Richard Wagner / 29.04.2012 / 05:45 / 0 / Seite ausdrucken

Holocaust, Ölpreis, Vermischtes

Vor drei Tagen erschrieb sich Elisabeth Kiderlen in der Süddeutschen Zeitung einen Vergleich zwischen Israel und dem Iran, aus ihrer Sicht sogar eine Gemeinsamkeit, die Traumatisierung durch die Erfahrung mit dem Holocaust und dem Ölpreis. „Auf der einen Seite“, so Frau Kiderlen, „die Erfahrung des mörderischen Antisemitismus innerhalb der westlichen Gesellschaften, insbesondere der deutschen, die letztlich zur Gründung Israels geführt habe. Auf der anderen Seite die Erfahrung mit dem westlichen Imperialismus, der die Ölvorkommen des Iran zu einem so grotesk niedrigen Gegenwert abrechnete, dass von Enteignung gesprochen werden kann, und die Iraner durch die Engländer, Russen und Amerikaner auf ihrem eigenen Grund und Boden zu Menschen zweiter Klasse degradierte.“

Frau Kiderlen, als Iran-Kennerin bekannt, ist in ihren Einschätzungen der Ursachen der Weltlage nicht zimperlich. Das geht auch aus einer Rezension hervor, die sie 2009 zu einem Buch über den Schah im Deutschlandradio publik machte.

Frau Kiderlen zitiert darin einen iranischen Politologen aus einem Artikel von 2002 mit dem Satz: „Es ist nicht abwegig zu behaupten, dass Iran, wenn der CIA-Putsch nicht gewesen wäre, heute eine gefestigte Demokratie sein könnte“. Das Buch selbst, von Stephen Kinzer, einem Korrespondenten der New-York Times, wird wie folgt beschrieben. Es spreche von der kolonialen Arroganz der Briten, die um ihre märchenhaften Profitmargen auf den Ölfeldern Irans bangen, von der Eindeutigkeit der Amerikaner, die alle Konflikte auf die „rote Gefahr“ verengen und den Einfluss der Sowjets auf einen demokratischen Iran fürchten. Von der antikolonialen Empörung der Iraner, die zu Hunderttausenden unter der geradezu religiös überhöhten Parole „das Öl ist unser Blut“ für die Nationalisierung des schwarzen Goldes demonstrieren. Kiderlen schreibt nicht Enteignung, sie schreibt Nationalisierung und übernimmt damit den linksnationalistischen Jargon der Dritten-Welt-Ideologie, der auch die in Teheran 1953 gestürzte Regierung Mossadegh anhing.

Wir haben verstanden. Was am heutigen Iran zu kritisieren ist, sei nichts als das Ergebnis der Politik des Westens. Und dass man aber Israel mit dem Iran vergleicht, den Holocaust mit einem Ölpreis ist natürlich kein Ausdruck von Antisemitismus. Antisemitismus ist, wie wir aus der jüngsten Diskussion erfahren durften, in Deutschland gar nicht existent. Es ist ein Gespenst aus der Imagination von uns Philosemiten.

Nein, in Deutschland gibt es keine Antisemiten, es gibt etliche Zionismuskritiker und vor allem eine wahre Flut von Israel- Experten. Prominente und anonyme. Israel belehren ist ein beliebtes Spiel in der deutschen Öffentlichkeit, der einschlägige Informationsbedarf scheint, bei allem Expertenwissen, noch lange nicht gesättigt zu sien. Das belegt schon ein zufälliger Blick in die soeben eingetroffener Vorschau auf das Herbstprogramm der Ullstein Buchverlage. Darin findet man gleich zwei Bücher zum Thema. Das eine hat den Titel „Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit”. Es stammt aus der Feder eines mit drei Jahren von Linz aus mit seiner Familie nach Israel gelangten Sozialwissenschaftlers, einem bekannten Gegner der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Im Vorschautext finden sich markige Sätze, wie diese: Gehört Israel den Juden? Was bedeutet überhaupt Israel? Wer hat dort gelebt, wer erhebt Ansprüche auf das Land, wie kam es zur Staatsgründung Israels?

Es gebe kein historisches Anrecht der Juden auf das Land Israel, wird der Autor, Shlomo Sand, zitiert. Diese Idee sei ein Erbe des unseligen Nationalismus des 19. Jahrhunderts, gierig aufgegriffen von den Zionisten jener Zeit. In kolonialistischer Manier hätten sie die Juden zur Landnahme in Palästina und zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aufgerufen, die nach der Staatsgründung 1948 konsequent umgesetzt wurde.

Damit wären wir auch schon bei dem zweiten Buch über Israel, „Breaking the Silence“. Zu den Berichten israelischer Soldaten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten, die das Buch enthält, heißt es im Vorschautext: „Sie laufen nachts durch die Siedlungen im Gazastreifen und der Westbank und werfen mit Blend-Granaten, damit die Menschen, die dort leben, nicht schlafen können. Sie brechen in die Häuser ein, bestehlen die Bewohner, schlagen den Hausrat kurz und klein führen wahllos Jugendliche in Handschellen und mit verbundenen Augen ab. Sie schreien alte hilflose Menschen an, bis diese epileptische Anfälle bekommen. Sie tun alles im Namen der israelischen Regierung.“

„Breaking the Silence“ ist eine NGO, die 2004 von Veteranen der israelischen Armee gegründet wurde. Sie ist in Israel aktiv, die ehemaligen Soldaten leben dort. In einer Demokratie ist das möglich. Der Vorschautext weist nicht ausdrücklich darauf hin.

Nein, antisemitisch muss das alles nicht sein, es ist bloß Menschenverachtung und im Übrigen der Ausdruck der unreflektierten linken Ideologie- Posse des 20. Jahrhunderts, das eine Menge Verbal-Kaugummi produzierte. Die europäische Linke hat weniger Geschichte gemacht, als Geschichtsschreibung hinterlassen. Dieses geschmacklose Erbe, dass es möglich macht, den Holocaust mit dem Ölpreis zu vergleichen, wird uns noch lange zu schaffen machen.

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