Dirk Maxeiner / 19.02.2017 / 12:38 / Foto: FORTEPAN/MHSZ / 12 / Seite ausdrucken

Fall Deniz Yücel: Das vergiftete Engagement der FAS

Der Türkei-Korrespondent von „DIE WELT“, Deniz Yücel, wurde von der türkischen Polizei in Gewahrsam genommen. Zur gleichen Zeit darf der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen für die türkische Variante des Ermächtigungsgesetzes werben. Heute Nachmittag startet in Berlin ein Autokorso für den festgenommenen Korrespondenten. Eine Petition zu seiner Freilassung finden Leser hier.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat indes ganz andere Sorgen. Unter der Überschrift „Für immer Türke“ wirft der FAS-Autor Michael Martens dem Springer-Verlag (in dem DIE WELT erscheint) versteckten Rassismus bei der Auswahl seiner Korrespondenten vor. Und dies nach dem Motto: Trauen deutsche Medien türkischstämmigen Journalisten nur Türkei-Themen zu?

"Vielleicht sollte man auch darauf hoffen, dass deutsche Verlage ihre Entsendungspolitik überdenken und neu überlegen, welche Korrespondenten sie in welches Land schicken", schreibt er, ..."warum reduzieren deutsche Verlage die Kinder oder Enkel türkischer "Gastarbeiter" so oft auf die Rolle von Türkei-Erklärern?"...„Warum berichtet eine deutsche Journalistin mit türkischen Wurzeln nicht über Südamerika?"..."Warum diese Herkunftsgettoisierung im deutschen Journalismus?", möchte Michael Martens wissen, schließlich würden auch andere Leute ganz gut türkisch sprechen.

Nun ja, zunächst ist es mal eine Frage von Anstand und Takt, ob man in einer solchen Situation dieses Thema aufwirft. Das riecht auch danach, der Konkurrenz, die unfreiwillige Aufmerksamkeit auf sich zieht, en passant eins mitzugeben. Und was besonders Originelles zum Thema zu bieten, worauf die anderen noch nicht gekommen sind (wahrscheinlich mit gutem Grund). Heraus kommt ein vergiftetes Engagement für den Delinquenten. Ob der festgenommene Deniz Yücel das wirklich hilfreich findet?

Es ist nicht nur eine Frage der Sprache

Aber davon abgesehen. Es ist nicht nur eine Frage der Sprache, wen man in ein bestimmtes Land schickt. Gute Korrespondentenarbeit hat ja nicht nur mit deren souveräner Beherrschung zu tun, sondern auch mit Kontakten, Freunden oder womöglich sogar einem familiären Hintergrund. Solcherlei erleichtert die Informationsbeschaffung ungemein. Es sei denn, man beschränkt sich auf die Anfrage beim Pressesprecher von Erdoğan. Kulturell verankertes Wissen erleichtert die Arbeit genauso wie die Fähigkeit, sich wie ein Fisch im Wasser zu bewegen. Gerade in einem Land wie der Türkei wäre es wohl derzeit nicht besonders produktiv, mit einem Schild um den Hals herumzulaufen: „Ich bin der Türkei-Korrespondent der FAZ “.

Es geht ja sogar noch weiter. So ist es ein offenes Geheimnis, dass sich ein Korrespondent in vielen Ländern nur dann unauffällig bewegen kann, wenn er von seinem Äußeren her nicht auffällt. Ein blonder Hüne mit deutschem Akzent dürfte es im Jemen oder Nordkorea einfach sehr viel schwerer haben als jemand, der als Einheimischer durchgeht. Ist eine entsprechende Auswahl des Korrespondenten schon versteckter Rassismus? Oder einfach klug?

Michael Martens, weiß das natürlich alles selbst. Die FAZ stellt ihn so vor:

„Von 2009 an betrachtete er die Türkei und den Balkan sechs Jahre lang von Istanbul aus. Im Sommer 2015 Umzug nach Griechenland. Seither berichtet er mit Dienstsitz Athen über die griechische Krise sowie weiterhin über die Türkei und den Balkan“.

Der Leser versteht. Nicht nur Türken können über die Türkei schreiben. Auch Deutsche können über die Türkei schreiben. Sie sollten allerdings auch die richtigen Fragen stellen können. Und die lautet in diesem Fall: Könnte es vielleicht sein, dass Deniz Yücel seinen Job als Türkei Korrespondent gerne macht? Ja, dass er ihn machen will? Ihn sich ausgesucht hat? Weil er sich da auskennt? Ist das nicht eine freie individuelle Entscheidung? Können Türken nicht selbst entscheiden, wo sie gerne arbeiten?

Foto: FORTEPAN/MHSZ CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Rainer Becker / 20.02.2017

Lieber Herr Maxeiner, sehr gute Korrespondentenarbeit macht und machte seit vielen Jahren für die Welt der Journalist Boris Kalnoky. Er hat internationale Wurzeln, keine türkischen, und schreibt exzellente Berichte über die Situation in der Türkei, obwohl er, ich glaube seit ca. 2 Jahren, nicht mehr in Istanbul wohnt und “Sich nicht auf Anfragen beim Pressesprecher von Erdogan beschränkt”.- Ich meine der Herr Martins (FAZ) und Sie haben sich bei dem Thema “Die Welt /Auswahl von Korrespondenten” ein wenig vergaloppiert.

Jürgen Althoff / 20.02.2017

Korektur: Deniz Yücel war derjenige, der, als er noch für die taz schrieb, in einem Kommentar Thilo Sarrazin einen Schlaganfall mit tödlichen Ausgang wünschte, weshalb die taz zu 20.000 Euro an Herrn Sarrazin verurteilt wurde. In anderen Kommentaren hat er wohl das Aussterben der Bio-Deutschen zugunsten der Migranten wohlwollend vorhergesagt. Schlimm genug, dass die “Welt” solche Leute einstellt. Ich würde daher Herrn Maxeiners ehrenwertes Engagement für diesen Kollegen nicht teilen.

Th, Radl / 19.02.2017

Wer wen in die Türkei zum Berichten schickt, ist die eine Frage. Gerade bei diesem Fall stellt sich mir aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der doppelten Staatsbürgerschaft. Auch wenn jetzt dauernd berichtet wird, in der Türkei sei der “deutsche Journalist” Yücel verhaftet worden, muss man ja wohl auch mal dagegenhalten, dass die türkische Polizei wohl eher den “türkischen Staatsbürger” festgenommen hat. So kann es auch zum Bumerang werden, wenn man sich nicht entscheiden kann, wo man seine “Heimat” definiert und wem man nun seine Loyalität schenken möchte. Ich finde, dieser Fall eignet sich sehr gut, den “Doppelpass” zu diskutieren!

Dirk Jürgens / 19.02.2017

Für immer Türke? Der Welt-Mann hätte ja einfach seinen türkischen Pass abgeben können. Er hat ja auch einen deutschen. Da er sich aber eigentlich als Türke sieht, muss er jetzt damit leben, dass die türkischen Behörden das genauso sehen. Jetzt von der deutschen Regierung zu verlangen, ihm beizustehen, ist heuchlerisch.

Jürgen Althoff / 19.02.2017

Ist Deniz Yüksel nicht derjenige, der, als er noch als taz-Redakteur die guten Sitten unter sich ließ, Herrn Sarrazin nach einem Talkshow- Auftritt mangels inhaltlicher Argumentationsfähigkeit als - sinngemäß - lispelndes und zuckendes Etwas denunziert hat? Wenn er derjenige ist, dann möge ihn Herr Erdogan meinetwegen behalten. Landen nicht auffällig viele Ex-taz-ler bei Spiegel und Welt, um dort ihr Unwesen besser bezahlt fortzusetzen?

Caroline Neufert / 19.02.2017

1. Ich stimme Ihnen zu, dass jemand, der in dem jeweiligen Land als dort Geborener einfach und ggf schneller an Informationen kommen kann. 2. Ich stimme Ihnen nicht zu, dass es bei Yücel der Fall ist. Abgesehen vom Doppelpass und Abstammung prädestiniert ihn nichts für die Türkei und damit ist die Anmerkung der FAS durchaus gerechtfertigt. 3. Yücel; Ich verstehe die aufgemachten Beiträge der WELT, korrekt ist es aber nicht. Es ist Machtmissbrauch, einen Einzelfall medial derart zu pushen, denn es gibt genügend andere Fälle, die es zumindest ähnlich wert wären, aber die bringen kein Geld wie der eigene Journalist. Hätte er sich zu D bekannt und den türkischen Pass abgegeben, hätte er das Problem jetzt nicht. PS Dass ich in der Tagesschau mir das Thema Yücel 4 min anschauen muss, empfinde ich als Zumutung.

JF Lupus / 19.02.2017

Atatürk rotiert bereits im Grab. Und Deutschland sollte europaweit ausnahmsweise mal mit gutemBEispiel vorangehen: jeder Kontakt - politisch wie wirtschaftlich - mit der Türkei gehört eingefroren, solange Erdogan und seine Gesellen an der Macht sind und weiter Minderheiten verfolgen/ermorden.

Joseph Zorn / 19.02.2017

Nur zur ergänzenden Info: Man sollte schon wissen, mit wem man es bei einem Journalisten wie Deniz Yücel zu tun hat. Dazu genügt ein Blick in Wikipedia unter ‘Deniz Yücel’. Intereressant darin ist u.a. der Abschnitt ‘Über Thilo Sarrazin’ und folgende. Soviel zum Thema ‘vergiftet’.

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