Richard Wagner / 27.07.2011 / 14:52 / 0 / Seite ausdrucken

Die Waffen des Fanatikers

Sollte es tatsächlich jemanden geben, der ernsthaft glaubt, dass man durch das Hören der Musik von Wagner zum Nazi wird, so spräche das zunächst einmal gegen den, der so etwas glaubt. Es wiese ihn nicht nur als Ignoranten der Wagnerschen Musik aus, sondern generell als unmusikalisch. Seinen künstlerischen Tinnitus offenbarte auch der Wilderer vom Obersalzberg, indem er als Lieblingsoper von Wagner dessen Frühwerk „Rienzi“ auserkor.

Dem Ermächtigten ging es selbstverständlich nicht um die Musik, sondern um sich selbst. Er war ein Fanatiker, und auch er hätte den Weg des Attentats gehen können, hätten das nicht bereits andere vor ihm in inflationärer Weise getan. Der Weimarer Republik fehlte es nicht an Attentätern. Der wahre Fanatiker bemächtigt sich der großen Themen seiner Zeit, er kopiert sie zum eigenen Original um.

In unserer permissiven Gesellschaft gibt es nicht wenige junge Männer, die nach der großen Aufgabe suchen. Die einen wollen das Abendland retten, die anderen wollen es zerstören, kommt es aber bei ihrem Tun nicht aufs Gleiche heraus? Vom Tyrannenmord mal abgesehen, hatte früher ein Attentat den Zweck, eine einflussreiche Persönlichkeit,  eventuell auch einen Hoffnungsträger, auszuschalten. Beispiel: das Attentat von Sarajewo auf Franz Ferdinand, den österreichischen Thronfolger. Zum Opfer von Attentaten wurden aber auch Sissi und John Lennon.

Der heutige Fanatiker bedient sich der Tat als Statement, ob er sich nun als Islamist versteht, wie der Mörder des Filmemachers Van Gogh, oder als Umweltschützer wie der Täter im Fall Pim Fortuyn. Hitler trank Fachinger und aß mit Vorliebe Apfelkuchen. Sollte man daraus schließen, dass das ständige Mineralwassertrinken und der übermäßige Genuss von Apfelkuchen zum Faschismus führen?  Wie jemand zum Faschisten wird, bleibt letzten Endes das Geheimnis des Betreffenden. Ganze Bibliotheken wurden zum Thema verfasst, ohne dass man der Wahrheit näher gekommen wäre.

Der Attentäter inspiriert sich nicht beim “Schreibtischtäter”, er sucht nur überall nach der Bestätigung seiner Idee. Wer mit der ideologischen Brille sucht, wird schnell fündig, und zwar auf beiden Seiten, bei der Gegnerschaft wie bei den vermeintlich Gleichgesinnten. Der Fanatiker ist ein Individualist, der sich als Sprecher einer sprachlosen Mehrheit versteht und sich die Lizenz zum Töten selbst erteilt hat. Ein Bild von Anders Breivik zeigt diesen in einer Phantasieuniform und mit overdesignter Waffe. Outfit und Pose könnten auch einer Hollywoodcomicverfilmung entstammen.

Der postmoderne Attentäter ist schon lange kein Staatsfeind mehr, er ist ein Feind der Bürgergesellschaft. Ihn einem politischen Lager zuzuordnen, wäre falsch. Er hält die gesamte Politik für feige, auch den sogenannten Rechtspopulismus. Das Attentat des Breivik galt der norwegischen Öffentlichkeit. Diese reagierte darauf mit dem Mehrheitsvotum für die offene Gesellschaft.

Dieses Votum ist grundsätzlich richtig, es ändert aber noch lange nichts an der aktuellen Problematik des prekären gesellschaftlichen Gleichgewichts. Der Kern der abendländischen Lebensform ist nicht bloß das Prinzip der Freiheit, sondern ihre Unbegrenzbarkeit. Mit der Freiheit kann man nicht taktieren. Du sollst nicht töten, ist ein Gebot. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Bleibt die Frage: Wer schützt uns vor der Freiheit des Anderen?

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