Roger Letsch / 22.03.2018 / 11:00 / 6 / Seite ausdrucken

Tagesschau: Wahrheitsfindung mit Assad

Syrien ist für Nachrichtenagenturen und deutsche Medien mutmaßlich ein Buch mit sieben Siegeln. Mutmaßlich befindet es sich im Krieg, mutmaßlich knabberte sich der IS im Osten ein großes Stück davon ab, mutmaßlich knabbert auch Erdogan im Norden kräftig mit und mutmaßlich gibt es auch mit dem südlichen Nachbarn Israel noch immer keinen Friedensvertrag – mutmaßlich deshalb, weil nach den Angriffskriegen, welche der mutmaßliche Vater des heutigen syrischen Diktators Assad gegen den jüdischen Staat geführt hatte, keine Aussicht für die syrische Armee mehr besteht, jemals wieder die Golanhöhen zu betreten und von dort aus ganz Nordisrael wie auf einem Präsentierteller zu haben.

Mutmaßlich haben die Israelis einfach die Nase voll davon, sich von ihren Nachbarn mit Auslöschung bedrohen zu lassen. Alles nur Mutmaßungen, denn wer kennt schon die Wahrheit! Unsere Journalisten jedenfalls kennen sie nicht und ergehen sich gern in vagen Andeutungen – es sei denn, man kann Israel irgendwas am Zeug flicken, dann ist die Sache sehr viel klarer! Besatzer, Apartheid, Völkermord… kräftige Vokabeln sind schnell bei der Hand, genauer hinsehen muss man nicht, Mutmaßungen werden bei solchen Gelegenheiten zu Dogmen, die von öffentlich-rechtlichen Kanzeln gepredigt werden.

„Mutmaßlich“ ist deshalb auch die Vokabel, mit der die Tagesschau die Erklärung Israels zu relativieren suchte, man habe am 6.9.2007 eine syrische Atomanlage in einer Geheimaktion mit acht F-15 und F-16 bombardiert, bevor diese in Betrieb gehen konnte. Das sei gar keine Atomanlage, sondern nur eine „mutmaßliche“, so der Bericht. Der in Israel lebende langjährige Nahostkorrespondent Ulrich Sahm fragte denn auch ungläubig nach, warum man in solch einem Fall, in dem klare Beweise vorliegen und eine elfjährige Geheimhaltungssperre aufgehoben wird, abschwächend von „mutmaßlich“ spräche. Er erhielt von „Team Tagesschau“ zur Antwort:

„Solang es keine eindeutige Beweise beider Seiten gibt, dass es sich bei dem Gebäude um eine atomarische Einrichtung gehandelt hat, erscheint uns die Formulierung “mutmaßlicher” Atomreaktor als zutreffend.“

„Beweise beider Seiten“ ist hier, gelinde gesprochen, eine Schlingelformulierung, denn was zählen schon regierungsamtliche Erklärungen des befreundeten und verbündeten Israel, wenn sie nicht von dessen Feinden – in diesem Fall eines lumpenreinen Demokraten vom Kaliber Assad – bestätigt werden!

Wie bitte? Kein Angriff?

Deshalb jetzt nochmal zum Mitdenken für alle ARD-Nahostpraktikanten mit mangelnder Erfahrung in Punkt- und Strichrechnung, die lieber ihre Bäuche an den Stränden Tel Avivs in die Sonne halten, als „Jerusalem Post“ oder wenigstens „Haaretz“ zu lesen und dann zwei und zwei zusammenzuzählen: Diese Bestätigung wird Assad nicht liefern und das kann er auch nicht, nachdem er stets bestritten hat, eine solche Anlage gebaut zu haben! Auch kann er schlecht zugeben, dass einer seiner Mitarbeiter, der an der Planung der Anlage und der Beschaffung nordkoreanischer Atomtechnologie beteiligt war, leichtsinnigerweise seinen Laptop unbeaufsichtigt in seinem Hotelzimmer in Wien ließ, was den Mossad sehr interessierte, wie wir heute erfahren haben.

Interessanterweise kommt von Assad aber kein Wort der Anklage bezüglich des israelischen Angriffs. Der hat nämlich nach syrischen Angaben offenbar niemals stattgefunden! Wie bitte? Kein Angriff? Wie kann es sein, dass sich Assad, der 2007 noch keinen islamistischen Bürgerkrieg mit Giftgaseinsätzen gegen die eigene Zivilbevölkerung am Hals hatte und in den Augen der Welt noch der nette Augenarzt von nebenan war, sich solch eine Gelegenheit entgehen ließ, ein großes internationales Bohei gegen Israel zu veranstalten? Hätte man nicht ein paar Babyfläschchen in den Trümmern verstreuen und dann die internationale Presse rufen können? War wirklich niemand von der Fatah oder Hamas in der Nähe, den man fragen konnte, wie man das anstellt? So ein Pech aber auch! Assad hielt offensichtlich lieber die Füße still, als die Israelis dazu zu zwingen, ihre Beweise auf den Tisch zu legen. War wohl besser für ihn.

Für jeden Sack Reis, der im Nahen Osten umfällt, hat Israel üblicherweise umgehend eine UNO-Resolution am Arsch. Die UN erklärt es sogar zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn eine Straßenbahnlinie durch Jerusalem gebaut wird. Und da können 2007 acht Jagdbomber mit Davidstern unter den Tragflächen 17 Tonnen Bomben im Nordosten Syriens abwerfen, und das Regime behauptet, „Unbekannte“ hätten nahe einer landwirtschaftlichen Versuchsfarm ein „Loch in die Wüste“ gebohrt? Wen wollt ihr denn damit verarschen?! Ach ja, die ARD…hatte ich ganz vergessen.

Einen angenehmen Effekt könnte der Bericht aber dennoch haben – und zwar für die „Nahostberichterstattung“ der „ARD-Experten“, die in Tel Aviv warm und trocken sitzen und von dort aus die Propagandalügen von Fatah und Hamas brav nachplappern. Künftig wird es kaum noch möglich sein, über die „Gräueltaten“ zu berichten, welche die IDF angeblich (oder sollte ich sagen: mutmaßlich) in finsterer Absicht unter der Zivilbevölkerung Palästinas anrichtet: Es braucht ja immer die Bestätigung von „beiden Seiten“, wie wir heute gelernt haben.

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Leserpost

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Mark Schild / 22.03.2018

Alles ist relativ und die ARD ist relativ tendenziös.

Dirk Jungnickel / 22.03.2018

Die beschriebene und beklagte Äquidistanz hat Markus Vahlefeld hier auf der Achse (27. 07. 2017) die Geißel des Qualitätsjournalismus genannt. Wie recht er hat, belegt dieser Bericht, in dem klar die Meinungsmanipulation in Sachen Israel belegt wird.   Nun muss man selbstverständlich zunächst einer objektiven und von Tatsachen untermauerten Berichterstattung das Wort reden. Wenn aber offensichtlich versucht wird, ein Gleichgewicht zwischen den Aussagen eines Kriegsverbrechers - der Vater war es auch ! - und eines befreundeten Staates, der sich seit seinem Entstehen seiner Haut zu erwehren bemüht, herzustellen,  dann hört man die Nachtigall trapsen.  “Mutmaßlich ”  haben unsere Nahostkorrespondenten die inoffizielle Anweisung, im Nahen Osten niemanden auf den Schlips zu treten. Es ist lange her, dass man z.B.  eine Aufzählung der Kräfte über die Sender laufen ließ, die Israel nach wie vor vernichten wollen. Die posaunen das zwar regelmäßig heraus. Aber womöglich meinen sie das ja gar nicht ernst, insofern lassen wir’s besser weg.   Man stelle sich vor, den Demokratiesimulanten im Kreml würden die Briten mit ebensolchen Samthandschuhen anfassen. Gewissen Figuren wie ihn und seine Giftmixer könnte man mit Äquidistanz keinen größeren Gefallen tun.

Thomas Bonin / 22.03.2018

Astrein recherchiert, Firma dankt :-) Allerdings ist die ARD lediglich die Speerspitze in diesem Trauerspiel (korrekt = Schmierentheater). Als willige Büttel vergaßen Sie lediglich die sog. übrigen Verdächtigen, sprich, “Q-Medien” mit Ross & Reiter aufzulisten. Sogar Axel C. Springer s.A. würde im Grabe rotieren angesichts der Schludrigkeit, wie mittlerweile mit seinen dereinst deklarierten unverhandelbaren Grundsätzen (zu Fragen der Transatlantik, Deutschen Einheit und Israel) tagtäglich verfahren wird.

Martin Landvoigt / 22.03.2018

Der schwarze Kanal war einst legendär und Symbol für die regierungsamtliche Verarsche der DDR. Heute ist dieser Flächendeckend in der BRD wirksam. Etwas subtiler vielleicht, aber fast genau so einfach durchschaubar. Mutmaßlich ist er Anteil jener, die sich darüber empören, eingeschüchtert sind oder lachen heute so groß wie damals.

Leo Lepin / 22.03.2018

Ich wollte diesen Leserbrief eigentlich zu dem Beitrag über die Ausstellung “Welcome to Jerusalem” schreiben, dort ging es nicht, aber hier passt er vielleicht auch: In der Ausstellung wird klar, wie man trauriger Weise hierzulande (und anderswo) verfährt: Im Untergeschoss kann der Gutmensch, der per definitione die Moral auf seiner Seite hat, betroffen zeigen angesichts der Gräueltaten gegen Juden im Dritten Reich. Oben dann wird allerdings genauso weiter verfahren: Die Juden sind schuld am Nahostkonflikt. Arafat wird in einem Film dargestellt als einer, der den Frieden wollte, der aber im Grunde an Israel scheiterte. Kein Wort darüber, dass Arafat es war, der letztlich die Verhandlungen platzen liess, sodass Clinton völlig entnervt war.

Frank Stricker / 22.03.2018

Die Israelis wissen halt ,  auf wen sie sich verlassen können und auf wen nicht. Man stelle sich vor, die Israelis hätten auf den Rat von Juncker, Mogherini, Steinmeier oder sonstigen Volltrotteln gehört und wären den Palästinensern mit einer Art Appeasement-Politik weit entgegengekommen. Israel würde heute wahrscheinlich gar nicht mehr existieren oder hätte einen Dreifronten-Krieg am Hals , die Hisbollah vom Libanon, Assads Truppen aus Syrien und Hamas und Fatah der Palästinenser. Und wenns ganz dumm läuft schaltet sich auch noch Ägypten ein.  Netanjahu weiß, dass er sich in der Situation nur auf Donald Trump verlassen kann, zwei aus dem gleichen Holz geschnitzt, sperrig aber effektiv wenns drauf ankommt.

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