Zu den fast vergessenen Schandtaten des westdeutschen Verlagsgewerbes der Nachkriegszeit gehört eine Publikation, die 1981 unter dem Titel „Nordkoreanisches Reisetagebuch“ erschien. Und zwar im angesehenen Frankfurter Fischer-Verlag, der die Propagandaschrift zugunsten des damals amtierenden Diktators Kim Il Sung allen Ernstes unter dem Rubrum „Informationen zur Zeit“ aufführte.
Die linkskatholische Dichterin Rinser, die sich nach Kriegsende in eine Rolle als Nazi-Verfolgte hineinphantasiert hatte und damit lange durchkam, war auf Einladung der Machthaber in Pjöngiang zum Kuscheln mit einem Staat angetreten, dessen Strukturen in mannigfacher Weise denen von Nazideutschland glichen.
Rinser war aber nicht einfach nur dämlich beziehungsweise außerstande, die ihr aufgetischten Lügen über ein glückliches Teilvolk, welches geschlossen seinen Großen Führer anhimmelte, zu durchschauen. Aus jeder Zeile der furchtbaren Huldigungsschrift trieft, was Rinser mit ihrer als Reisereportage getarnten Lobhudelei von Anbeginn bezweckte: eine exotische Diktatur schönzuschreiben, die sie als Gegenentwurf zum verhassten imperialistischen Westen, aber auch zum korrumpierten Sowjetsystem verstand.
Kurz, die einstige Verfasserin von Schmachtpoemen an die Adresse von Führer Adolf ("Wir, des großen Führers gezeichnet Verschworene, / Ungeborgen in scharfen Morgenstürmen, / Halten auf Türmen und Gipfeln klirrende Wacht … Wir jungen Deutschen, wir wachen, siegen oder sterben, denn wir sind treu!"), viele Jahre später glühende Willy-Unterstützerin und zuletzt Partisanin der Grünen, ließ sich bei ihrer zweiwöchigen Tour durch das Reich von Führer Kim keineswegs Bären aufbinden. Die Bären hatte sie bereits im Kopf aus Deutschland mitgebracht.
Oh, unkritisch war sie nicht, die Rinserluise! Grillte schon mal einen Funktionär hart aber fair auf dem Reisfeld:
Aber es ist nicht gesund, wenn Leute, vor allem Frauen, immer im kalten Schlamm stehen.
Funktionär: Aber sie tragen ja wasserdichte Strümpfe, und sie werden sehr oft ärztlich untersucht. Wir wissen nichts von Krankheiten.
Innige Verbindung von politischer Verblendung und religiöser Einfalt
Wie ein Weltbild ausschaut, in dem sich politische Verblendung und religiöse Einfalt vermählen, zeigt ein Höhepunkt des Buches, im Fischer-Buch auf Seite 110 nachzulesen. Aufzubewahren für alle Zeit in der literarischen Hall of Shame:
Aber Ihr, liebe atheistische Nordkoreaner, ihr LEBT das Christentum, ihr seid die ’anonymen Christen’. Ihr lebt die Liebe und nennt das: eine sozialistische Revolution machen. Ihr mordet nicht, ihr macht keine Raubüberfälle, keine Großbetrügereien. Ihr denkt nicht in Geld und Geldeswert, ihr lebt einer für den anderen. (...) Plötzlich denke ich: Christus ist ausgewandert nach Nordkorea.
Rinsers Korea-Märchen ward ein Flop, zu verrückt sogar für ihre treuesten Fans. Auch das Feuilleton zeigte sich irritiert, machte aber keinen großen Skandal daraus. Rinsers Wikipedia-Eintrag belässt es bei „Kritik und Unverständnis“, auf welche die Kim-Apologie gestoßen sei.
Seit Rinsers Liebesaffäre mit dem Totalitären ist im Prinzip nicht viel Neues passiert. Nordkorea ist inzwischen weithin unbeliebt geworden, aber auch auf eine Art sexy geblieben. Alle naslang kommt irgendein Blatt, irgendeine TV-Station mit irgendeiner Reportage um die Ecke, welche „neue“, „nie gesehene“, ja sogar „erstaunliche Einblicke“ „in ein abgeschottetes Land“ und „eine uns verschlossene Welt“ namens Nordkorea verheißt. Natürlich handelt es sich dabei in aller Regel um einen Haufen Bullshit. Jeder Journalist weiß, dass er nicht einmal von Helene Fischer etwas erfährt, was nicht einer Werbestrategie dient.
Erst recht wird jeder Journalist durch Nordkorea am Nasenring geführt. Er mag sich vielleicht ein Dorf oder ein Arbeitskollektiv selber zum Besuch „aussuchen“ dürfen, diese oder jene Wohnung zum Anschauen auserwählen, wie die Rinser es tat. Letztere war mächtig stolz darauf, auf ihrem Trip gelegentlich vermeintlich kesse Sonderwünsche an ihre Bewacher zu stellen. Dadurch, so machte sie sich selber und ihren Lesern vor, habe sie ein „authentisches Bild“ vom nordkoreanischen Alltag einfangen können.
In Wahrheit werden die Potemkinschen Dörfer eben dort fix aufgebaut, wo der scheinbar autonome Besucher mal hineinblinzeln möchte („Noch nie im Fernsehen gesehen!“). Da plärren dann die gleichen handverlesenen Stimmen das Lob des Großen Führers wie bei der Visite der Rinser vor fast vierzig Jahren. Die Namen der Herrscher wechseln, die Inszenierung nie.
Der äquidistante Begriff "Säbelrasseln"
Bereits die Ankündigung hiesiger Medien, nichtkontrollierte, wenigstens zeitweise unbeeinflusste Filmaufnahmen oder Interviews aus Nordkorea zeigen zu können, erfüllt den Tatbestand von Fake News aka Zuschauerbeschiss. Moderatoren, die nicht klipp und klarstellen, dass jede Drehsekunde solcher „Reportagen“ unter penibler Bewachung von Aufpassern erfolgte, welche nichts dem Zufall überließen, solche Journalisten wären eigentlich ein Fall für den Presserat. Aber der hat dafür keine Zeit, weil er Boulevardblätter für die Ungeheuerlichkeit rüffeln muss, Personen unverpixelt abgebildet zu haben, Terroropfer oder mutmaßliche Straftäter zum Beispiel.
In einem 3sat-Gespräch plaudert „Kulturzeit“-Moderator Peter Schneeberger mit der Filmemacherin Sung-Hyung Cho aufs Einverständigste über ein „abgeschottetes Land, wo man nie genau weiß, was ist Propaganda und was nicht“ (Schneeberger).
Schon dieser erste Satz der Anmoderation ist falsch. Alles dient der Propaganda, was ein Westler in Nordkorea vorgeführt bekommt. Ganz besonders dann, wenn das Regime mal wieder, wie derzeit, mit Raketen um sich schießt und global für Kriegsängste sorgt. Was manche westliche Medien gern so darstellen, als sei Trump beziehungsweise Amerika daran genauso schuld wie Nordkorea. „Säbelrasseln“ heißt der äquidistante Begriff für diese Erzählung.
Demnächst im deutschen Staatsfernsehen läuft einmal mehr der Film der gebürtigen Südkoreanerin Sung-Hyung Cho, die dank ihres deutschen Passes im faschistischen Hungerland ein bisschen kurbeln durfte (Südkoreaner kriegen prinzipiell keine Drehgenehmigung). Was dabei herauskam? Gucken Sie am 21. September um 22.45 Uhr im Hessischen Rundfunk den preisgekrönten Film über eine farbenfrohe Reise durch einen Staat mit netten Menschen und kleinen Fehlern. Ein Jammer, dass Luise Rinser das Werk „Meine Brüder, meine Schwestern in Nordkorea“ nicht sehen kann. Sie wäre entzückt. Und die Leni erst!
Siehe auch hier und hier.