Henryk M. Broder / 01.06.2016 / 11:31 / Foto: Leonard Bentley / 3 / Seite ausdrucken

Die doppelte Frau Özoguz

Ausgerechnet die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hat sich gegenüber der tagesschau gegen die Armenien-Resolution ausgesprochen, die der Bundestag morgen verabschieden will. Es sei zu erwarten, sagte sie, "dass durch diese Abstimmung Türen eher zugeschlagen und die geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien sogar verhindert wird". Die Initiatoren der Abstimmung hätten außerdem "politische Motive". Sie ärgere sich über "die Instrumentalisierung dieses Themas".

Nun gilt Frau Özoguz sogar in ihrer eigenen Partei, der SPD, nicht als besonders helle, aber dieses Statement übertrifft in seiner Dämlichkeit noch die meisten Äußerungen von Sigmar Gabriel. Welche Motive sollen die Initiatoren einer Resolutin haben, wenn nicht politische? Und hatte die Türkei nicht 100 Jahre Zeit, die "geschichtliche Aufarbeitung" der "Ereignisse von 1915", wie der Völkermord an den Armeniern amtlich bezeichnet wird, voranzutreiben? Eine Aufarbeitung, die nicht stattgefunden hat, soll ausgerechnet durch eine späte Resolution des Bundestages verhindert werden? Will uns Frau Özoguz sagen, sie habe im Laufe ihrer politischen Karriere noch nichts "instrumentalisiert", nicht einmal ihre Herkunft? 

Nun hat die Integrationsbeauftragte nachgelegt. Auf ihrer FB-Seite gab sie eine weitere Erklärung ab:

Ich bin der Meinung, dass eine Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Völkermord an den Armeniern nicht helfen wird, die Aufarbeitung und den Versöhnungsprozess in der Türkei voranzubringen. Ich befürchte vielmehr das Gegenteil, nämlich dass Ultranationalisten in der Türkei Auftrieb bekommen und sich die Fronten in der Türkei weiterhin verhärten. Denn jene, die meinen, mit dem einen Begriff Völkermord in einer Resolution des Deutschen Bundestages würde automatisch eine Aufarbeitung in der Türkei einhergehen, irren sich. Der Bundestag kann diese Resolution verabschieden, aber er ist nun mal kein Strafgerichtshof.

Wir stimmen am Donnerstag über den Inhalt der Resolution ab und nicht darüber, ob es sinnvoll ist, eine solche im Deutschen Bundestag zu beschließen. Diese Skepsis über die Sinnhaftigkeit des Antrags und eine solche Abstimmung im Deutschen Bundestag ändert aber nichts an meiner grundsätzlichen Haltung, dass es sich bei den Verbrechen an der armenischen Bevölkerung in der Türkei um einen Völkermord handelt. Deshalb stimme ich auch zu.

Das ist praktizierte Dialektik im Dienste des Partei- und Familienfriedens. Privat ist Frau Özoguz der Meinung, dass es sich bei den Verbrechen an der armenischen Bevölkerung in der Türkei um einen Völkermord handelt",  deshalb stimmt sie der Resolution zu, die sie allerdings ablehnt, weil sie nicht möchte, dass Ultranationalisten in der Türkei Auftrieb bekommen und sich die Fronten weiterhin verhärten. Als ob die Ultranationalisten, wenn immer sie damit meint, auf eine Resolution des Bundestages angewiesen und die Fronten nicht längst verhärtet wären. Wenn die Armenier freilich so klug wären, weitere 100 Jahre darauf zu warten, dass die Türkei den Völkermord "aufarbeitet", könnten sie wesentlich zur Entspannung beitragen und den türkischen Ultranationalisten den Wind aus den Segeln nehmen. Und dann hätte auch Frau Özoguz mit einer Resolution des Bundestages kein Problem.

Nach der Armenien-Abstimmung wissen wir mehr.

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Leserpost

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Josef Eisele / 02.06.2016

Die SPD lässt keine Gelegenheit ungenutzt, ihren eigenen Untergang zu beschleunigen. Sie hat aus dem Schicksal der FDP nichts gelernt, jetzt erlebt sie das gleiche Desaster. Wer in einer Koalition als der kleinere Partner sich als besonders angepasst zeigt, wird nichts abkriegen vom trügerischen Glanz, der auf den größeren Partner fällt, er wird derjenige sein, an dem sich die Kritik an der gemeinsamen schlechten Politik entzündet. Wer sich eine Frau Özuguz leistet, als Integrationsbeauftragte, wo die Kanzlerin bereits Amok läuft in Sachen ungebremster Zuwanderung, der bekommt mehr als seinen gerechten Anteil an der Rechnung präsentiert. Wer dazuhin wie Frank Walter Steinmeier, die letzten Reste sozialdemokratischer Außenpolitik der Kabinettsraison opfert, hat aus Westerwelles Niedergang nichts gelernt. Den Mindestkohn durchsetzen, und ihn dann für die illusionäre Schutzsuchendenintegrationserleichterung gleich wieder zu opfern, getarnt über staatliche Zuschüsse zum kostenlosen Verleih, der hat kein Recht mehr, sich als Vertreter der kleinen Leute aufzuspielen. Und Genosse der Bosse ist derzeit die Kanzlerin, ihr Wirtschaftsminister spielt da nur die Rolle des Frühstücksdirektors.

Jochen Wegener / 02.06.2016

Also, die Dame heißt Aydan und nicht Ayman. So heißt der libanesiche Großwesir des sogenannten Zentralrates der Muslime. Soviel Sorgfalt sollte schon sein bei aller berechtigten Kritik an Özoguz, der Schwester jener beiden Islamisten die sogar der Uni Bremen zuviel religiöses Engagement zeigten.

Paul H. Ertl / 01.06.2016

Und wenn der Bundestag ein Strafgerichtshof wäre, änderte dies rein gar nichts. Strafgerichtshöfe verhandeln, jedenfalls in Deutschland, ausschließlich gegen lebende, natürliche Personen. Das mag in der Türkei anders sein, was aber auch nichts ändert: Nach dortiger Lesart hat es ja keinen Völkermord gegeben. Ganz schön kompliziert, Frau Özuguz.

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