Über den Justizskandal in Hamburg im Zuge des Doppelmords am Jungfernstieg kommen immer mehr Informationen ans Licht. Nachdem die Achse des Guten über die Hausdurchsuchungen bei zwei Hamburgern – einem ghanaischen Gospelsänger und einem Blogger – berichtet hatte, denen vorgeworfen wird, durch ein Handyvideo „die höchstpersönlichen Lebensbereiche einer Person“ – gemeint ist die Frau, die von Mourtala Mardou am 12. April 2018 an der U-Bahn-Station Jungfernstieg ermordete Frau – „durch Bildaufnahmen verletzt“ zu haben (§201a StGB), wurden auch einige Tageszeitungen wach.
Berichtet haben bislang u.a. die Welt, die Boulevardzeitung MoPo und das das Hamburger Abendblatt. In dem Artikel des Abendblatts – der wegen einer Paywall nicht über einen direkten Link zu erreichen ist, den man aber lesen kann, wenn man bei Google nach dem Titel „Blogger berichtete vom Doppelmord – Hausdurchsuchung“ sucht – heißt es:
„Die Staatsanwaltschaft Hamburg geht rabiat gegen einen Blogger vor, der Aufnahmen von der Tragödie am Jungfernstieg veröffentlichte … Grundlage für die Durchsuchung ist der Paragraf 201a, den der Presserat und Journalistenverbände in langen Stellungnahmen als problematisch einstuften im Blick auf eine freie Berichterstattung, die von der im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit gedeckt ist. Problematisch sind auch die schwammige Formulierung und die noch schwammigere Auslegung der Hamburger Justiz. Denn der Paragraf sagt aus, dass Bildnisse von Personen nicht hergestellt werden dürfen, die hilflos sind. Allerdings sind auf den Aufnahmen des Handyfilmers keine solchen Menschen zu sehen oder zu identifizieren. Das betrifft auch Aufnahmen, die in Zeitungen veröffentlicht wurden und die die Szene aus anderen Blickwinkeln zeigen. Dort wurde bislang nicht durchsucht.“
Tatsächlich behauptet die Staatsanwaltschaft Hamburg, dass die Bilder des inkriminierten Videos der Grund für die Hausdurchsuchungen gewesen seien. „Schämen Sie sich! Haben Sie gar keinen Respekt vor einer sterbenden Frau?”, sagte Staatsanwalt Ulf Bornemann zu dem von ihm um 6.45 Uhr morgens in dessen Schlafzimmer heimgesuchten Blogger Heinrich Kordewiner, der das Video von Facebook heruntergeladen und unter seinem vollen bürgerlichen Namen auf seinen YouTube-Kanal hochgeladen hatte.
André Zand-Vakili und Christoph Heinemann, die beiden Redakteure des Hamburger Abendblatts, weisen zurecht darauf hin, dass nicht nur nichts derartiges in dem Video zu sehen ist, sondern dass andere am Tatort gefilmt haben, ohne dass bei ihnen deshalb Durchsuchungen durchgeführt wurden. Dass man in dem Handyvideo angeblich die am Boden liegende Frau und die Ersthelfer bei der Herz-Rhythmus-Massage sehe, wurde dem Blogger Heinrich Kordewinder und dem Ghanaer, der das Handyvideo gedreht hat, im Durchsuchungsbeschluss des Hamburger Amtsgerichts vorgeworfen.
Richterbeschluss so einfach wie Brötchenholen
Dabei ist die Szene in dem Handyvideo nur sehr kurz, angeschnitten und aus der Entfernung zu sehen. Ganz im Gegenteil zu diesem Film, der wahrscheinlich sogar von einem professionellen Kamerateam gedreht wurde, das dicht neben dem Opfer stand. Die Rettungsversuche sieht man elf lange Sekunden (von Minute 0:04 bis 0:15). Dann ging der Kameramann den Aufgang einige Stufen hoch, um die Rettungssanitäter mit ihrer Bahre auf der Treppe abzupassen. Ab Minute 0:15 filmt er die Retter und die auf der Bahre liegende, am Oberkörper unbekleidete Frau. Die Rettungssanitäter müssen an der laufenden Kamera vorbei, ob ihnen das gefällt oder nicht.
Ich bleibe dabei: Es ging bei den Hausdurchsuchungen nicht um die „verwackelten Bilder, die aus einiger Entfernung aufgenommen wurden und keine Identifizierung der Personen zulassen“ (Hamburger Abendblatt), sondern um den gesprochenen Kommentar. Dass das Kleinkind enthauptet wurde, sollte niemand wissen.
So sauer war die Staatsanwaltschaft auf diejenigen, die das unterdrückte Detail ans Licht brachten, dass sie die in Hamburg ohnehin immer sehr schleppend verlaufende Bekämpfung der Kriminalität hintanstellte, um Hausdurchsuchungen bei unbescholtenen Bürgern zu veranstalten: „Im Sicherheitsapparat stieß die Aktion auf Verwunderung“, schreibt das Hamburger Abendblatt. „’Die waren ganz heiß auf den Fall’, heißt es da über die Staatsanwaltschaft. Oder: ‚Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.’ Zudem wunderte man sich, wie schnell es einen Durchsuchungsbeschluss gab, während man im Alltag selbst bei Verbrechenstatbeständen mit manchmal hohen Hürden zu kämpfen hat.“ Bei Hausdurchsuchungen zu Verbrechenstatbeständen also gibt es nach Aussage von Justizinsidern „hohe Hürden“, im vorliegenden Fall aber war das Beschaffen des Durchsuchungsbeschlusses – also dessen Unterzeichnung durch Richterin Kütterer-Lang – offenbar so einfach wie Brötchenholen.
Offenbar setzt die dem grünen Justizsenator Till Steffen unterstehende Hamburger Anklagebehörde ihre Prioritäten sehr eigenwillig. Nicht der Schutz der Allgemeinheit vor Kriminellen scheint im Vordergrund zu stehen, sondern der Kampf gegen die Informationsfreiheit. Dazu passt, dass Steffens Staatsapparat, wie die Achse des Guten erfahren hat, bei der Hausdurchsuchung auch die Räume von Kordewiners Mitbewohnerin betrat – für die der Durchsuchungsbeschluss nicht galt – und Bücherregale durchforstete. „Wir können das ganze Bücherregal durchsuchen“, habe einer der Beamten gesagt, erinnert sich die Mitbewohnerin. „Mit dem Polizisten an meiner Tür gab es ein Gespräch darüber, dass er nun auch nach SD-Karten suchen könnte, dabei fummelte er an den Büchern herum und sagte mir, ich solle mich entspannen – während er mit sechs weiteren Personen ungebeten in meiner Wohnung stand, und mir soeben angedeutet hatte, er könne die ganze Wohnung auf den Kopf stellen.“ Auf besonderes Interesse der Beamten sei dabei ein bestimmtes Buch gestoßen, das im Regal stand: Eugen Kogons Der SS-Staat.
Lesen Sie zum gleichen Thema:
Die Enthauptung der Hamburger Justiz
Enthauptung: Journos entdecken Pietätsgründe
Hamburger Justiz nicht mehr länger allein zuhaus