Mal wieder der kranke Mann am Bosporus

Morgen finden die Stichwahlen in der Türkei statt. So oder so ist das Land dabei, ein Pflegefall für Europa und Deutschland zu werden. Die Wirtschaftszahlen verheißen nichts Gutes, um nicht zu sagen, etwas katastrophales.

Besser, Sie erfahren von mir, was da auf die EU und Deutschland zukommt. Ich werde es Ihnen in Häppchen erklären. Wenn Sie glauben, die morgige Stichwahl zur Präsidentschaft in der Türkei gehe nur die Türkei etwas an, dann irren Sie sich gewaltig, denn es geht uns alle in Europa, besonders in Deutschland an.

Der kranke Mann am Bosporus, wie die Türkei schon zu Zeiten der Osmanen genannt wurde, ist dabei, ein Pflegefall für Europa und Deutschland zu werden. Die Wirtschaftszahlen verheißen nichts Gutes, um nicht zu sagen, katastrophales. Den Zustand von damals, als Griechenland pleiteging, hat die Türkei schon vor einiger Zeit erreicht. Da die Importe des Landes die Exportumsätze auffressen, kommen keine Devisen mehr ins Land, wo doch so viele Auslandschulden bedient werden müssen.

Faktisch ist die Türkei schon lange zahlungsunfähig, aber Dank der Gläubigerländer beziehungsweise die Banken der jeweiligen Länder, die die Darlehen immer wieder prolongieren, kam es bis heute nicht zur Pleite beziehungsweise ist dieses noch nicht kommuniziert worden.

Warum tun die Gläubigerbanken das? Lieben sie die Türkei so sehr? Nein, sie wissen, wenn sie Druck auf die Türkei ausüben und auf die Rückzahlung der längst fälligen Darlehen bestehen, wird die Türkei Konkurs anmelden müssen. Das hätte zur Folge, dass zum Beispiel Banken in Spanien und Italien, die größten Gläubigerländer und -banken, ihrerseits bankrottgehen, aber zumindest in große Schwierigkeiten kommen würden. Also halten sie die Füße still und kassieren jedes Jahr an die 40 Milliarden Euro an Zinsen. Selbst dieses ist für die Türkei schon lange nicht mehr möglich. Es erfordert immer wieder einen Kraftakt, die Gelder hier und da zu organisieren. Katar, China, Saudi-Arabien … wenn sie einige Milliarden rüberschieben, dann nur, wenn sie dafür ein Stück Türkei bekommen. Damit kann man aber die Wirtschaft nicht mehr drehen. Wohin das ewige Gelddrucken führt, sieht man an der Inflation. Beschönigt bei circa 50 Prozent und real bei 200 Prozent. Die türkische Währung wird von Tag zu Tag immer wertloser.

Die Geschäfte und Industrieunternehmen sind seit Monaten, weil man auf die Wahlen zusteuerte, in Wartehaltung. Die Banken geben den Unternehmen keine Devisen mehr, wer als Privatmann zur Bank geht, bekommt weder Kredite noch Devisen, denn es ist nichts mehr da. Die Zentralbank muss schauen, wo sie Devisen herbekommt.

Wer sollte gewinnen?

Für die EU und Deutschland ist ziemlich egal, wer gewinnt. Erdogan ist Europas Liebling, wenn man schaut, wie viele seiner Organisationen hier in Deutschland geduldet und mit Geld unterstützt werden. Die Furcht vor weiteren Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und so weiter hat die EU – und Deutschland vor allem –, in Abhängigkeit von Erdogan geführt. Die Regierungen in Europa kann Erdogan jederzeit mit den Flüchtlingen erpressen, so wie er das schon immer tat. Dennoch, Europa ist bereit dafür zu bezahlen. Ist es also besser, wenn Erdogan gewinnt?

Das kann man so und so sehen. Auf der einen Seite ist Verlass auf Erdogan. Europa weiß, dass man bei ihm mit Geld klarkommen kann. Da gibt es aber einen Haken, oder sollten wir sagen, einen Rattenschwanz, der einem Sieg von Erdogan folgen würde.

Wenn Erdogan weitermacht, wird er die Wirtschaft nicht zu retten versuchen, weil das niemand kann. Bei Erdogan besteht auch nicht die Absicht, etwas zu tun, denn wenn er was tun wollte, bräuchte er an die 400 Milliarden Euro, doch einem Diktator und Alleinherrscher gibt der Internationale Währungsfonds diesen Betrag nicht. Zum anderen ist der IWF die Rote Linie Erdogans, die er immer angegriffen und zum Feind erklärt hat gegenüber seinen Wählern. „Wir wollen kein Geld vom IWF, wir leihen diesem Geld.“ Das ist O-Ton Erdogan.

Nun gut, eigentlich kommt lediglich der IWF als Geldgeber in Frage, zumal in dieser Größenordnung, wie auch im Fall Argentinien. Der IWF hat das nötige Monitoring, um die Rückflüsse der Gelder zu kontrollieren. Also bliebe dem Erdogan nur die zweite Alternative. Bankrott gehen und sich die Gelder von Europa, nicht als Darlehen, sondern als Hilfen holen.

Natürlich wird das der EU und Deutschland auf den ersten Blick nicht schmecken, aber besonders Deutschland gibt ja gerne Geld für Hilfspakete aus. Die Türkei gilt als Bollwerk, das verhindert, dass Multimillionen von weiteren Flüchtlingen den Weg nach Europa finden.

Während alle Parteien in der Türkei damit Wahlkampf geführt haben, die Flüchtlinge, allesamt, in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, hat noch am 22. Mai der türkische Außenminister gesagt, dass man die meisten davon in der Türkei bräuchte, weil die Wirtschaft sonst zusammenbräche. Die Flüchtlinge werden weiterhin als Waffe und Instrument Erdogans gegen Europa ein Faustpfand bilden. Die Gelder kann man schon mal bereitstellen in Deutschland und Europa. Deutschland steht massiv unter Druck, zumal die Deutschtürken mehrheitlich für Erdogan sind und ihrerseits meutern würden, wenn Deutschland nicht hilft.

Was passiert, wenn der Gegenkandidat gewinnt?

Auch der Gegenkandidat Kilicdaroglu hätte nur den IWF als Geldquelle. Vor einigen Wochen sagte er, dass er zuerst zur parlamentarischen Demokratie zurückkehren, einen Fünfjahresplan vorlegen und dann die Gelder aus dem Ausland besorgen werde. Dieser Plan ist nun gescheitert. Auch wenn man in der ersten Wahlrunde, was die Präsidentenwahl anging, eine Pattsituation erreichte, so hat die Opposition die Mehrheit im Parlament nicht bekommen. Die AKP, die Partei Erdogans, hat die absolute Mehrheit im Parlament, aber um die Verfassung dahingehend zu ändern, dass wieder parlamentarische Demokratie in der Türkei herrscht, bräuchte man Dreiviertel der Stimmen im Parlament. Ein Ding der Unmöglichkeit, bei diesen Mehrheitsverhältnissen.

Die einzige Möglichkeit, unter diesen Mehrheitsverhältnissen zurück zur parlamentarischen Demokratie zu gelangen, wäre, die Niederlage Erdogans am morgigen Tag. Diese Variante ist theoretisch denkbar, aber ob auch gewollt, werden wir sehen. Sollte der Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu gewinnen, so muss Erdogan nicht der Verlierer sein, denn er hat ja die Mehrheit im Parlament. Eine Mehrheit, die eigentlich zu nichts Nütze ist, weil einer allein, nämlich der Präsident nur das Sagen hat, könnte ein nützliches Instrument für ihn werden. Die AKP wird dann ihrerseits die Verfassung ändern wollen, damit man zur parlamentarischen Demokratie zurückfindet.

Nachdem das geschehen ist, hat der Präsident, wie in Deutschland auch, nur eine repräsentierende Funktion. Alle Macht hätte dann das Parlament und der Ministerpräsident. Wer würde dann der Ministerpräsident sein? Exactamente, der Erdogan, wenn denn sein Gesundheitszustand das zulässt. Ein Mann der Muslimbrüderschaft wäre aber auf jedem Fall der Ministerpräsident. So, dann könnte man das Rad wieder zurückdrehen. Eine abermalige Änderung der Verfassung und wieder hin zum Einmann-Regime, mit wem auch immer.

Sie sehen, aus den Fängen des politischen Islam wird die Türkei nicht mehr loskommen und wie man unter diesen Umständen die Wirtschaft aufrichten kann … Eine Lösung ist nicht in Sicht und derzeit auch schwer erdenkbar. Zum Glück gibt es da noch Deutschland, Europa und die Flüchtlinge in der Türkei. Da lässt sich was machen.

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Leserpost

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W. Renner / 27.05.2023

Ich halte wirklich nichts von Erdogan, aber kranker als W/M/Durcheinander an der Spree ist der auch nicht. Vielleicht sollten die Klapsmühlen beider Länder über künftige Partnerschaften nachdenken.

Xaver Huber / 27.05.2023

“Der kranke Mann am Bosporus”? - Gelächter. Die Türkei wird noch bildhaft auf dem Grab Deutschlands tanzen. Und das völlig zu Recht. Denn im Gegensatz zu hiesiger Gesellschaft ist die türkische nicht vom suizidalen Selbsthaß befallen.

Klaus Keller / 27.05.2023

An Richard Reit: Sie haben mir das Stichwort geliefert. Ob sarkastisch oder nicht ist weniger wichtig.

Franz Klar / 27.05.2023

Wenn der Dönergrill auf Ökostrom läuft und im TRT ordentlich gegendert wird , gehen die Hilfsgelder klar !

Ralf Pöhling / 27.05.2023

Und weiter: Die türkische Armee ist durch die AKP auf Linie gebracht worden und hat knapp 500.000 Mann. Die Reserve liegt bei knapp 400.000 Mann, die potentielle wehrtaugliche Bevölkerung liegt bei knapp 40 Millionen Menschen. Erdogan hat im Volk ein Wählerpotential von etwas mehr als der Hälfte der Bevölkerung, Das ist ein irrsinniges Potential, was im Extremfall schnell einberufen werden und das Land für den “Führer verteidigen” kann, während deren Fünfte Kolonne hier fleißig die großen Parteien und den Sicherheitsapparat unterwandert hat. Das ist Fakt, wird aber in der Öffentlichkeit nicht kommuniziert. Es absolut naiv anzunehmen, dass das alles schadlos einfach wieder zurückschrumpfen wird. Insbesondere deshalb, weil die Muslimbrüder von der Türkei nun den Feldzug gen Westen erwarten. Die Türkei ist quasi der nach NSDAP Muster militarisierte Arm der radikalislamischen Welt. Das will hier aber keiner hören und entsprechende Gegenmaßnahmen werden ausgebremst und teils sogar mit illegalen Methoden verhindert. Der türkische MIT hat natürlich einen guten Draht nicht nur in die islamischen Länder, die offiziell oder teils auch inoffiziell mit den USA und Israel auf Kriegsfuß stehen, z.B Irak, Iran oder wohl auch Marokko, sondern auch nach Deutschland. Die sind problemlos in der Lage, hier bei uns im Land ungestraft Straftaten wie z.B. Erpressungen, Bestechungen, Auftragsmorde, Entführungen und auch die Sabotage von Gerichtsprozessen durchzusetzen. Hier in Deutschland. Die sind von der Propaganda her nicht besonders gut, bei der direkten Ausführung von Operationen schon. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Khashoggi Mord, der immer noch fälschlich den Saudis angelastet wird. Das kam nicht von den Saudis, sondern vom türkischen MIT. Genauso wie der Mord am russischen Botschafter Karlow im Jahre 2016. Die wollen es wirklich wissen und treiben es mit Macht voran. Und bei uns denkt man immer noch, man könne das Problem mit Geld lösen.  Das geht schief.

Ralf Pöhling / 27.05.2023

Meinen Informationen nach ist der Versuch Erdogan mittels Flüchtlingen nebst Hilfen an der Kette zu halten, eine 180 Grad Verdrehung der Tatsachen. Ich erinnere nochmals daran, dass Hitlers “Mein Kampf” in den letzten 20 Jahren das meistverkaufte Buch in der Türkei war. Die treibenden Kräfte der AKP sind die Epigonen der NSDAP. Die gehen nach dem gleichen Lehrbuch vor. Der Flüchtlingsdruck nach Deutschland war kein ungewollter Nebeneffekt, sondern von Anfang an von der AKP geplant, um hier die demokratischen Mehrheiten zugunsten einer Aufnahme der Türkei in die EU und dann folgend die politischen Verhältnisse in der EU gegen Israel und die USA zu ändern. Und so lange wir keinen funktionierenden Grenzschutz mit echter militärischer Abschreckung vorweisen können, halten nicht wir die AKP Türkei an der Kette, sondern die uns. Ich bin im Dienst bei der Aufklärung von professionellen türkischen und marokkanischen Kräften sabotiert worden. Das war geplant und kein Zufall. Das ist also alles viel professioneller organisiert, als man hier meint. Und nun nochmal zurück zur NSDAP: Hitler hatte damals den Krieg eingeplant. Die Finanzierung des heimlichen Aufbaus der Rüstungsindustrie und der Wehrmacht in Deutschland wurde über Schulden, also Gelddruckerei finanziert. Genauso wie jetzt in der Türkei. Die Nazis hatten den Krieg nicht nur einkalkuliert, er was das Ziel(!) der ganzen Operation! Die Schulden wollte man über Landraub und Plünderung wieder ausgleichen. Nach meiner Beobachtung, verfolgt Erdogan exakt das selbe Ziel. Ich erinnere nochmal daran, dass man dort fest damit rechnet, dass der Vertrag von Lausanne ende Juli ausläuft und man damit etliche griechische Inseln übernehmen kann. Wenn die Griechen da nicht freiwillig nachgeben, wird die Türkei unter Erdogan mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit marschieren. Die haben über 20 Jahre darauf hingearbeitet und werden jetzt nicht klein beigeben. Warum auch? Es läuft ja alles wie geplant. Das versteht hier nur keiner.

Richard Reit / 27.05.2023

@Klaus Keller: Mein Text war sarkastisch.

Manni Meier / 27.05.2023

Die Türkei “ist dabei, ein Pflegefall für Europa und Deutschland zu werden”. Heissa, hoppsa, trallalla das wird lustig. Ein Pflegefall pflegt den anderen. Sollten wir auch in unseren Pflegeheimen und Seniorenzentren einführen. Der Stein der Weisen!

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