Hubert Geißler, Gastautor / 04.10.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 9 / Seite ausdrucken

Neues vom Schrauber: Von Gesslerhüten umzingelt

Von Hubert und Bernhard Geißler.

Vorbei die Zeiten, wo man noch herzhaft streiten und sich dann am Tresen verbrüdern konnte. Heute genügt schon ein Zögern, ein falsches Wort, und der häusliche Friede ist dahin. Es ist wie bei Karl Valentin: „Die beste Staatsform ist die Anarchie! Aber ein starker Anarch muss es sein!“

„Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut." (Mt 12,43; Lk 9,50) heißt es im Neuen Testament, und dieser Spruch dürfte auf die gegenwärtige politische Diskussion mit einer gewissen Schärfe zutreffen. Auch auf der Achse findet gerade in den Briefen der geneigten Leserschaft eine gewisse fundamentalistische Gesinnungsprüfung statt. Egal welches Thema angesprochen wird, welcher Missstand kritisiert wird, es kommt in der Regel immer zu einer Art Gretchenfrage: „Wie hältst du's mit der AfD?“

Und wenn versucht wird, auf faustische Art auszuweichen und zu antworten: „Will niemand seinen Glauben rauben...“, dann ist der Themenverfasser und Schreiber schon diskreditiert. Veränderung scheint manchem nur in und mit der alleinseligmachenden Partei möglich zu sein. Dieses Problem stellt sich nun umso mehr, als Herr Krall und seit längerem Frau Wagenknecht Parteigründungen angekündigt haben. Diese werden, bei allem teilweise vorhandenen Respekt für die beiden Akteure, lediglich als Schwächung der zentralen Opposition wahrgenommen und damit verurteilt, oder man spricht ihnen gleich jegliche Chance auf Erfolg ab.

Überhaupt leben wir in einem Milieu, wo wir von Gesslerhüten umzingelt sind. „Versprich mir, Heinrich... Wie hältst du's mit Selenskyj, dem Iwan, dem Ami, dem Merz, dem Klima, den Klebern?“ Eine falsche Antwort am falschen Tisch kann schon bedeuten, dass man den zweiten Löffel seines Frühstückseis nicht mehr in Ruhe in den Rachen schieben kann und unversehens in einer schweren ideologischen Keilerei verstrickt ist. Schon ein mildes „Ja, aber“ zu solchen Gretchenfragen wird einem übel ausgelegt, und ein zweites Stück Semmel ist oft nur durch stillschweigende Zustimmung zu den starken Überzeugungen unserer Mitmenschen zu bekommen.

Was waren das für Zeiten in meiner frühen Jugend, wo sich im Internat, in dem ich untergebracht war, Anhänger der Jungen Union und grimmige Anarchisten stundenlang die Argumente, oder was man dafür gehalten hat, um die Ohren gehauen haben. Die weltanschaulichen Differenzen wurden dann in der institutsseigenen Kaschemme mit einem Fläschchen Gumpoldskirchner heruntergespült. Vorüber, ach vorüber! Heute genügt schon ein Zögern, ein falsches Wort, und der häusliche Friede ist dahin. Apropos, kennen sie das bairische Bonmot nach Karl Valentin: „Die beste Staatsform ist die Anarchie! Aber ein starker Anarch muss es sein!“

Plädoyer für die universelle Gesprächsfähigkeit

Zurück zur brodelnden Gegenwart: Es wurde kolportiert, dass nun Herr Krall – wir sprachen von ihm – mit Herrn Maaßen eine Organisation, gar Partei, gründen wolle. Der hat dies dementiert: Man habe sich unterhalten, aber es sei nichts Genaueres besprochen worden. Kommunizieren wolle man aber weiter. Was mag das nun bedeuten: War für einen übereifrigen Bürger der Wunsch der Vater des Gedankens? Oder hat die kolportierte Nachricht den Zweck, wie beschwörend das empfundene politische Unheil abzuwenden? Wir wissen es nicht.

Maaßens moderate Reaktion kann man sich anhören. Seine tiefe Unzufriedenheit mit dem Zustand der Post-Merkel-CDU streitet er nicht ab, ebenso wenig wie seine positive Einschätzung von Markus Krall. Allerdings scheint bei ihm noch ein Hoffnungsflämmchen auf eine Reform seiner Partei zu flackern. Dazu sagen wir nichts. Die AfD wird moderat kritisiert, und sogar in Wagenknechts Analyse der bundesdeutschen Situation entdeckt Maaßen massive Gemeinsamkeiten, wobei er ihre Lösungsansätze ablehnt: Für ihn ist sie eine in der Wolle gewaschene Kommunistin. Interessant ist das Ende des Interviews. Er hält für die Krallpartei ein Wahlergebnis im oberen ein- bis unteren zweistelligen Bereich für möglich. Aber wie gesagt, dieser argumentiert für seine höher angesetzten Erwartungen mit der Voraussetzung eines massiven gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Undenkbar ist nichts, aber wissen tut man auch nichts Genaues.

Maaßen plädiert allerdings für die universelle Gesprächsfähigkeit gerade der neuen Parteien untereinander und prangert die Brandmauermentalität der, wie er sie nennt, Kartellparteien an. Damit kommt er der eigentlich positiven Vorstellung des Parlaments als Repräsentation der verschiedenen Strömungen im Volk, die ja durch die Parteiinteressen geradezu gelähmt und pervertiert werden, sehr nahe. Sogar wenn das Kamel durch das Nadelöhr ginge und die AfD im Bund eine absolute Mehrheit erhielte, wäre sie immer noch eine Partei, und die Folge dieser Entwicklung wäre wohl eine ungute Polarisierung, wie wir sie jetzt in den USA haben, mit Bayern als Texas und NRW als Kalifornien. Scherz beiseite. Maaßen schließt noch nicht einmal Gespräche mit den Wagenknechtianern oder „vernünftigen“ Grünen aus. Die müssten auch geführt werden, denn das sei schließlich Demokratie.

Dann bräuchte man nur noch eine eigentliche Regierungsmannschaft aus Fachleuten, und alles könnte gut sein. Aber wie gesagt, die Gesslerhutaufstelltrupps ziehen durch das Land, und mancher Heinrich verscherzt es sich mit seiner Grete. Oder umgekehrt.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder.

Bernhard Geißler gehört zu den sogenannten Fachkräften und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel, kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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W. Renner / 04.10.2023

Erst mal diskutieren wir uns tot, dann schauen wir weiter ...

Oliver Hoch / 04.10.2023

Mag ja sein, dass unter den Lesern (und vor allem den Leserbriefschreibern, ich will mich da nicht ausnehmen) der Achse ganz besonders viele Fundamentalisten zugange sind. Dazu will ich mir kein Urteil anmaßen. Ich weiß aber, dass bei den öffentlichen Veranstaltungen der AfD in unserer Gegend (weit weg von Fäser, Rhein und Liebknecht) jeder sprechen darf. Zuweilen kommen auch örtliche Antifanten vorbei, bitten höflich um Rederecht, werden nach vorne gebeten, erzählen ihren Blödsinn, und verlassen unter allgemeinem Gelächter wieder die Versammlung. Ich war auch schon bei Aktivitäten anderer Parteien. Nirgends sonst habe ich die gleiche Toleranz und Offenheit gesehen wie bei der AfD. Man muss nicht ihre Ziele teilen. Man kann andere Ziele haben und macht sich mit diesen möglicherweise lächerlich. Aber jeder hat das Recht auf seine eigenen Torheiten. Selber bin ich im Übrigen dafür, dass denjenigen, welchen die allgegenwärtige Propaganda einen tiefsitzenden Hass auf die Alternative für Deutschland eingetrichtert hat, andere Parteien mit bürgerlicher Tendenz zur Auswahl stehen. Damit sie sich eben nicht gezwungen sehen, den linken Block zu wählen, nur weil sie Angst haben.

Sam Lowry / 04.10.2023

@Bernhard Freiling: Genau so ist es. Sehr gut ausgedrückt. Danke.

Nikolaus Neininger / 04.10.2023

Bei bestimmten Personen ist das aber schon länger vorbei, daß man nach einem fachlichen / politischen Streit persönlich wieder miteinander redet.    In den 80ern war ich Mitglied in einer “Akaflieg”, einem von einer Universität gegründeten Segelflugverein. Dort gab es die Studenten, einen hauptamtlichen Fluglehrer nebst einigen Schraubern einerseits und ehemalige Studenten, oft wohlsituiert etwa als Zahnarzt, Rechtsanwalt, Kripokomissar andererseits. Die ersten flogen wochentags, die zweiten am Wochenende. Speziell von der zweiten, sich in vielen Fällen für “etwas besseres” haltenden Gruppe gab es kein Interesse, mit der anderen Gruppe zu reden; nur notgedrungen und soweit gar nicht zu vermeiden, weil der Eigentümer der Infrastruktur und Halter eines Großteils der Flugzeuge nun mal die Universität war.  Immerhin wurde ich nicht aufgefordert, “mich für eine Seite zu entscheiden” - das ist heute leider anders.

S. Andersson / 04.10.2023

Herrlich ! Was bin ich froh das meine Persönlichkeit sich erlauben kann was auch immer, wo auch immer zum besten zu geben und das die Runde schweigt. Hab heute im dicken B einen Aufkleber entdeckt: „ Was ist ein Politiker im Knast? Artgerechte Haltung“  der war richtig gut…

Bernhard Freiling / 04.10.2023

Sie können ja wählen, wen immer Sie mögen. Aber: wenn es nicht die AfD sein sollte, hören Sie bitte auf zu jammern. Ich k a n n e s n i c h t m e h r hören. # Die Zustände, die Sie und Ihr Schrauberbruder immer wieder beklagen, erhielten maßgebliches Gewicht unter 16 Jahren Merkel-CDU-Regierung. Wenn Sie für ein “weiter so” sind, müssen Sie CDU wählen. Und das Jammern einstellen. Ziehen Sie die verschärfte Version vor, dann wählen Sie rotgrüngelb. Und hören auf zu Jammern. Bitte! # Sie scheinen ein netter Mensch zu sein. Auch mag ich wie Sie schreiben und was Sie schreiben. Das “was” steht aber ab heute unter Vorbehalt. Denn Sie erwarten offensichtlich eine Änderung ohne Änderung.  Eine Definition von Wahnsinn ist es, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Nicht ich stelle Sie in “mein Abseits” - das tun Sie selbst. Ganz alleine.

Hans Bendix / 04.10.2023

Nun, verehrte Herren Geißler, man mag zu den Alt- und Neuparteien unterschiedlichster Ausrichtung stehen, wie man will. Gleichwohl kann man verschiedene Tatsachen wissen: 1) Die Wahlbefragungen des Souveräns durch irgendwelche Meinungsforschungsinstitute sind - von Ausnahmen vielleicht abgesehen - pseudowissenschaftlich verbrämte Kaffeesatzleserei, denn vor Wahlen sagen die uns, wie es kommen wird und nach den Wahlen, warum es nicht so gekommen ist. 2) Parteineugründungen haben es in Deutschland schwer, und es hat in Deutschland noch keine konservativ orientierte Neugründung gegeben, die nicht “von braunaußen” unterwandert worden wäre. - Nun hat es in Deutschland tatsächlich eine bürgerliche Parteineugründung - trotz marginalen Unterwanderungsversuchs - nicht nur geschafft, sich parlamentarisch über der 5%-Hürde zu etablieren, sondern sich auch auf den Weg in Richtung parlamentarischer Mehrheiten zu machen. Daß dies von den Alt- bzw. Kartellparteien als Angriff auf ihre exsekutive Definitionshoheit gesehen wird, wird keinen verwundern. Also muß man Gegenmaßnahmen ergreifen, wobei die causa Schönbohm beweist, daß man in der Wahl der Mittel notfalls nicht zimperlich oder durch die gesetzlichen Grenzen des Rechtsstaates gebremst ist. Schließlich erfanden Sozialisten, die ihre parlamentarischen Mehrheiten schmelzen sahen - würdig des Nobelpreises für Politik - die “Brandmauer”, um bürgerliche Mehrheiten “rechts” der sozialistischen Mitte (die irgendwo bei der KPD liegt) zu verhindern. Sagte Richard v. Weizsäcker noch, die Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht, muß man das heute in Sozialisten aktualisieren. Und wenn verfassungskonforme Mittel nicht suffizient sind zur Bekämpfung des Sozialismus´, muß man zu überverfassungsmäßigen Mitteln zur Bekämpfung der Sozialisten greifen. Hierfür hat sich die Trias aus Proskription, Exstinktion und Exilierung bereits bewährt.

Moritz Cremer / 04.10.2023

Na, wer will schon mit bolschewoken Volltrotteln am Tisch sitzen??!!! Da muss nicht einmal ein Wort gesprochen werden, damit mir der Löffel im Halse stecken bleibt; ich bekäme nämlich schon beim Hinsetzen Würfelhusten & Diarrhoe… ;-)))

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