Rainer Bonhorst / 24.06.2022 / 16:00 / Foto: RB/Achgut.com / 13 / Seite ausdrucken

Die drei Antisemitismen

Ach, wie konnte es nur zum Antisemitismus-Skandal auf der Documenta kommen? Den auf der Achse bereits veröffentlichten aufschlussreichen Analysen möchte ich meinen einfachen Antisemitismus-Dreisatz hinzufügen. Warum? Weil er eine gewisse mathematische Eleganz aufweist.

Das zusätzlich Interessante am Antisemitismus-Dreisatz ist, dass sich die einzelnen Antisemitismus-Teile einer unterschiedlichen politischen Gewichtung erfreuen. So gibt es den offiziellen Antisemitismus und zwei Varianten des inoffiziellen, bestenfalls halboffiziellen Antisemitismus. Hinzu kommt, dass von den beiden inoffiziellen Antisemitismen der eine deutlich verschämter ist als der andere.

Der offizielle Antisemitismus ist der rechtsextreme, neonazistische und altnazistische. Er wird in allen einschlägigen Veröffentlichungen als Zentralantisemitismus gegeißelt. Diese Geißelungen sind nicht nur die häufigsten sondern auch die politisch einfachsten. Neonazis verkörpern den Wunschantisemiten: Dumm, dreist, unästhetisch, brutal usw. Bei Geißelungen dieses Klassikers droht kein Widerspruch und es drohen keine politischen Komplikationen.

Der sichtbarere der beiden inoffiziellen Antisemitismen ist der islamische. Er ist einerseits ein bisschen kurios, weil wesentliche Teile der islamischen Antisemiten selber zum semitischen Kulturkreis gehören. Es empfiehlt sich in diesem Fall also, präziser von Judenhass zu sprechen. Der in diese Rubrik gehörende Judenhass ist ein Importprodukt. Er ist neuer und dynamischer als der Klassiker. Er ist nicht weniger gefährlich und ebenso hässlich.

Angst vor unfeinen Reaktionen der Getadelten

Allerdings ist er heikel und darum stellenweise von einer Schutzhülle umgeben. Diese Schutzhülle besteht aus dem zweifellos wahren Satz: Es ist nicht zulässig, allen Moslems Judenhass zu unterstellen. Ist es auch nicht. Und das macht die Sache komplizierter als den Klassiker. Schließlich wäre es absurd zu sagen: Man kann nicht jedem Neonazi Antisemitismus unterstellen. Doch, kann man.

Die unbestrittene Tatsache, dass nicht jeder Moslem ein Judenhasser ist, befördert den ebenso unbestreitbaren moslemischen Antisemitismus in den heiklen Bereich der potenziellen Fremdenfeindlichkeit. Um zu vermeiden als Islamophob, also als ein Fremdenfeind zu gelten, wird der bei vielen Moslems eben doch vorhandene Judenhass nicht so prominent gegeißelt wie der nazistische Klassiker. Er wird eher zögerlich beim Namen genannt, auch aus Angst vor unfeinen Reaktionen der Getadelten. Daher sein inoffizieller Status.

Der dritte und schwierigste, weil verschämteste in diesem Bundes ist der linke Antisemitismus. Auch er weist ein  Problem auf, das ihn aus dem Zentrum der Kritik an den Rand wandern lassen: Er tritt nie offen rassistisch sondern immer als Kritik an der Politik Israels auf, die in der Tat kein Tabu sein darf. (Ob wir Deutschen uns in die vorderste Reihe der Israel-Kritiker drängen sollten, ist allerdings die Frage.) Wie auch immer: Der linke Antisemitismus ist ein schillerndes Wesen. Er hat seine ideologische Basis in der Solidarität mit den armen Palästinensern, aber diese linke Solidarität changiert immer wieder in einen nur mühsam getarnten Antisemitismus. Ja, man kann sogar von einem wechselnden Aggregatzustand sprechen. Unter gewissen chemischen Bedingungen wechselt die Israel-Kritik fast sprunghaft in blanken Antisemitismus über.

Hybrider Antisemitismus, größeren Teils links, aber mit einer Prise Islam?

Da aber die Basis eine im Kern ehrenwerte Solidarität mit einem leidenden Volk ist, trägt der daraus entspringende Antisemitismus eine nützliche Tarnkappe. Sie schützt vor offizieller Kritik, weshalb der linke Antisemitismus ebenfalls in die inoffizielle, weniger gern kritisierte Kategorie gehört. Dass die bedingungslose Solidarität mit den Palästinensern fehlgeleitet ist, da sie sie zu Unschuldslämmern verklärt, sei nur am Rande vermerkt. Aber auch dies verstärkt den Eindruck, dass die Sache nicht ganz astrein ist.

Die Karikaturen im Stürmer-Stil, die sich in die Documenta – sagen wir – eingeschlichen haben, gehören offensichtlich in die Rubrik des linken Antisemitismus. Da die Kultur im Zweifel links ist, wird sie am ehesten Opfer solcher Unterwanderungen. Oder handelt es sich um einen hybriden Antisemitismus, größeren Teils links, aber mit einer Prise Islam? Das Künstler-Kollektiv aus dem moslemischen Indonesien hat sich allerdings so artig entschuldigt, dass man diese Straße vorerst nicht weiter verfolgen muss. Was sicher bleibt, ist der linksgestrickte Antisemitismus. 

Der Ordnung halber sei auch hier noch die in der moslemischen Rubrik übliche Entschuldigung beziehungsweise Klarstellung angefügt: Es wäre abwegig zu unterstellen, dass jeder Linke antisemitische Neigungen hegt. Wollte man es in Prozentsätzen ausdrücken, man müsste scheitern. Nur die hundert Prozent bei den Neonazis dürften sich empirisch nachweisen lassen. Bei den anderen beiden Rubriken kann man nur raten. Meine Vermutung geht allerdings dahin, dass die Rubrik „Islam“ mit durchaus stattlichen Prozenten aufwarten kann, während die Rubrik „Links“ wohl mit deutlichem Abstand nur den dritten Platz einnimmt.

Aber hier handelt es sich um einen Bereich, der statistisch kaum zu erfassen ist. Allenfalls die Kunst könnte sich des Antisemitismus-Dreisatzes und seiner unterschiedlichen Gewichtung kreativ widmen. Womöglich sogar auf der Documenta?    

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Leserpost

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Peter Woller / 24.06.2022

Nancy Faeser: Die größte Bedrohung der Demokratie kommt vom Rechtsextremismus. In Wirklichkeit kommt die größte antisemitische Bedrohung für die Juden vom “importierten” muslimischen Antisemitismus. Aus dieser Nummer kommen alle Beteiligten und Involvierten nicht mehr heil heraus. Ja, man kann es unter dem Teppich fegen. Aber irgendwann bekommt der Teppich dann große Beulen.

Dirk Jürgens / 24.06.2022

Den linken, sozialistischen Antisemitismus gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert, spätestens seit Karl Marx, der “den Juden” zur Verkörperung des Kapitalismus erklärte. Hitler und der linke (“sozialistische”) Flügel der NSDAP konnten nahtlos daran anschließen. Die SPD hat erst 1906 nach langen innerparteilichen Kämpfen unter Druck August Bebels vom Antisemitismus Abstand genommen, aber Bebels Nachfolger Sigmar Gabriel und Martin Schulz haben an die alte antisemitische Tradition wieder angeknüpft, wie auch Hitler und die sozialistischen Machthaber der DDR sehr solidarisch mit den “Palästinensern” waren. “Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls”, sagte Bebel.

Burkhart Berthold / 24.06.2022

Bei der Documenta haben sich die Linken in einem Dilemma verheddert: einerseits sind sie natürlich keine Antisemiten, andererseits wollen sie den Bruder aus dem “globalen Süden” als edlen Wilden und Opfer des Westens wahrnehmen. Was sollen nun die verwirrten Linken tun, wenn sich der edle Wilde als veritabler Antisemit erweist? Ein Problem, das sie nicht hätten, wenn sie nicht links wären.

Karl Schmidt / 24.06.2022

Zu einem braunen Sozialisten gehört stets auch Antisemitismus als Kernmerkmal. Doch selbst hier gab es nach meiner Erinnerung Ausnahmen: Ich habe vor vielen Jahren - ich glaube im Tagesspiegel, der damals noch interessant sein konnte - von einem - wie es hieß - “NSDAP-Mitglied der ersten Stunde” gelesen, der in seiner Funktion als Koordinator von Bahntransporten Deportationszüge “vergessen” oder umgeleitet hat. Das fiel natürlich auch auf, und er wurde nach meiner Erinnerung hingerichtet. An den Namen kann ich mich nicht entsinnen. Aber diese Geschichte war so schräg, dass man sie auch behält. Es gibt eben wirklich ungewöhnliche Dinge. Selbst hier gab und gibt es also keine 100%. Es sind nur 99,99. Der Unterschied ist zugebenermaßen indes wenig praxisrelevant.

Detlef Rogge / 24.06.2022

Besten Dank für den Artikel zum gegenwärtigen Antisemitismus, der mir aus dieser Perspektive nicht bewußt war. Kleine Anmerkungen dazu: Der Autor wollte oder konnte dabei die Triebkräfte der Antisemiten heutiger Provenienz nicht näher ausführen. Das hätte vermutlich auch den Rahmen gesprengt. Zum Verständnis sind sie allerdings unabdingbar. Hier mit Fragen nur kurz angerissen: 1. Die Hardcore-Szene der Möchtegern-Neonazis. Adaptieren diese tatsächlich die Ideologie der Nationalsozialisten? Also Rassenhygiene und Eugenik als seinerzeit weit über Deutschland hinausgehende, als fortschrittlich geltende Wissenschaften? Ziel: „Reinhaltung des ansonsten gesunden Volkskörpers von fremdvölkischen degenerativen Elementen?“ Gelten Juden weiterhin „als Träger vermeintlich feindlicher Ideologien?“ 2. Der islamische Antisemitismus/Judenhaß. Der Islam im Kampf gegen Ungläubige jedweder Herkunft, aufgeladen mit antikolonialistischer Agitation, Kampf gegen den Staat Israel, als „Stachel westlicher Lebensart im Fleisch des Islam?“ 3. Linker Antisemitismus. Fortdauerndes Relikt im Kampf gegen den Kapitalismus? „Die Juden als Prototypen des internationalen Finanzkapitals?“ Sieht man sich gar in der Traditionslinie der unsäglichen Ruth Fischer? „…Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie…“ Zu meinen hier kurz dargelegten Hypothesen fand ich bislang keinen erhellenden Abhandlungen.

Franz Klar / 24.06.2022

Wenn bis zur Unkenntlichkeit verwitterte mittelalterliche Steinbildhauerarbeiten oder altindonesische Batikdruckbanner unsere Großprobleme sind , geht es wohl zu vielen noch viel zu gut .... Das ändert sich !

Frank Stricker / 24.06.2022

Faustregel , je aufgeklärter eine Gesellschaft, desto subtiler der Antisemitismus. In relativ primitiven Gesellschaften wie etwa Jordanien, Ägypten oder Palästina kann man problemlos offenen Antisemitismus ausleben. In Deutschland muss man sich schon cleverer verhalten , also den BDS unterstützen oder den Staat Israel delegitimieren…...

Helge Jörn / 24.06.2022

@ Frank Holdergrün. 100 % Zustimmung. Nur als kleine Ergänzung und weil der Herr Bonhorst so gern mit Zahlen hantiert. In den Hadith wimmelt es nur so von Mordaufrufen an Juden und Christen. Es sind genau 117. Der Koran verlangt ausdrücklich die Tötung aller Juden und Christen. Wer also als braver Moslem nicht Juden- und Christenhasser ist, hat wohl seinen Beruf verfehlt. Dies wird nur deshalb nicht diskutiert, weil ich mal - analog zu Herrn Bonhorst - annehme, dass nahe 100% der schon länger hier Lebenden von diesen Büchern noch nie gehört haben, und - Sie haben ganz Recht Frank Holdengrün - die allermeisten Muslime nicht wissen, was drinsteht, die Originale in der Regel auch gar nicht lesen können.

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