Angeblich waren wir das Volk der Dichter und Denker. Wie wir aber zur Gesellschaft der Preisträger und Laudatoren von heute wurden, und nicht zu vergessen, der aberkannten Doktoren, bleibt ein deutsches Rätsel. Was ist schon ein Preis im Land der Preise, wenn nicht die Hoffnung der Stifter, auf sich aufmerksam zu machen? Aber wen und wozu?
Einer dieser Preise, von denen sonst kaum die Rede ist, zieht jetzt die Aufmerksamkeit auf sich, weil er an Wladimir Putin gehen soll. Der Preis ist nach der Quadriga vom Brandenburger Tor benannt. Das ist, angesichts des Preisträgers, eine Unverfrorenheit.
Putin ist der wohl mächtigste Mann in Russland, zurzeit bekleidet er aber, aus verfassungsrechtlichen Gründen, offiziell nur das Amt des Premierministers.
So lange er Präsident war, war der Präsident mächtig, seit er Premier ist, kommt man nicht mehr ohne den Premierminister aus. Russland hat alles, was ein Staat braucht. Aber nichts davon, weil man es für sich bräuchte, sondern zum Vorzeigen.
Putin regiert den Restbestand des verkommenen Sowjetreichs mit starker Hand und gelegentlich auch mit russischer Seele. Wie er es schafft, Zaren-Zeremoniell und Bolschevita zu verpappen, beeindruckt viele der byzantinisch geprägten Russen bis heute.
Putin war Geheimdienstler. Er arbeitete für den Auslandsdienst, und zwar in Deutschland, in der ehemaligen DDR. Er war Teil des Sicherheitsapparats der Besatzungsmacht und damit zuständig für die Erhaltung des Status quo in der Sowjetkolonie DDR.
Der Preis ehrt laut Satzung Vorbilder für Deutschland und Vorbilder aus Deutschland. Ein ehemaliger KGB-Mitarbeiter als Vorbild für Deutschland? Weiter heißt es: Zu würdigen seien Persönlichkeiten, deren Denken und Handeln auf Werte baut. Welche Werte? Ist damit vielleicht das Wort des Altkanzlers Schröder vom lupenreinen Demokraten Putin gemeint? Nur, um im Bild zu bleiben, wenn man eine Lupe brauchen sollte, um die Demokratie zu erkennen, muss diese schon arg verkleinert erscheinen.
Etwas anderes: Es gibt kaum einen Deutschen, der nicht auf Anhieb seinen Lieblingsrussen in Geschichte, Kunst oder Politik nennen könnte. Von Peter dem Großen, über Dostojewski und Tolstoi zu Schostakowitsch oder Tarkowski. Früher wurde auch Lenin genannt. Und Stalin war für das Time-Magazin sogar zwei mal Mann des Jahres, 1939 und 1942. Wir wissen nicht, ob es für den Hitler-Stalin-Pakt insgesamt war, oder bloß wegen der Erschießung der polnischen Offiziere in Katyn.
Und noch etwas: Bei jeder Umfrage, die man aktuell in Deutschland durchführen würde, käme unweigerlich Gorbatschow an die Spitze des Ergebnisses. Immer noch. Und das nicht nur wegen seiner Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung, sondern ausdrücklich auch wegen der Perestroika. Zur Erinnerung: Das war der Versuch den Sowjetkommunismus zu reformieren, der mit dem Zerfall des Imperiums endete. Gorbatschow wurde zum Markenzeichen ohne Inhalt. Man lud ihn ein, und die Fans kamen in Scharen bis Buxtehude, um ein Autogramm zu ergattern oder sonst einen Winkelzug.
Russland scheitert regelmäßig, aber nicht an seiner Größe wie man denken könnte, sondern an seiner Weitläufigkeit. Es findet darin keinen festen Platz für seine Staatsangelegenheiten, und so ruft es bei jeder noch so kleinen Panne nach dem KGB.
Es trifft zu, dass Putin in das vom Chaos bedrohte Russland ein insgesamt stabiles Ordnungssystem gebracht hat, er hat sein Ziel aber stets mit Polizeimethoden durchgesetzt. Wie Putin mit Minderheiten umzugehen versteht, veranschaulichen seine Feldzüge im Nordkaukasus, und wie er zur Opposition in Moskau steht, kann man am Fall des kremlkritischen Unternehmers Chodorkowski studieren. Der Mann sitzt seit Jahren in einem sibirischen Arbeitslager.
Worüber man auch spekulieren mag, eines ist sicher: Putin ist nicht ein Parteigänger der westlichen Welt, und schon gar nicht der westlichen Gesellschaft, er ist vielmehr ein typischer Vertreter des russisch-byzantinischen Machtkartells. Ihm einen Preis zu geben, der sich der Symbolik der Quadriga bedient und auch noch an unserem Nationalfeiertag überreicht werden soll, ist ein Verstoß gegen die Grundsätze der deutschen Wiedervereinigung, bei der es nicht zuletzt um Freiheit und Bürgerrechte ging, um das Recht auf die Bürgergesellschaft.