Von Hubert und Bernhard Geißler.
Vorbei die Zeiten, wo man noch herzhaft streiten und sich dann am Tresen verbrüdern konnte. Heute genügt schon ein Zögern, ein falsches Wort, und der häusliche Friede ist dahin. Es ist wie bei Karl Valentin: „Die beste Staatsform ist die Anarchie! Aber ein starker Anarch muss es sein!“
„Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut." (Mt 12,43; Lk 9,50) heißt es im Neuen Testament, und dieser Spruch dürfte auf die gegenwärtige politische Diskussion mit einer gewissen Schärfe zutreffen. Auch auf der Achse findet gerade in den Briefen der geneigten Leserschaft eine gewisse fundamentalistische Gesinnungsprüfung statt. Egal welches Thema angesprochen wird, welcher Missstand kritisiert wird, es kommt in der Regel immer zu einer Art Gretchenfrage: „Wie hältst du's mit der AfD?“
Und wenn versucht wird, auf faustische Art auszuweichen und zu antworten: „Will niemand seinen Glauben rauben...“, dann ist der Themenverfasser und Schreiber schon diskreditiert. Veränderung scheint manchem nur in und mit der alleinseligmachenden Partei möglich zu sein. Dieses Problem stellt sich nun umso mehr, als Herr Krall und seit längerem Frau Wagenknecht Parteigründungen angekündigt haben. Diese werden, bei allem teilweise vorhandenen Respekt für die beiden Akteure, lediglich als Schwächung der zentralen Opposition wahrgenommen und damit verurteilt, oder man spricht ihnen gleich jegliche Chance auf Erfolg ab.
Überhaupt leben wir in einem Milieu, wo wir von Gesslerhüten umzingelt sind. „Versprich mir, Heinrich... Wie hältst du's mit Selenskyj, dem Iwan, dem Ami, dem Merz, dem Klima, den Klebern?“ Eine falsche Antwort am falschen Tisch kann schon bedeuten, dass man den zweiten Löffel seines Frühstückseis nicht mehr in Ruhe in den Rachen schieben kann und unversehens in einer schweren ideologischen Keilerei verstrickt ist. Schon ein mildes „Ja, aber“ zu solchen Gretchenfragen wird einem übel ausgelegt, und ein zweites Stück Semmel ist oft nur durch stillschweigende Zustimmung zu den starken Überzeugungen unserer Mitmenschen zu bekommen.
Was waren das für Zeiten in meiner frühen Jugend, wo sich im Internat, in dem ich untergebracht war, Anhänger der Jungen Union und grimmige Anarchisten stundenlang die Argumente, oder was man dafür gehalten hat, um die Ohren gehauen haben. Die weltanschaulichen Differenzen wurden dann in der institutsseigenen Kaschemme mit einem Fläschchen Gumpoldskirchner heruntergespült. Vorüber, ach vorüber! Heute genügt schon ein Zögern, ein falsches Wort, und der häusliche Friede ist dahin. Apropos, kennen sie das bairische Bonmot nach Karl Valentin: „Die beste Staatsform ist die Anarchie! Aber ein starker Anarch muss es sein!“
Plädoyer für die universelle Gesprächsfähigkeit
Zurück zur brodelnden Gegenwart: Es wurde kolportiert, dass nun Herr Krall – wir sprachen von ihm – mit Herrn Maaßen eine Organisation, gar Partei, gründen wolle. Der hat dies dementiert: Man habe sich unterhalten, aber es sei nichts Genaueres besprochen worden. Kommunizieren wolle man aber weiter. Was mag das nun bedeuten: War für einen übereifrigen Bürger der Wunsch der Vater des Gedankens? Oder hat die kolportierte Nachricht den Zweck, wie beschwörend das empfundene politische Unheil abzuwenden? Wir wissen es nicht.
Maaßens moderate Reaktion kann man sich anhören. Seine tiefe Unzufriedenheit mit dem Zustand der Post-Merkel-CDU streitet er nicht ab, ebenso wenig wie seine positive Einschätzung von Markus Krall. Allerdings scheint bei ihm noch ein Hoffnungsflämmchen auf eine Reform seiner Partei zu flackern. Dazu sagen wir nichts. Die AfD wird moderat kritisiert, und sogar in Wagenknechts Analyse der bundesdeutschen Situation entdeckt Maaßen massive Gemeinsamkeiten, wobei er ihre Lösungsansätze ablehnt: Für ihn ist sie eine in der Wolle gewaschene Kommunistin. Interessant ist das Ende des Interviews. Er hält für die Krallpartei ein Wahlergebnis im oberen ein- bis unteren zweistelligen Bereich für möglich. Aber wie gesagt, dieser argumentiert für seine höher angesetzten Erwartungen mit der Voraussetzung eines massiven gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Undenkbar ist nichts, aber wissen tut man auch nichts Genaues.
Maaßen plädiert allerdings für die universelle Gesprächsfähigkeit gerade der neuen Parteien untereinander und prangert die Brandmauermentalität der, wie er sie nennt, Kartellparteien an. Damit kommt er der eigentlich positiven Vorstellung des Parlaments als Repräsentation der verschiedenen Strömungen im Volk, die ja durch die Parteiinteressen geradezu gelähmt und pervertiert werden, sehr nahe. Sogar wenn das Kamel durch das Nadelöhr ginge und die AfD im Bund eine absolute Mehrheit erhielte, wäre sie immer noch eine Partei, und die Folge dieser Entwicklung wäre wohl eine ungute Polarisierung, wie wir sie jetzt in den USA haben, mit Bayern als Texas und NRW als Kalifornien. Scherz beiseite. Maaßen schließt noch nicht einmal Gespräche mit den Wagenknechtianern oder „vernünftigen“ Grünen aus. Die müssten auch geführt werden, denn das sei schließlich Demokratie.
Dann bräuchte man nur noch eine eigentliche Regierungsmannschaft aus Fachleuten, und alles könnte gut sein. Aber wie gesagt, die Gesslerhutaufstelltrupps ziehen durch das Land, und mancher Heinrich verscherzt es sich mit seiner Grete. Oder umgekehrt.
Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder.
Bernhard Geißler gehört zu den sogenannten Fachkräften und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel, kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.