Henryk M. Broder / 13.02.2017 / 12:12 / 11 / Seite ausdrucken

Das Brüsseler Prinzip der Zellteilung bei der Kompetenzverteilung

Wenn Sie wissen möchten, warum Europa dort steht, wo es sich gerade befindet, nämlich am Rande des Abgrunds, dann lesen Sie bitte das Interview mit Guy Maurice Marie Louise Verhofstadt, dem Vorsitzenden der Liberalen Freaktion im Europa-Parlament, das in der letzten WamS erschienen ist. Oder schauen Sie sich einfach die Signatur des Mannes mal an. Sieht klasse aus, nicht wahr? Es könnte auch eine ausgeleierte Spiralfeder sein, eine Skizze des Turmbaus zu Babel oder die Strecke, die Verhofstadt jeden Tag von seiner Wohnung in sein Abgeordneten-Büro geht, während er darüber nachdenkt, wie man Europa retten könnte.

Verhofstadt gehört zu der Gruppe der Eurokraten, denen langsam ein Licht aufgeht: Dass die EU ein Flop sein könnte, der sich noch nicht entschieden hat, ob er explodieren oder implodieren möchte. Und dass etwas unternommen werden muss, um diese eierlegende Wollmilchsau vor dem Exitus zu retten. Denn nicht jeder Brüsselianer bekommt die Chance, sich beizeiten auf den Posten eines Kanzlerkandidaten zu retten.

Was Verhofstadt vorschlägt, um die EU am Leben zu erhalten, ist nicht weniger als eine Operation am offenen Herzen ohne Narkose. Er will die Zahl der Kommissare, die nicht wissen, was sie tun sollen, reduzieren, weil weniger Kommissare, die nicht wissen, was sie tun sollen, natürlich besser sind als viele, die mit irgendwas beschäftigt werden müssen. Schön wäre es, wenn Verhofstadt ein Beispiel dafür genannt hätte, wann sich eine Behörde mal abgeschafft oder so reformiert hat, dass sie weniger kostet und mehr leistet. Mir fällt da nur das Ministerium für innerdeutsche Fragen/Beziehungen ein, das seine Arbeit im Januar 1991 einstellte.

Verhofstadt selbst verkörpert das Brüsseler Prinzip der Zellteilung bei der Kompetenzenverteilung. "Im September 2016 wurde er zum Chefunterhändler des Europäischen Parlaments für die Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich ernannt." (Wikipedia) Aber er ist nicht der einzige "Chefunterhändler", es gibt noch zwei weitere. Einen des Europäischen Rates und einen der Europäischen Kommission. Also drei "Chefunterhändler", die sich vermutlich erst einmal untereinander verständigen müssen, worüber sie mit den Briten verhandeln wollen.

Ich will Ihnen das Vergnügen an der Lektüre des Interviews nicht nehmen und Sie nur auf zwei Highlights hinweisen. Der "radikale Europäer" Verhofstadt sagt: "Wir müssen zurück zu den Anfängen" der EU. Das hört sich gut an, "back to the roots" kann nie total falsch sein. In dem Fall ist es aber so, als würde ein Funkitonär der SED im November 1989 sagen, man wolle es noch einmal versuchen, diesmal aber richtig. Tatsächlich gab ein paar DDR-Afficionados, die der Meinung waren, alles Bisherige sei nur eine "Probe" gewesen, jetzt, da man wisse, was nicht funktioniert habe, könne man wieder von vorne anfangen. Diesmal aber richtig.

Die zweite Stelle, die mir besonders gut gefällt, ist die: "Was ich will, ist, dass sich die griechische Gesellschaft radikal ändert." Auf den Rat haben die Griechen seit den Tagen von Sokrates und Sophokles gewartet. Jetzt wissen sie es.

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Dieter Hitzek / 14.02.2017

Analyse und Kritik verstanden. Und nun?

Peter Gruber, Berlin / 14.02.2017

Ich finde an dem Interview interessant, dass der Typ zugibt (was ich schon lange wusste), dass die EU nur noch durch Korruption und Erpressung zusammengehalten wird - siehe Hinweis auf das EU Budget, wenn sich gewisse Länder dem Brüsseler Diktat nicht unterwerfen!

Peter Zimmermann / 13.02.2017

Als Bewohner einer Kleinstadt in NRW muss ich von meinen Arbeitseinkünften u.a. zur Finanzierung folgender Institutionen Steuern zahlen - Bürgermeister/Gemeinderat/Gemeindeverwaltung, - Landrat/Kreistag/Kreisverwaltung, - Regierungspräsidenten/ Bezirksregierung, - Landesregierung /Landtag/Landesverwaltung, - Bundesregierung/Bundestag/Bundespräsident/Bundesverwaltung/Bundeswehr - Europäischen Kommission/Ministerrat/Parlament/Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten Meine Ersparnis lässt Herr Draghi durch seine Geldpolitik schrumpfen. Falls Herr Schulz als nächster Kanzler (so geriert er sich) seine Aussagen als EU-ler nicht revidiert, werde ich auch noch zur Refinanzierung “europäischer” Pleitebanken herangezogen.

Lutz Herzer / 13.02.2017

Die Signatur lässt bei genauerer Betrachtung gewisse Zweifel aufkommen, ob die präödipale Phase vollständig abgeschlossen ist. Damit könnte auch die Forderung “Wir müssen zurück zu den Anfängen” zu erklären sein.

Martin Lederer / 13.02.2017

Wie immer: Der Wahnsinn hört erst auf, wenn kein Geld mehr da ist.

Elisabeth Behr / 13.02.2017

Lieber Herr Broder, was ist denn das für ein Traumtänzer, so einer sitzt in europäischer Verantwortung? Man müsste ihn glatt weg nach Indien schicken, dort kann er seine “Hirngespinnste” ausleben. Gut, dass Sie uns wieder einmal die “Brüsseler Kompetenzen” vor Augen führen, das ist die sogenannte “Brüsseler Spitze”. Danke Herr Broder! Mit besten Grüßen Frau Behr

Karla Kuhn / 13.02.2017

“Was Verhofstadt vorschlägt, um die EU am Leben zu erhalten, ist nicht weniger als eine Operation am offenen Herzen ohne Narkose”  Der Mann scheint ein großer Träumer zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einer der “Alteingesessenen freiwillig seinen schönen warmen Sessel räumt.  “Denn nicht jeder Brüsselianer bekommt die Chance, sich beizeiten auf den Posten eines Kanzlerkandidaten zu retten.”  Schulz wurde nicht wiedergewählt, wahrscheinlich hat er sich aus diesem Grund auf den Kanzlerthron besonnen.  Eine schreckliche Vorstellung für mich. Ich habe mit dem lieben Gott einen Packt geschlossen, wenn er Schulz verhindert, werde ich ein Jahr lang jeden Tag in der Kirche eine Kerze anzünden.  „Was ich will, ist, dass sich die griechische Gesellschaft radikal ändert.“ Auf den Rat haben die Griechen seit den Tagen von Sokrates und Sophokles gewartet. Jetzt wissen sie es.”  So ein Schmankerl Herr Broder, kann nur Ihnen einfallen, einfach köstlich.

Elmar Schlürscheid / 13.02.2017

Das Beste ist Verhofstadts Vergleich von Europa und Indien, ich wüsste zu gerne was mancher so raucht!?! Aber der Schulzi wird alles schon richten. Zeus bewahre!

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