Gastautor / 22.06.2012 / 17:44 / 0 / Seite ausdrucken

Kampfbrigaden für die Wende

Alexander Wendt

In den späteren achtziger Jahren, als der Durchmarsch des Sozialismus selbst in den Augen der Funktionäre etwas stockte, griff der Staat zu zwei Maßnahmen: Er schickte Jugendbrigaden in die Spur, die es tatsächlich schafften, in Leipzig oder Dresden das eine oder andere marode Altbaudach abzudichten, und er sorgte dafür, dass die Taten in einer aufrüttelnden Berichterstattung in der „Jungen Welt“ und im „Neuen Deutschland“ ausgiebig gewürdigt wurden. Die Aktion hieß „Dächer dicht“, und wies implizit darauf hin, dass es in tausende Dächer hineinregnete, weil es weder private Baufirmen noch genügend Reparaturmaterial gab. Der Frage, warum das ganze Wirtschaftssystem nicht funktionierte, ging das „Neue Deutschland“ selbstverständlich nicht nach – aber es gab unfreiwillig trotzdem eine Antwort.

Ähnlichkeiten mit der publizistischen Begleitung der Energiewende lassen sich mit dem historisch geschulten Auge sehr schön erkennen. Der Strom wird 2013 leider deutlich teurer, weil die EEG-Umlage wieder steigen wird, es drohen Blackouts im Winter; von den 3 600 Kilometer Leitungsnetzen, die den Windstrom verteilen sollen, existieren erst 100 Kilometer. Und hinter dem Plansoll von einer Million Elektroautos bis 2020 hinkt Deutschland ebenfalls leicht hinterher: Zurzeit rollen davon gerade 4 500, die wenigsten in Privatbesitz. Die „Nationale Plattform Elektromobilität“ empfiehlt: Subventionen. Mit anderen Worten: Wille und Vorstellung zum einen und die Welt zum anderen weichen etwas voneinander ab.

Da tut publizistische Unterstützung not. Das ZDF entdeckt in seiner Dokumentation über den „Kampf um die Energiewende“ zwar hier und da ein paar Schwierigkeiten, aber auch viel Gutes.

Siehe:
„Unter Strom“ in der ZDF Mediathek: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1666352/ZDFzoom-Unter-Strom

Siehe auch: ZDF-Pressemitteilung (am Ende des Textes)

Zunächst die Schwierigkeiten: Ein Problem stellen zum Beispiel die „alten Braunkohlemeiler“ der „Konzerne“ dar, die die Energiewende „blockieren“, weil man sie nicht so schnell hoch- und herunterfahren kann, wie der eingespeiste Wind- und Sonnenstrom schwankt. Das ZDF weiß Rat: „flexible Gaskraftwerke“ lösen das Problem - die aber leider, da sie nur auf Zuruf angeworfen werden sollen, nicht wirtschaftlich zu betreiben sind, sondern nur mit Stütze des Steuerzahlers.

Viel Fortschrittliches entdeckt der Sender dagegen in Haßfurt in Franken, das seinen Strom schon beinahe selbst produziert. Überhaupt sollen Bürger künftig in „eigenen Öko-Kraftwerken“ überall im Land den „grünen Strom“ erzeugen. Die Bürger der Millionenmetropole Haßfurt wird diese Nachricht beruhigen, besonders die Betreiber all der Haßfurter Chemiewerke, Papierfabriken und Aluminiumhütten.

Daran, dass beispielsweise das Rhein-Main-Gebiet oder die VW-Stadt Wolfsburg den nötigen Strom bisher noch nicht durch kleine Ökobürgergrünstromwerke erzeugt, sind Kräfte schuld, die das ZDF zielsicher als Blockierer der Energiewende ausmacht: Die „großen Energiekonzerne“, der „stockende Netzausbau“, außerdem die Tatsache, dass sich all die nötigen Subventionen für den großen Sprung nach vorn jedenfalls nicht ohne Weiteres den Steuerzahlern aufdrücken lassen.

Wahrscheinlich werden engagierte Kampfberichte über Öko-Kraftwerke in Kleinstädten und geißelnde Beiträge über Miesmacher und Hemmschuhe des Fortschritts um so stärker zunehmen, je schlechter die Energiewende läuft. Obwohl sie es dringend vermeiden will: Die Propaganda spricht meist die reine Wahrheit.

ZDF-Pressemitteilung:


“Unter Strom”: ZDFzoom-Dokumentation über den “Kampf um die Energiewende”

Riesige Kraftwerke der großen Energiekonzerne, die Deutschland mit Atom- und Kohlestrom versorgen, waren gestern. Nun wird die komplette Energieerzeugung umgestellt auf “grünen Strom”. Ein Experiment ohne Vorbild zeigt die ZDFzoom-Dokumentation “Unter Strom – Der Kampf um die Energiewende” am Mittwoch, 20. Juni 2012, 22.45 Uhr. Die Autoren Steffen Judzikowski und Hans Koberstein stoßen auf ungelöste Probleme und entdecken überraschende Fortschritte.

Sie begegnen Bürgern, die die Stromerzeugung selbst in die Hand nehmen, sich unabhängig machen von den Energiekonzernen. Auch bei dem umstrittenen Ausbau der Stromnetze treffen sie Bürger, die nicht blockieren, sondern mitgestalten.

Die Energiewende bringt vor Ort nicht nur Belastung, sondern auch Wertschöpfung in ländlichen Regionen. Am Ende soll der Gewinn nicht mehr allein in die Taschen der Konzerne fließen. Ziel vieler Kommunen ist die Vollversorgung mit selbst erzeugtem Strom. So produziert die Gemeinde Haßfurt in Franken heute schon Dreiviertel ihres Stroms selbst, schon bald wird es mehr sein, als sie selbst verbraucht.

Die Energiewende benötigt hochflexible moderne Gaskraftwerke – stattdessen laufen alte unflexible Braunkohlekraftwerke weiter und stehen der Energiewende im Weg. Die Stadtwerke Leipzig wollen ein modernes Kraftwerk bauen. Doch die Investition lohnt sich nicht. Es fehlen klare Entscheidungen der Politik.

Die Energieversorgung in Deutschland wird umgebaut, doch wer soll das bezahlen? Insbesondere die Industrie klagt über Standortnachteile. Der Energiewirtschafts-Experte Prof. Uwe Leprich zeigt, wie sich gerade die energieintensive Industrie Privilegien in Milliardenhöhe gesichert hat. Dank großer Schlupflöcher in den Gesetzen zahlen viele stromintensive Unternehmen fast nichts für die Energiewende. Im Gegenteil: Sie profitieren davon. Tatsächlich sorgt erneuerbare Energie bereits heute an vielen Tagen für sinkende Preise an der Strombörse.

zoom.zdf.de

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