihre Ratschläge hört, hat viele überrascht. Er ist über seinen Schatten gesprungen und hat ein Zeichen gesetzt für, wie er selbst es nennt, „Einheit, Liebe und Respekt“. Derlei ist hier möglich: Dass man sich über den Graben die Hand reicht, dass man mit politischen Gegnern spricht, ins Nachdenken gerät und gegebenenfalls seine Meinung ändert. Und das ist einer der Gründe, kurz gesagt, warum es in Israel trotz aller Bedrohungen, Probleme und Widersprüche aufwärts geht und in Deutschland nicht.

Denn wäre so etwas in Deutschland vorstellbar? Wäre denkbar, dass, sagen wir, Herbert Grönemeyer auf dem Sommerfest der Jungen Freiheit auftritt, sich dort ans Mikrofon stellt und erklärt: „Ich bin glücklich, hier zu sein. Tut mir leid, Leute, ich habe mich geirrt. Ich habe euch zu Unrecht verleumdet: Ihr seid keine Nazis und keine Teufel. Ihr seid konservative Deutsche, und das muss erlaubt sein. Ihr seid meine Landsleute und meine Brüder. Lasst uns in diesen schweren Tagen zusammenhalten, auch wenn wir in manchem verschiedener Meinung sind.“

Nein, in Deutschland ist derlei offenbar nicht möglich. Dort hasst und bekämpft man sich bis in den Tod. Dort ist nicht mal in Kriegs- und Krisenzeiten, in Tagen von Inflation, drohender Rezession und nahender Winterkälte ein Burgfrieden möglich. Der Wahnsinn der Abgrenzung und Denunziation hat sich fest in den Köpfen eingenistet. Und deshalb werde ich auf der Lese- und Vortragsreise nach Deutschland, die ich in wenigen Tagen antreten soll, gerade wieder bei Gruppen, Parteien und Veranstaltern auftreten, die als „umstritten“, „rechts“, „polarisierend“ und so weiter stigmatisiert werden. Und die Ausgrenzungen, Ausladungen, gecancelten Veranstaltungen in Kauf nehmen, die aufgekündigten Freundschaften und geplatzten Buchprojekte, die sich jetzt schon abzeichnen. Und an den Juden Jesus denken: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

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Burkhart Berthold / 04.09.2022

Kommen Sie nach München?

A. Iehsenhain / 04.09.2022

Deutschland dreht mal wieder durch - früher im Inneren und Äußeren, heute vor allem im Inneren. Aviv Geffens Musik kenne ich nicht, dafür aber eine andere israelische Perle von 1977: “Lady of Shalott” von ATMOSPHERA.

Franz Klar / 04.09.2022

@Silvia Schulz : So wie die Araber nach Neukölln kamen die Juden nach Palästina und die Indigenen motzen hier wie da ... Sehnse , sind wir uns doch einig ! @sybille eden : als atheistischer Klardenker brauche ich nichts “zu nehmen” , nicht mal Koranium ... Ich bin Naturhumanist !

Zdenek Wagner / 04.09.2022

Nein, in einem Land, in dem ein Kinderbuch-Klassiker auf dem Scheiterhaufen landet, in dessen Werbung nur noch Farbige, Homosexuelle und lesbisches Klientel angesprochen und heterosexuelle Familien mit blondem Nachwuchs mittlerweile wie die Pest gemieden werden, wäre, ist und wird so etwas NIEMALS möglich sein! Nicht zuletzt gehört eine gepfefferte Portion Mut dazu und diese Republik besteht scheinbar nur noch aus feigen Denunzianten, Arschkriechern, vergesslichen Maulhelden und Duckmäusern. Der junge Mann hat meinen Respekt!

Karl Georg Lempenheimer / 04.09.2022

Ist es der israelische Mainstream, dem sich der Pop-Musiker Aviv Geffen jetzt angeschlossen hat? Dann läuft es in Israel auch nicht anders als bei uns. Missionsbeflissene werden das bei aller reinster Wahrheit ihres Narrativs natürlich übersehen.

Thomin Weller / 04.09.2022

@R. Reiger Danke für den Hinweis Eva Elisabeth Wehling und ihr “Framing-Manual für die ARD”. Das passt zur ARD und SPD als verbaler Totschläger. Das krude Demokrativerständnis ist jeden Tag sichtbarer, auch spannend das der MDR die Wehling quasi entdeckte. Natürlich ist auch die CIA Heinrich Böll Stiftung interessiert. Es geht schliesslich um Waffen gegen die Masse. Ich rätsel immer noch über welchen Schatten Aviv Geffen gesprungen ist? Den seiner Partnerin?

Sascha Hill / 04.09.2022

Nun, ob so etwas in Deutschland möglich sei? Die Frage ist relativ einfach mit Nein zu beantworten. Man braucht ja nur einmal kurz an Nena, Andrea Berg, Mario Barth oder Dieter Nuhr und weitere zu denken. Die haben bei weitem keine 180 Grad Wende wie Geffen vorzuweisen und wurden bzw werden als die größten Staatsfeinde gehandelt. Also nein, die meisten Deutschen sind für so etwas nicht reif genug.

Peter Krämer / 04.09.2022

Wäre so etwas in Deutschland vorstellbar? Nein. Es ist eigentlich schon rein statistisch völlig unmöglich, das sich in Deutschland (soweit mir bekannt) ist, nicht ein Künstler, Sportler oder sonst wie Prominenter offen zu konservativen oder als rechts geltenden demokratischen Meinungen bekennt. Das tut sich hier niemand an, dazu ist der Vernichtungsdruck all jener, die ansonsten ständig nach Toleranz und Vielfalt rufen, viel zu groß. Hier gilt freie Meinungsäußerung, man muss lediglich die gesellschaftliche Ächtung und den Verlust der beruflichen Existenz fürchten, sonst nichts.

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