Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 11.02.2013 / 03:13 / 0 / Seite ausdrucken

Die Ironie hinter der deutschen Mini-Immobilienblase

Seit Jahrzehnten ähnelt der Versuch, die deutschen Immobilienpreise zu beobachten, dem Ansinnen, Farbe beim Trocknen zuzuschauen. Eigentlich war es sogar noch weniger aufregend.

Die Preise für deutsche Wohnimmobilien waren ein absolutes Nicht-Thema. Das hatte einen einfachen Grund: sie änderten sich nie. Viele andere Länder vor allem im englischsprachigen Raum verzeichneten einen starken Anstieg der Immobilienmärkte, zwischendurch mit großen Ausschlägen in beide Richtungen. Im Deutschland vor der globalen Finanzkrise konnte man dagegen Häuser zu den gleichen Preisen (mit Anpassung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten) kaufen, die man schon Anfang der 1970er Jahre bezahlt hatte.

Dass die Hauspreise in Deutschland eine so langweilige Angelegenheit waren, hatte einleuchtende strukturelle Gründe. Dank einer flexiblen und preislich anpassungsfähigen Angebotsseite (A housing market whodunit, 10. Februar 2011) entstand zu keinem Zeitpunkt die Unterversorgung, die so viele andere Wohnimmobilienmärkte in aller Welt kennzeichnet. Deutschland baute stets genug, um seinen Wohnraumbedarf zu decken.

Zugleich betrieben die deutschen Banken eine konservativere Kreditvergabe als etwa ihre britischen, amerikanischen oder irischen Pendants. Einfach ausgedrückt: Wenn man nicht zwischen 20 und 30 Prozent des Hauspreises als Eigenkapital aufbringen konnte, war ein Antrag auf ein Hypothekendarlehen bei einer beliebigen Bank nur Zeitverschwendung.

In den letzten Jahren ist der bisher langweilige deutsche Immobilienmarkt ein bisschen interessanter geworden. Die Eigenheimpreise sind tatsächlich so weit gestiegen, dass die Deutschen schon von einem Wohnimmobilienboom oder sogar einer Blase sprechen.

Allerdings ist ja alles relativ. Was in anderen Ländern als stabiler Markt angesehen würde, wirkt in Deutschland wie eine hektische Marktbewegung.

Nach Angaben des Immobilienverbands Deutschland (IVD) stiegen die Preise in Deutschland im Vorjahr um 3,1 Prozent bei Wohnungen und um 2,9 Prozent bei Einfamilienhäusern. Die Mieten haben sich sogar nur um 9,4 Prozent in den letzten 20 Jahren erhöht - und sind damit real niedriger als 1992.

Die Preissteigerungen fielen nicht nur mäßig aus, sie lösten zudem eine verstärkte Bautätigkeit aus. In den letzten drei Jahren stieg die Zahl der Baufertigstellungen in Deutschland. Der Wohnungsbaumarkt reagiert offensichtlich auf Preissignale mit mehr Investitionen. Im Jahr 2012 wurden Baugenehmigungen für insgesamt 245.000 Neubauwohnungen bzw. -häuser erteilt – das entspricht einem Anstieg von 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) lag der Mehrbedarf im gleichen Zeitraum nur bei 193.000 Wohneinheiten. Deutschland baut eigentlich mehr als genug, um seinen Wohnraumbedarf zu decken.

Noch ein weiterer Faktor spricht gegen die Annahme, bei deutschen Immobilien zeichne sich eine Blase ab: Die Anzahl der Hypothekendarlehen in Deutschland hat sich kaum erhöht. In der Regel bildet eine rasche Zunahme von Krediten den Nährboden für Immobilienblasen. In den letzten vier Jahren ist das Gesamtvolumen von Hypothekendarlehen in Deutschland jedoch um wenig mehr als 1 Prozent pro Jahr gestiegen - kaum ein Anzeichen für eine übermäßige Kreditvergabe.

Internationale Beobachter des deutschen Marktes für Wohnimmobilien dürften den Schluss ziehen, dass dieser von einer Überhitzung weit entfernt ist. Nur die Deutschen selbst glauben, sie erlebten gerade einen Wohnimmobilienboom – und sei es nur deshalb, weil sie in Wirklichkeit noch nie einen gesehen haben.

Wenn man natürlich daran gewöhnt ist, dass sich ein Markt jahrzehntelang praktisch überhaupt nicht bewegt, können selbst kleine Veränderungen wie eine große Erschütterung wahrgenommen werden, einfach weil sie so ungewöhnlich sind.

Es gibt jedoch noch eine weitere Erklärung dafür, dass der deutsche Immobilienmarkt neuerdings so in den Fokus gerückt ist. Die hat sehr viel mit der Eurokrise und der Reaktion der Europäischen Zentralbank auf sie zu tun.

Traditionell fürchtet man in Deutschland nichts mehr als Inflation (Deutschlands verständliche Inflationsparanoia, 11. Oktober 2012). Das Trauma zweier Währungsreformen in einem Jahrhundert sitzt tief und verfolgt die Deutschen mehr als jede andere Nation. Demgemäß sind sie anfällig für alles, was indirekt auf die zukünftige Geldwertstabilität verweist, und daher hat die Eurokrise eine Neubewertung der Anlagegattungen ausgelöst.

So gesehen, steigen die Immobilienpreise in Deutschland aus dem gleichen Grund, aus dem auch beim Dax ein Aufwärtstrend zu beobachten ist. In Krisenzeiten und mit der Angst vor der Geldentwertung investieren die Deutschen in wertbeständige Anlagen: Gold, Aktien – und Häuser.

Eng mit den mäßig steigenden Eigenheimpreisen in Deutschland verbunden sind die niedrigen Zinsen. Es war noch nie so billig wie zur Zeit, sich sein Traumhaus zu finanzieren. Deutschland mit seiner Wohneigentumsquote von nur 46 Prozent war zu keiner Zeit eine Nation von Eigenheimbesitzern. Allerdings ist für alle, die sich ihren Traum vom Eigenheim erfüllen wollen, statt weiter Miete zu zahlen, jetzt der richtige Augenblick dafür. Davon abgesehen gibt es angesichts der niedrigen Zinsen für Sparguthaben keine überzeugenden Gründe, sich nicht dem Immobilienmarkt zuzuwenden. Die Alternativen sind einfach nicht mehr attraktiv.

Dies alles entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Es waren die geplatzten Immobilienblasen in Spanien und Irland, die die Eurokrise ins Rollen brachten. Und nun ist es eben diese Eurokrise, die eine Mini-Immobilienblase in Deutschland auslöst.

Wer nun erwägt, auf den Zug aufzuspringen und in deutsche Immobilien zu investieren, sollte aber dennoch Vorsicht walten lassen. Was wie eine Bonsai-Blase aussehen mag, wird aber vielleicht auch nicht mehr viel größer und dürfte nicht lange anhalten.

Erstens konzentrieren sich die Preissteigerungen überwiegend auf stark nachgefragte Innenstadtlagen. Es handelt sich eindeutig nicht um einen einheitlichen nationalen Preisanstieg für Wohnimmobilien, es bestehen große regionale Unterschiede. Zweitens ist bei den langfristigen Aussichten für den deutschen Wohnraum zu berücksichtigen, dass die deutsche Bevölkerung bis Mitte des Jahrhunderts aus demografischen Gründen um rund 20 Prozent abnehmen dürfte. Drittens hat sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland im letzten Jahr abgeschwächt, was sich voraussichtlich auch auf die zukünftige Entwicklung auf dem Immobilienmarkt auswirken wird.

Der deutsche Wohnimmobilienmarkt gibt momentan wohl einige unerwartete Lebenszeichen von sich. Langfristig könnte es aber immer noch aufregender sein, Farbe beim Trocknen zuzuschauen, als die Entwicklung der angeblichen Immobilienblase im Auge zu behalten.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

“Germany’s ironic mini-bubble” erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 7. Februar 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.10.2019 / 06:26 / 26

Vorsicht, lebende Anwälte künftiger Generationen!

Der deutsche Umweltrat will einen „Rat für Generationengerechtigkeit“ schaffen und das Gremium mit einem Vetorecht ausstatten, um Gesetze aufzuhalten. Was davon zu halten ist, wenn Lobbygruppen sich zu…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.06.2016 / 09:45 / 0

„Wen der Brexit nicht aufweckt, dem ist nicht zu helfen“

Achse-Autor Oliver Hartwich lebt in Neuseeland und ist dort Direktor des Wirtschafts-Verbandes und Think-Tanks „The New Zealand Inititiative.“ Gestern (das britische Abstimmungs-Ergebnis war noch nicht…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.02.2016 / 05:22 / 3

It’s time for Merkel to go

“With her actions during the refugee crisis, Merkel is dwarfing even these previous policy blunders. If one were to add up all her mistakes, they…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.09.2015 / 13:16 / 11

Das Volkswagen-Fiasko und seine Folgen

Mit dem Eingeständnis von VW, die Abgaswerte seiner Fahrzeuge systematisch manipuliert zu haben, wurde nicht nur der weltweit größte Automobilhersteller in eine Krise gestürzt, auch…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.09.2015 / 10:13 / 6

Die EU zerfällt

Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle, dass Europas Flüchtlingskrise die EU entzweien könnte. Diese Woche konstatiere ich die Fortschritte während der letzten sieben Tage…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 11.09.2015 / 09:55 / 6

Die europäische Flüchtlingskrise bringt die EU ins Wanken

„Immerhin kommt Deutschland jetzt in den Medien besser weg“, sagte mir ein befreundeter Geschäftsmann vor ein paar Tagen. „Ein erfreulicher Unterschied zu dem, was wir…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 09.09.2015 / 11:00 / 2

Europas Niedergang und seine Wurzeln

Vor fünf Jahren bot mir Alan Kohler an, im wöchentlichen Turnus die Wirtschaftslage in Europa zu kommentieren. Inzwischen habe ich die europäische Schuldenkrise in mehr…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.08.2015 / 03:13 / 3

In eigener Sache: Why Europe Failed

Am Montag erscheint im australischen Connor Court-Verlag mein Essay Why Europe Failed. Hier schon einmal eine kurze Zusammenfassung und ein Auszug: “Oliver Hartwich has written…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com