Rainer Bonhorst / 04.04.2010 / 21:10 / 0 / Seite ausdrucken

Wat is ene Aufklärungsfundamentalist?

Das Wort steht im Raum, und damit stellt sich die Frage: Wer oder was ist ein Aufklärungsfundamentalist?

Soviel steht fest: Es handelt sich nicht um eine Dampfmaschine, obwohl ich, wenn das Wort fällt, immer an die “Feuerzangenbowle”  denken muss und an den schönen Physiklehrer-Filmspruch: “Nu stelle mer uns mol janz dumm. Wat is ene Dampfmaschin?” Darum kann ich es mir nicht verkneifen, in dankbarer Erinnerung zu fragen: Wat is ene Aufklärungsfundamentalist?

Eine erste, oberflächliche Nachforschung ergibt, dass Aufklärungsfundamentalisten nicht Leute sind, die sich besonders für die Sexualaufklärung in der Schule stark machen. Das ist gut zu wissen, aber keine weltbewegende Erkenntnis. Schon bei etwas näherem Hinsehen stellen wir fest, dass der Aufklärungsfundamentalist mit der anderen Ausklärung zu tun hat; nämlich mit den Prinzipien, die im Zeitalter der Aufklärung formuliert wurden, das man auch das Zeitalter der Vernunft nennt.

Aufklärung und Vernunft - damit hat er es, der Aufklärungsfundamentalist. Man könnte ihn in moderner Business-Diktion einen A&V-Mann nennen.

“Aufklärung? Vernunft? Find ich gut!” wäre die natürliche Spontanreaktion, wenn man an diese Wurzeln des Aufklärungsfundamentalismus (im Folgenden der Kürze halber auch AF genannt) erinnert wird. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Erfinder des AF haben das Wort ja nicht als Kompliment gemeint sondern als Vorwurf, ja als Verurteilung. Etwa im Sinne von: Du Aufklärungsfundamentalist, du!

Es muss also irgendwo ein Haken an der Sache sein. Hier ist er: Wer die Prinzipien der Aufklärung und der Vernunft als fundamental empfindet, neigt dazu, unaufgeklärten und unvernünftigen Verhaltensweisen, wie zum Beispiel einem Verschleierungszwang für Frauen, energisch entgegenzutreten. Jedenfalls dann, wenn sie sich auf dem Kontinent der Aufklärung breitmachen. Die Folge: Der AF wird damit in den Augen seiner Kritiker zum engen Verwandten des Islamopohoben. Um den gefühlten Verwandtschaftsgrad genauer zu beschreiben: Der Islamophob wird als ein Kind des AF betrachtet, oder umgekehrt: der Aufklärungsfundamentalismus gilt als die Mutter der Islamophobie.

Das allein kann aber nicht den Horror erklären, den der AF bei seinen Kritikern hervorruft. Warum ist für sie der Aufklärungsfundamentalist eine noch   bedenklichere Gestalt als sein Kind, der schlichte Islamophob? Die Erklärung muss man von weiter herholen, aber sie lässt sich finden: Der einfache Phob ist einer, der allem Anschein nach seine Phobie direkt aus dem Bauch oder aus anderen kopffernen Regionen heraus entwickelt hat. Man kann ihn ins nicht ernst zu nehmende Proletariat der Islamdebatte verweisen. Der Aufklärungsfundamentalist hingegen beruft sich auf herausragende Gestalten der Geschichte, auf Männer wie Kant, Lessing, Voltaire und andere mehr; und wird zum Fundamentalisten, indem er sie ernster nimmt als es die Mode ist.

Mit diesen Giganten im Hintergrund lebt der Aufklärungsfundamentalist völlig offen und ohne Scham seine AF-Neigungen aus. Anstatt, wie es nun mal die Sitte ist, unvernünftige und unaufgeklärte Verhaltensweisen freundlich beschwichtigend zu übergehen und zu relativieren, nennt er sie beim Namen und empfiehlt hier und da sogar erzieherische Gegenmaßnahmen.

Und dies im Zeitalter der postantiautoritären Beliebigkeit! Und im Namen eines Geistesprodukts, das einer weit zurückliegenden Epoche entstammt und seine beste Zeit hinter sich zu haben scheint. Man kann es den AF-Kritikern fast nachfühlen.

Nun hat aber die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt, dass ein Leben jenseits von Aufklärung und Vernunft zwar saftiger und aufregender, aber doch nicht der wahre Jakob ist. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Aufklärung und Vernunft, ich möchte sie der Kürze halber auch A und V nennen, bis heute eine gewisse Faszination ausüben. Auch rein rational betrachtet hat die A und V unabweisbare Vorzüge gegenüber der N und U, also der Nichtaufklärung und der Unvernunft. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Es ist einfach vernünftiger, vernünftig zu sein.

Aber ist es auch hipper? Ist es zeitgemäß? Aufklärung und Vernunft sind in den Ruf geraten, gestrig und ruhestörend zu sein. Muss man denn immer gleich die A und V heraushängen lassen, nur weil die Angehörigen eines antiken Männlichkeitskults ihre Frauen vor nserer Haustür in Ganzkörperzelte einsperren? Die Kritiker der AF halten es mit der Ruhe als erste Bürgerpflicht, was zwar auch eine alte, zugleich aber hochmoderne Haltung ist.

Was bleibt als Fazit? Der Aufklärungsfundamentalismus ist älter als die Dampfmaschine, ist aber - anders als diese - bis heute in Betrieb. Dies allerdings zum Ärger der Liebhaber neuerer, glatterer Technologien eines reibungslosen Ablaufs. 


 

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