Hansjörg Müller / 07.01.2016 / 06:20 / 3 / Seite ausdrucken

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Günther Oettingers kurzes Gedächnis

In seinem grossartigen Buch über den Siegeszug der amerikanischen Populärkultur im deutschen Sprachraum zitiert der Filmkritiker Wolfram Knorr General Lucius D. Clay, den US-Militärgouverneur im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit: Bereits 1946 hätten sich die Amerikaner dort um eine «zureichende Rundfunkgesetzgebung» bemüht, doch leider ohne Erfolg. «Die deutsche Unfähigkeit, demokratische Freiheit wirklich zu erfassen, hat sich wohl auf keinem anderen Gebiet als dem des Rundfunks so deutlich gezeigt», resümierte Clay resigniert.

Dabei fand der General eben das undemokratisch, was die Deutschen bis heute für einen Pfeiler ihrer Demokratie halten: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. «Gesellschaftlich relevante Gruppen» sollten in den Rundfunkräten das Sagen haben, worunter der deutsche Gesetzgeber unter anderem Kirchen und Gewerkschaften, vor allem aber die in den Parlamenten vertretenen Parteien verstand. Einem Mann wie Clay, der aus seiner Heimat kommerziell organisierte Networks wie NBC oder CBS kannte, musste das abstrus vorkommen, während es dem deutschen Bildungsbürgertum als eine Garantie dafür erscheinen mochte, dass Rundfunk und Fernsehen einen wie auch immer definierten Bildungsauftrag erfüllten.

Dass Clay recht hatte, zeigt sich dieser Tage in Warschau, wo eine rechte Regierung das staatliche Fernsehen bis hinunter zur Moderatoren- ebene rücksichtslos umgestaltet. Ausgerechnet der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat sich darüber heftig beklagt. Dabei müsste er doch wissen, dass politische Einflussnahme bei staatlich organisierten Medien systemimmanent ist: Genau das, was die polnische Regierung nun macht, hat – wenn auch weniger plump und brutal – Oettingers CDU praktiziert, als dieser noch Ministerpräsident von Baden-Württemberg war.

Nachdem dort 1998 durch eine Fusion der Südwestrundfunk entstanden war, hörte ein Zeitungsreporter zufällig mit, wie Oettingers Vorgänger Erwin Teufel einem Parteikollegen zuraunte: «So, und jetzt noch die richtigen Leut an die wichtigen Stellen.» Damit hatte er perfekt umschrieben, worin staatliche Medienpolitik besteht, egal ob in Stuttgart oder in Warschau.

Zuerst erschienen in der Basler Zeitung

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Leserpost

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Wilfried Paffendorf / 07.01.2016

Sehr geehrter Herr Müller. Ich kann nicht beurteilen, was nun alles General Clay vor70 Jahren sagte und inwieweit der Wolfgang Knorr - der Name war mir bisher nicht bekannt - den Herrn Clay richtig zitiert. Glaubhaft ist es schon in meinen Augen. Man mag von den US-Amerikanern oder genauer gesagt von deren politischen System halten was man will, eines steht aber für mich fest: das, was sich in Deutschland mit den Jahren herausgebildet hat, also ein von Parteien- und Verbandsinteressen kontrolliertes flächendeckendes Medien-Kartell und die derzeit massive Unterdrückung politisch nonkonformistischer Meinungen, wäre in den USA undenkbar. Das würde an den Grundüberzeugungen des durchschnittlichen US-Amerikaners rütteln und entschiedenen Widerstand hervorrufen. Ich denke, da sind die “Amis” sich einig, bei aller unterschiedlicher politischer Ausrichtung. In dieser Hinsicht sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika ein wirklich freies Land. Dass wir in Deutschland einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk (TV) haben, der in Wahrheit nur der verlängerte Arm der in den Parlamenten vertretenen Parteien, der Kirchen und Gewerkschaften und anderer angeblich gesellschaftlich relevanter Gruppen ist, weiß der aufgeklärte Bundesbürger aber nicht erst seit ein oder zwei Jahren, dass heißt seit Ukraine- und Nahost-Berichterstattung sowie der sog. Flüchtlingskrise - die in Wirklichkeit eine Staatskrise ist. Und dass der deutsche öffentlich rechtliche Rundfunk (und TV) ein milliardenschweres Konstrukt von Ruheraum für abgehalfterte Politiker, Verbandsbonzen und Möchtegern-Pädagogen ist, kann auch jeder wissen, der wissen will. Eines weiß ich aber sicher: mir wäre in dieser Hinsicht das US-amerikanische System sympathischer und höchst willkommen. Nebenbei bemerkt: ich lebe ohne TV, ich habe mir in meinem ganzen Leben noch keinen Fernseher gekauft und insgesamt nur wenige Jahre eine Glotze besessen. Auch Rundfunk tue ich mir schon lange nur noch in homöopathischen Dosen an. Es ist alles ein Einheitsbrei. Presseerzeugnisse lese ich auch seit Jahren nur noch sporadisch, um “auf dem Laufenden” zu bleiben. Die Masse der Medienlandschaft ist zu einem kaum mehr erträglichen Einheitsbrei geworden. Da halte ich mich lieber an alternative Zeitungen und Blogs. Ich schaue mir auch nur selten Videos im Netz an. Ab einem gewissen Alter kommt man an den Punkt, wo man erkennt, das es nicht wirklich viel Neues unter unserem Hommel gibt. Da reiht sich doch letztlich nur noch ein Deja vu an das nächste. Viele schütteln über mich den Kopf, weil ich sehr viel Bücher lese und noch richtige, zeit- und kraftraubende Studien betreibe (Geschichte). Aber der flüchtige Konsum vorgekauter Lektüre bekommt mir nicht. Ich mag mich in meinem Denken und meiner Meinungsbildung auch nicht “betreuen” lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal nachdrücklich betonen, dass die Achse des Guten mir doch sehr viel mehr bietet, als Flachfunk und Flachmedien. Mit freundlichen Grüßen Wilfried Paffendorf

Christian Schulz / 07.01.2016

Die Kritik ist berechtigt, aber auch nicht. Die Nachrichtensendungen und Talkshows in ARD und ZDF sind zum Teil unerträgluch geworden, aber sind die bei den privaten Sendern besser? Inhaltlich oder handwerklich. Leider nein. Vergleicht man mehr als Vorabendserien und Comedy-Shows, bezieht man arte, PHOENIX, 3SAT, ZDF-info, ZDFneo ... mit ein, dann ergibt sich ein deutlich anderes Bild. Sollte ich mich entscheiden müssen, ob ich lieber auf die genannten Sender oder auf rtl, SAT1, kabel1, ... verzichte, dann merke ich, dass ich lieber weiter Gebühren zahle.

Hartmut Laun / 07.01.2016

“Orwell 1994”, hier der Crimstop: Crimestop bedeutet die Fähigkeit gleichsam instinktiv auf der Schwelle jedes gefährlichen Gedankens HALT zu machen. Es schließt die Gabe ein, Analogien nicht zu verstehen, außerstande zu sein logische Irrtümer zu erkennen, die einfachsten Argumente mißzuverstehen… Crimestop bedeutet kurz gesagt, sich selbst schützende Dummheit.

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