Hubert Geißler, Gastautor / 26.01.2023 / 16:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Neues vom Schrauber: Go Portugal, young man!

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Heute geht es um Arbeit, die beispielsweise nach Portugal auswandert.

Kürzlich erzählt mir mein Bruder, dass die Chefs der Minifirma, für die er arbeitet, nächste Woche nach Portugal fliegen würden, um einen größeren Konstruktionsauftrag an Land zu ziehen. Ich war erstaunt: Eine, sagen wir, Garagenfirma mit nicht mehr als drei Vollzeitmitarbeitern, wird möglicherweise engagiert, einen Großauftrag im doch fernen Ausland abzuwickeln. Wie konnte das sein? Die Erklärung war einfach. Leitende Mitarbeiter einer großen niederländischen Firma, die mit einem der Chefs bekannt waren, hatte ein Empfehlung ausgesprochen. Mund-zu-Mund-Propaganda scheint immer noch die beste Werbung zu sein, Publicity konnten sich unsere „Buben“ sowieso nicht leisten.

Aber warum Portugal? Zufälligerweise war ich selbst dort öfter in den letzten Jahren, seit ein enger Freund nach Porto verzogen war. Sein Job als freier Übersetzer für Wirtschaftstexte erlaubte ihm das Arbeiten an einem beliebigen Ort: Porto war vor einigen Jahren noch relativ günstig bezüglich der Lebenshaltungskosten. Das hat sich allerdings gründlich verändert. Kauf- und Mietpreise für Wohnungen steigen stark, auf die Idee, am schönen Atlantik bei milderen Temperaturen zu arbeiten, kommen immer mehr Freelancer, vor allem im IT-Geschäft; und eine massive Zuwanderung wohlhabender Brasilianer, die in die EU wollen, die aber der Vorteil, ihre Muttersprache Portugiesisch benutzen zu können, anlockt, tun ein Übriges. Beliebt scheinen sie nicht zu sein, wie ich erfahren musste, nicht zuletzt weil sie die finanziell weniger potenten Einheimischen vom Wohnungsmarkt verdrängen.

Mein Freund ist ein in den USA geborener Marxist mit deutschem Pass. Wie nicht wenige Marxisten liebt er Champagner („In victory we deserve it, in defeat we need it“ meinte Churchill), und so fuhren wir eines Tages in die Region Bairrada, das Zentrum der portugiesischen Schaumweinproduktion. Findige Franzosen hatten vor etwa hundert Jahren festgestellt, dass Boden, Rebsorten und Klima für den Ausbau von Schäumern ideal waren. Man bekommt qualitativ guten Stoff für einen Bruchteil des Preises in der Champagne. Soweit so gut.

Eine Unmenge nagelneuer Firmengebäude in Autobahnnähe

Mein Freund hatte mir regelmäßig die schwierige portugiesische Wirtschaftslage erläutert, unter sozialistischem Blickwinkel natürlich: ein peripheres Land, agrarisch geprägt und von den EU-Riesen Deutschland und Frankreich ausgebeutet und abhängig. Dass Portugal ein fast neueres Autobahnnetz hat, verglichen mit den Schlaglochpisten und vom Einsturz bedrohten Brücken hierzulande, und Porto selbst eine vorbildliche U-Bahn, was wohl ohne EU-Hilfen kaum denkbar sein konnte, wollte ich nicht anführen. Immerhin: Dass die Löhne niedrig waren, das ließ sich nicht bestreiten. Auf der Fahrt fiel mir die Unmenge nagelneuer Firmengebäude in Autobahnnähe auf. Bemerkenswert war, dass das überwiegend Betriebe der metallverarbeitenden Industrie waren, keineswegs nur Verteiler von in Nordeuropa produzierten Industrieprodukten. Das schien nun zu dem Bild eines rückständigen Agrarlandes gar nicht zu passen.

Auf einer Party im Haus meines Freundes fiel mit ein Typ auf, der dem Bayernstürmer Thomas Müller zum Verwechseln ähnlich sah. Ich sprach ihn darauf an, anfänglich war er etwas indigniert, aber es entwickelte sich eine intensivere Unterhaltung. Robert, so wollen wir ihn nennen, war leitender Ingenieur bei Bosch in Braga, nordwestlich von Porto. Mit einem deutschen Ingenieursgehalt könne man hier leben wie die Made im Speck. Er wohnte auch im luxuriösesten Stadtteil Portos, direkt am Meer.

Die Einstellungsgehälter von portugiesischen Ingenieuren, die gerade von der Uni abgingen, seien allerdings bemerkenswert niedrig: Etwa 1.600 Euro brutto. Ein Wohnung in Porto könne man sich davon nicht leisten, eine Familie gründen auch nicht. Aber das Salär würde steigen, und die Leute würden anfangs von ihren Familien unterstützt. Das Lohnniveau in Portugal befinde sich inzwischen unter dem von Ungarn, von Ländern wie Polen ganz zu schweigen. Der Ausbildungsstand liege vielleicht minimal unter dem deutschen, aber Internet und Straßen seien in Portugal inzwischen besser als in der Heimat. Ich erwähnte, dass Bosch auch an meinem Wohnort in Bamberg vertreten sei. Robert lächelte nur vielsagend. Man höre ganz allgemein von Problemen der Autozulieferer. 

Deutschland wird nur noch als Standort mit Nachteilen gesehen

Man muss kein Schlauberger sein, um zu begreifen, auf was das hinausläuft. Schon seit Jahren werden immer mehr Teile der Produktivwirtschaft ins mehr als konkurrenzfähige Ausland verlegt, gerade von deutschen Firmen. Mehr als Leitungsfunktionen und Konstruktionsaufgaben bleiben für unser Land nicht mehr übrig. Die Energieproblematik wird der Entwicklung einen starken Schub geben.

Deutschland wird nur noch als Standort mit Nachteilen gesehen: zu hohes Lohnniveau, nicht konkurrenzfähige Infrastruktur, zunehmend schlecht gebildete und ausgebildete Arbeitskräfte. Das alles scheint unsere Regierung nicht zu interessieren, aber ich denke, sich langsam anbahnende Entwicklungen dürften sich mit der Energiekrise exponentiell beschleunigen. Die „Bude“ meines Bruders könnte noch zu den Gewinnern gehören, insgesamt ist die Perspektive aber düster.

Sicher kein Einzelfall, aber gerade auch Länder wie Portugal scheinen noch Vorteile zu bieten. Die periphere Lage scheint bei den heutigen logistischen Möglichkeiten keinen mehr zu interessieren. Ich bin gespannt, was aus der lusitanischen Connection wird. Ich halte die geschätzte Leserschaft auf dem Laufenden.

P.S. Einige Tage später: Die Jungs haben den Konstruktionsauftrag an Land gezogen.

Foto: Pixabay

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Arnold Balzer / 26.01.2023

Ich kenne Portugal aus der Zeit VOR und NACH dem Fall der letzten Diktatur. Ein immenser Wandel hat stattgefunden, was die Modernisierung angeht, gewiss, hauptsächlich von EU-Hilfen (mit-)finanziert. Dasselbe in Spanien nach der Franco-Ära und dem EU-Beitritt. Portugal war früher dasjenige Land Westeuropas mit der geringsten Alphabetisierungsrate, das Volk wurde unter Salazar arm und dumm gehalten, der Kirche treu ergeben. Mit der Unabhängigkeit der Kolonien kamen Portugiesen zurück ins Mutterland, aber auch viele ungebildete Eingeborene, die das neue Prekariat bilden - wir kennen das ja hierzulande auch. Die sozialen Verwerfungen haben zu einer hohen Inflation geführt, die Landeswährung Escudo (unter der Diktatur teurer als die spanische Peseta) sank gegenüber der D-Mark auf ein Zehntel des Wertes.  ###  Europäische Fachkräfte bestimmter Berufe genießen zahlreiche Steuervorteile. PT ist auch für Rentner interessant: Als “Residente nao habitual” (RNH) zehn Jahre steuerfrei leben - die scheiß-sozialistischen Neiderstaaten SE und DE haben daraufhin PT gezwungen, seit kurzem einen Steuersatz von 10% auf ausländische Einkünfte zu erheben.

Jochen Brühl / 26.01.2023

Der Trost ist hier der Euro. Die EZB-Funktionäre werden auch die deutschen Staatsanleihen immer weiter kaufen, wenn in Deutschland nichts mehr erwirtschaftet wird, sonst sind sie ihre Jobs los. Erst wenn die anderen die Euroentwertung nicht bis zum Untergang mitmachen wollen und alle bis auf Deutschland den Euro verlassen haben, wird es eng. Das will ich aber unbedingt noch sehen. Das wird sehr lustig.

Rudhart M.H. / 26.01.2023

Nun betrifft diese Entwicklung, die nur und ausschließlichdank immenser Zuschüsse aus Brüssel machbar waren, fast alle Länder , die ehemals am Rande der EU lagen und eigentlich weder Industrie- noch Service- noch irgendwelche IT-Leuchttürme früher waren. Und unsere Blödmichel fahren ja nicht dahin , um sich mal umzusehen und zu vergleichen, wie es den Brüdern und Schwestern in diesen Ländern eigentlich so geht. Nein, die fahren 2x im Jahr nach Malle , um sich die Birne mit billigem Wein aus Eimern zuzuschütten und wer etwas mehr auf “Stil” hält, der fährt in ein Nobel-Hotel in der Dom.Rep. - was eigentlich hier abgeht , das hat keiner auf dem Schirm. Und das dies so bleibt, dafür sorgen schon die “Investigativjournos” und “Relotianer” bei den ach so unabhängigen Medien. Der Blödmichel schuftet , am besten gleich bis 70 , bekommt eine Minirente, wenn er nicht gerade Minister, Landesfürst oder besser noch “Indendant” einer ÖR Fernsehanstalt ist. Und aus die Maus. Fahrt doch mal überland in Polen oder Tschechien, in Ungarn oder Rumänien , in Portugal oder sonstwo in der EU. Maggie hatte es schon seinerzeit auf den Punkt gebracht: I want my money back! Wir haben aber auch eben eine Verantwortung für die ganze Welt. obwohl wir so gut wie keine Kolonien hatten , ganz im Gegensatz zu UK, Belgien, Frankreich und den Holländern. Dazu kommt eine ungeahnte Verwahrlosung des Bildungsstandortes Deutschland in Kombination mit der Machtergreifung der naiv-dummen und kindlichen Nichtsleister der Grünen und deren fremdgesteuerten NGO und sonstigen von Millardären gesteuerten und Geheimdiensten betreuten Organisationen und Bildungseinrichtungen. Ich halte dieses Geschwafel von dahergelaufenen “Ministern” ohne jeglichen Bildungsabschluß und schon ganz und gar ohne Erfahrung in Wirtschaft, Produktion und sogar des Lebens ansich nicht mehr aus! Dann “wundert” man sich, warum die Polen und die Ungarn so wählen , wie sie wählen ! Unfaßbar diese Ignoranz.

RMPetersen / 26.01.2023

In Deutschland ein ” zu hohes Lohnniveau”? Diese Aussage spricht nicht gerade für Detailkenntnis, ich bitte um Differenzierung. Man sollte den gierigen Griff der Steuerbehörden und die hohen Lohn-Nebenkosten benennen. Die Netto-Gehälter sind deutlich niedriger als in den Nachbarländern, deutsche Handwerker und andere Fachkräfte strömen zum Arbeiten in die Schweiz und nach Dänemark.

Sam Lowry / 26.01.2023

“Deutschland wird nur noch als Standort mit Nachteilen gesehen”. Deutschland IST ein Standort mit vielen Nachteilen. Bei Energiekosten, Papierkram usw. ...

giesemann gerhard / 26.01.2023

Im heutigen Franken, in Bayern lebte dereinst die Urhorde. Denen ging es blendend, die Bierfranken hatten Bier, die Weinfranken hatten Wein - und stets waren die Frankenzipfel auf dem Grill. Mit Gnedel. Doch eines Tages gab es Unmut: Einige fingen an zu näseln, sei es, weil sie Schnupfen hatten oder einfach nicht anders konnten - Details sind nicht überliefert. So wurde im Thing beschlossen: Ihr Näsler nervt, müsst fort, geht Richtung Westen, über den Rhein und kommt nie wieder zurück. So geschah es, und seitdem gibt es dorten ein Frankenland 2.0 - wobei die Näsler das sofort in “France” verballhornt hatten. Nun gut, dort lag der Champagner abgefüllt auf den Feldern, der Cognac tropfte von den Bäumen - Gott in France. Jedoch, an den Pyrenäen angekommen, stellten sie fest: einige von uns näseln nicht nur, sondern sie nuscheln auch noch. Das war zu viel; so wurden die Nuschler geheißen, weiter zu ziehen, bis es nicht mehr weiter ging. So ist Port du Gal entstanden und es ist immer noch da. Und weil sie nicht gestorben sind, so nuscheln sie noch heute.

Wolfgang Schönfeldt / 26.01.2023

Das ist doch politisch genau so gewollt. Täuschland deindustrialisieren, wegen Klima und Nachhaltigkeit und Öko und so. Um ein Zeichen zu setzen!

Didi Hieronymus Hellbeck / 26.01.2023

Viele Auswanderer sind nach drei, vier Jahren wieder hier: verunsichert, abgezockt/Kohle futsch, kränkelnd, Beziehungen im Eimer. Schlimme Erfahrungen wurden berichtet aus: Südafrika, Dubai, Costa Rica. Schweden sei aushaltbar, aber völlig überteuert und wohl weithin trostlos (psychische Alterationen). Portugal dürfte tatsächlich noch halbwegs ok sein.

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