Rainer Bonhorst / 03.01.2022 / 11:00 / Foto: RB/Achgut.com / 37 / Seite ausdrucken

Ein Wort von einem Ureinwohner der Sprache

Gerade lese ich im Impressum eines Heftes einen Satz, der mir zum neuen Jahr wenigstens ein bisschen Zuversicht gibt. Er geht so: „Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in dieser Publikation bei personenbezogenen Substantiven nur die männliche Sprachform verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern ist im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen.“ Ich bin versucht, diesen Lösungsansatz des großen deutschen Gender-Sprachkonflikts salomonisch zu nennen.

Natürlich kann man als Hardliner den zitierten Satz auch als eine Flucht vor dem Kriegsgeschehen geißeln. Als eine Weichei-Lösung. Entweder als feige Anbiederung an jene lautstarken Feministinnen, die unter einem sprachlichen Minderwertigkeitskomplex leiden. Oder als feigen Verrat am Kampf um verbale Gendergerechtigkeit. 

Ich aber sehe hier eher ein diplomatisches Prinzip am Werk. Eine kleingedruckte Generalklausel macht den Weg frei für einen möglichen Waffenstillstand. Ja, sogar für das, worauf es ankommt: für ein ordentliches Deutsch. Und dies ohne Missachtung der Gegenseite, sondern mit freundlichem Beipackzettel. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wenn Sie zu Nebenwirkungen neigen.

Im Beipackzettel der linguistischen Allergien

Die Generalklausel beziehungsweise der Beipackzettel macht Genderpünktchen, Genderrauten, Gendersternchen, Großbuchstaben in der Wortmitte und das ewig wiedergekäute „liebe ...innen und Nicht-...innen“ überflüssig. Zugleich wird den „...innen“, die sich sprachlich unterdrückt fühlen könnten, in höflicher Form versichert, dass hier nicht der alte Adam Urstände feiert. Sondern dass volle Anerkennung der linguistischen Allergien waltet, die einen besonders empfindsamen Teil der Damenwelt plagen.

Dass es dabei um eine leichtere Lesbarkeit gehen soll, ist nicht falsch, trifft aber nicht die volle Bedeutungstiefe der eingangs zitierten Generalklausel. Tatsächlich steht „sprachliche Vereinfachung“, wenn auch nicht ganz gelungen, für „gutes Deutsch“; also für einen Wert, der – hier meine erste These – berufsmäßigen Schreibern besonders am Herzen liegt oder liegen sollte. 

Wohin führt dieser Hinweis auf professionelle Schreiber? Mich führt er in die handwerkliche Tradition der Zünfte. Und zwar als Sympathisant. Die Zünfte haben dafür gesorgt, dass zunftfremde Pfuscher ihre Finger von den Werkstücken lassen mussten. So sicherten sie Qualität und Berufsstolz, und sei es nur, weil der Geselle hoffte, eines Tages die Meisterwitwe zu heiraten.

Wir haben es, wie so oft im Leben, mit zwei Parteien zu tun: Wer aus dichterischen oder sonstwie beruflichen Gründen schreibt, sollte nur eine Zunftherrin kennen: anständiges Deutsch. Wer als Frau um das bei uns noch fehlende Stückchen Gleichberechtigung und Chancengleichheit kämpft, bewegt sich auf einem anderen Feld: auf dem Feld der Politik. Da lässt es sich ehrenvoll austoben. Aber bitte jenseits der Handwerksordnung der Schreiber.

Die Sprache gehört in die Hände derer, die mit der Sprache arbeiten. Politische, in diesem Fall genderpolitische Übergriffe in das Gefilde der Sprache sind genau das: Übergriffe. Zwar wird mit Sprache auch Politik gemacht. Aber Politik soll keine Sprache machen. 

Das Ende der Kommunikation

Man stelle sich vor, Beamte würden Sprache machen. Das Behördengestammel mag in Amtsstuben seinen Platz haben. Sobald es den lesenden Bürger trifft, wird es zur Zumutung. Man stelle sich vor, das zu recht penible und zur knöchernen Trockenheit neigende Deutsch der Juristen würde sich zum Sprachvorbild für alle aufspielen: Es wäre das Ende der Kommunikation. Von all dem anderen, das als Fachchinesisch in Insider-Kreisen seine Berechtigung hat, nicht aber in der normalen menschlichen Gesellschaft, will ich gar nicht reden.

Das Genderdeutsch ist eine Form des Fachchinesischen, das unter Gleichgesinnten seinen Platz haben mag und dort von mir aus auf die Spitze getrieben werden kann. Die Zumutung beginnt, wenn das Kampfidiom der allgemeinen Sprachwelt aufgezwungen werden soll. Die entstehende Sprachverhunzung muss Kämpferinnen um gesellschaftliche Gleichheit nicht weiter stören. Die Sprache ist nicht ihr Gebiet. Dass sich aber professionelle Schreiber und Liebhaber der Original-Sprache ihren Zumutungen unterwerfen sollen, bringt mich zu meiner zweiten These: Eine solche Unterwerfungsstrategie ist reiner Sprach-Imperialismus, pure Unterdrückung der sprachlichen Urbevölkerung. 

Die sprach-indigene Bevölkerung läuft inzwischen Gefahr, an die Ränder, in Wüsten und Urwälder der Kommunikation verdrängt zu werden. Wie lange wird es dauern, bis ihre gute, naturnahe Sprache auf die Liste all der anderen vom Aussterben bedrohten Sprachen gesetzt werden muss? Wird ordentliches Deutsch den Weg gehen, den das Cherokee, Ainu und Hazda und tausende andere schon gegangen sind? Wird die Zahl der Sprecher beziehungsweise Schreiber einer nicht verhunzten Sprache weiter dramatisch abnehmen?

Wie verzweifelt die Lage der Sprach-Indigenen ist, denen ich mich verbunden, ja zugehörig fühle, kann man an diesem Text erkennen. Eine kleingedruckte Generalklausel, ein bescheidener Beipack-Zettel erscheint als ein Hoffnungsschimmer, als ein Neujahrs-Lichtlein im drohenden Dunkel. Darum verwendet auch dieser Text bei personenbezogenen Substantiven nur die männliche Form. Nicht nur aus Gründen der leichteren Lesbarkeit, sondern als bescheidener Beitrag zum Überlebenskampf der bedrohten, dem Schreiben und Lesen zugeneigten Sprach-Urbevölkerung.

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Sabine Heinrich / 04.01.2022

@Wolf Hagen: Ich mache es wie Sie: Wenn ich mit dieser unsäglichen dümmlichen Genderitis in schriftlicher Form belästigt werde, landet das Schreiben schon nach Lesen der ersten Worte im Müll. Die langjährige Mitgliedschaft in einem KULTURverein habe ich gekündigt, weil er das Gendern in Perfektion betreibt und keine Neigung zeigte, davon Abstand zu nehmen.

Udo Lange / 03.01.2022

Den Knaller bekam ich heute in die Firma: Eine hübsche Grußkarte zum neuen Jahr von einem Frauenschutzverein. Grüße und Dank an die Geschäftspartner (gegendert natürlich) und im Text dann der Bericht, daß man sich um soundviel “Frauen* und Kinder” gekümmert hat… Was bitte sind Frauen*??? Ich habe wirklich nach unten und hinten auf der Karte nach dem eventuell Kleingedruckten bzw. Sternchentext gesucht, da war nichts. Diese Menschen sind ganz dolle schlimm erkrankt.

Arnold Balzer / 03.01.2022

@ Chr. Scheid: “Ich schlage folgenden Waffenstillstand vor: in geraden Jahren wird das Maskulinum verwendet, in ungeraden das Femininum.”  Waffenstillstand? Sie meinen wohl, Sie beugen sich einem Diktat-FRieden! Wie schäbig!

Arnold Balzer / 03.01.2022

Lieber Herr Bonhorst, für einen Achse-Autoren sind Sie reichlich leisetreterisch - und irgendwo auch naiv! Wie @ Wolf Hagen (im ersten Beitrag) schon sagte: Er braucht keinen Beipackzettel!  Ich auch nicht! Schon allein, dass Sie sich zu diesem Gendermist äußern, und quasi entschuldigen/rechtfertigen, ist ein Kotau vor diesen selbsternannten Sprachdiktatoren. Reden/schreiben Sie, wie Sie es seit Jahrzehnten gewohnt sind , ohne Innen, Außen, Stern oder Unterstrich, und die Weder-Nöcher bleiben auch außen vor! Punkt! Und tun Sie das ohne weitere Erklärungen oder Begründungen. Schließlich gibt es noch diesen Rest von Redefreiheit, dass das Gendern noch nicht per Gesetz für alle und jeden diktiert wird. Es reicht schon, dass Unternehmen in Stellenanzeigen Männer, Frauen und Weder-Nöcher berücksichtigen müssen, wenn ein GabelstaplerfahrER gesucht wird, ansonsten käme die Bundesgleichstellungsbeauftragte mit einer Hunderschaft beim CEO angerollt. (Gibt’s eigentlich irgendwo eineN GleichstellungsbeauftragteN, also Mann, für diese so wichtige Aufgabe, oder sind in diesem Fall Männer zu diskriminieren?)

Stanley Milgram / 03.01.2022

p.s.: Nach einer geraumen Stunde kam eine Angestellte mit der Frage “Am Lager abholen. Sie wissen, wo das Lager ist?” “Ja, woanders. Danke.” Unfassbar…

Stanley Milgram / 03.01.2022

Heute nutzte ich erstmals das neu erfundene “Click and Collect”-System. Das Collecten dauerte dann über eine Stunde, obwohl ich der einzige Ungeimpfte war und niemand vor mir. Ja, das nenne ich ab heute “Fick und leck uns, du ungeimpfter Brotkunde”... im Regen stand ich und kalt wars. Nee, geht pleite. Gestern.

Christian Jensen / 03.01.2022

Ein schönes Beispiel aus den Nds. Grundsteuergesetz § 2 Absatz 4: Zitat: Die Zurechnung mehrerer Wirtschaftsgüter zu einer wirtschaftlichen Einheit wird abweichend von § 2 Abs. 2 BewG nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Wirtschaftsgü- ter zum Teil der einen Ehegattin oder Lebenspartnerin oder dem einen Ehegatten oder Lebenspartner, zum Teil der ande- ren Ehegattin oder Lebenspartnerin oder dem anderen Ehegat- ten oder Lebenspartner gehören. Besser kann man es nicht ausdrücken!

S. v. Belino / 03.01.2022

Ja, auch die deutsche Sprache wird jüngst geradezu missbraucht, um sehr gezielt bestimmten Ideologien zum Durchbruch zu verhelfen. Die Mainstream-Medien ziehen diesbezüglich - wie zu erwarten - sehr willig mit, weil sie sich mit den ideologischen Denkmustern identifizieren. Allerdings dürfte es wohl noch längere Zeit beanspruchen, bis auch die eher zähe Masse der Normalbürger sich endlich geneigt zeigen wird, freiwillig auf den jeweiligen Zug aufzuspringen. Wenn überhaupt. Trotz und alledem ist nicht auszuschließen, dass es irgendwann einmal wieder zu einer überraschenden - auch linguistischen - Wende kommen könnte. Aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen auch immer. Von oben herab verordnete Zwangsmaßnahmen, selbst linguistische, weisen eben meist doch eine recht überschaubare Haltbarkeit auf. Ähnlich wie - nun ja, Frischmilch oder gemischtes Hack beispielsweise .

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