Donald Trump ist eine politische Blackbox. Für Journalisten macht ihn das attraktiv: Man kann endlos darüber spekulieren, was er als Präsident wohl tun wird. Zwar hat er im Wahlkampf manches angekündigt, doch erschienen seine Pläne oft derart abstrus, dass man nicht einmal darüber streiten mochte, ob er es ernst damit meinte.
Kürzlich setzte ich im privaten Kreis eine Theorie in Umlauf: Trump, so behauptete ich, wird sich als Präsident am linken Rand der Republikanischen Partei positionieren, also in der Mitte des politischen Spektrums. Meine Kollegen blickten mich verwundert an und fragten, wie ich darauf komme. Meine Antwort: weil er erstens eitel ist und zweitens ein New Yorker.
Trumps Geschichte ist die eines Mannes auf der Suche nach Anerkennung: Für die New Yorker Gesellschaft war er immer ein Neureicher, auch wenn bereits sein Vater den Grundstein des familiären Vermögens gelegt hatte. Wer wissen will, wie man in weiten Teilen Manhattans über den Wahlsieger denkt, sollte eines der Editorials lesen, die Graydon Carter, der Chefredaktor der Höchstglanz-Illustrierten «Vanity Fair», in den vergangenen Monaten über den Kandidaten geschrieben hat: Der Ekel eines selbsternannten Arbiter Elegantiarum triefte aus jeder Zeile.
Grandios in der Rolle des Outlaws
Trumps Reaktion auf derartige Zurückweisungen bestand bis jetzt darin, die Rolle des Outlaws, die man ihm zugewiesen hatte, anzunehmen. Und wie virtuos er diese Rolle spielte: Diejenigen, deren Anerkennung er suchte, stiess er wieder und wieder vor den Kopf. Amerikanern, die sich ebenfalls vom Establishment verachtet fühlten, gefiel das ganz ungemein. Sie liebten Trump dafür, dass er unverschämte und verrückte Sachen sagte.
Mit seinem Wahlsieg ist es ihm gelungen, sich den Zugang zu sozialen Zirkeln, die bisher auf ihn heruntergeschaut haben, mit der Brechstange zu erkämpfen. Doch warum sollte er nun auf diese Weise weitermachen? Wer hat schon Lust darauf, ausgerechnet in seiner Heimatstadt dauerhaft als extremistischer Spinner zu gelten? Seine Rache am Establishment hat Trump gehabt, nun kann er anfangen, nach dessen Regeln zu spielen.
Womöglich werden ihn Politiker und Journalisten schon bald für salonfähig erklären. Trumps Siegesrede lieferte einen ersten Vorgeschmack: Sie war zusammengesetzt aus den üblichen pathetischen Phrasen, die man bei solchen Gelegenheiten wählt, inklusive artigem Lob für seine Gegnerin Hillary Clinton. Von Pöbeleien keine Spur. Allzu sehr verbiegen musste sich Trump nicht, denn ein Ideologe war er ohnehin nie: Vor seinem Einstieg in die Politik unterstützte er die Demokraten, weil das eben half, wenn man in New York Bauunternehmer war.
Der neue Rockefeller?
Vielleicht, und das wäre eine der absurdesten Volten der jüngeren amerikanischen Geschichte, lässt ausgerechnet der vermeintliche Outlaw Donald Trump jenes gemässigte republikanische Ostküsten-Establishment wieder aufleben, dessen Tage uns spätestens seit dem Aufkommen der wütenden Tea-Party-Rebellen ähnlich fern erscheinen wie die Präsidentschaft Thomas Jeffersons.
Nelson Rockefeller, der milde New Yorker Patrizier, der in den Vorwahlen der Republikaner 1964 dem konservativen Ideologen Barry Goldwater unterlag, wäre zurück, und das in Gestalt eines Mannes, den viele für den Inbegriff des Vulgären halten.
Die Welt dürfte erst einmal aufatmen. Doch wäre eine solche Wandlung ausschliesslich gut? Für Trumps Anhänger wäre sie der schlimmstmögliche Ausgang. Sie würden sich bitter betrogen fühlen und ihr Zorn könnte sich bald schon ein neues Ventil suchen. Denn Trumps Triumph ist nicht zuletzt das Symptom einer politischen Systemkrise.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung hier.