Ist eine Epoche zu Ende, ist unter Umständen auch ihr Regelwerk Geschichte. Man kann zwar weiterhin auf der Stelle treten, aber die Stelle wird plötzlich woanders sein. Deutschland ist nicht mehr der Zwerg mit der Wirtschaftswundertüte. Der nationalsozialistische Furor ist historisiert, dagegen spricht nichts, auch nicht das Morden einiger extremistisch drapierter Verbrecher aus Zwickau.
Deutschland ist nicht Zwickau, aber Zwickau ist auch nicht der Ort, der dem oben genannten Trio und dem ihm verwandten Gesindel gehören würde. Der Osten Deutschlands ist nicht allein der braune Sumpf, den uns das Anschauungsmaterial des Empörungsjournalismus nahelegt, er ist auch der Ort einer vorbildlichen Verabschiedung von der sozialistischen Realmisere.
Die Leistungen, die in Ostdeutschland in den letzten zwei Jahrzehnten erbracht wurden, sind für jeden, der offenen Auges durch die Landschaft zu gehen versteht, in beeindruckender Weise erkennbar. Rufen wir uns mal das Bitterfeld der Achtzigerjahre in Erinnerung und vergleichen wir es mit der Stadt von heute.
In Deutschland ist der politische Extremismus prozentual und organisatorisch weit geringer als in den meisten europäischen Ländern. Er ist ein Randphänomen. Deutschland ist heute eine der stabilsten Demokratien unseres Kontinents, und darauf dürfen wir stolz sein. Das, vor allem, wenn man sich die Beispiele gescheiterter Demokratisierung nach dem Ende von Diktaturen gerade im europäischen Raum vor Augen führt.
Deutschland und Frankreich sind die bedeutendsten Wirtschaftsmächte des Kontinents. Daraus erwächst logisch eine Verantwortung für die gemeinsamen Institutionen der Europäer, wie die EU. Diese könnte durchaus ein Erfolgsmodell sein, und zwar insgesamt, und nicht nur wie bisher in einzelnen Bereichen. Sie hat aber einen fatalen Konstruktionsfehler, der auf eine falsche Form der Solidarität setzt und damit die traditionellen Hebel der gemeinsamen politischen Interessen, des gemeinsamen Wollens in der Geschichte aussetzt.
Wenn Deutschlands Aufgabe 1990 mit der Wiedervereinigung, dem Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas darin bestand, die Normalität seiner Gesellschaft zu rekonstruieren, so ist heute seine Aufgabe diese Normalität für Europa zu sichern.
Europa braucht Stabilität und Stabilität erfordert gemeinsame Wertvorstellungen. Die Stabilität ist nicht durch das gleichwertige Votum aller Beteiligten zu erreichen, dafür ist viel mehr eine fundierte Autorität unumgänglich. Die Kriterien für die Mitgliedschaft in der Union sind nicht da, um dem Stand der Dinge in den jeweiligen Ländern angepasst zu werden, sie müssen Verpflichtung und Ziel dieser Länder bleiben. Was für jeden Kegelklub gilt, nämlich, wer die Satzung nicht einhält, fliegt raus, muss auch in der EU seine Gültigkeit haben.
Vielleicht haben Finanz- und Haushaltskrise doch noch ein Gutes. Es könnte sein, dass unter dem Druck der Ereignisse endlich durchgesetzt werden kann, was schon längst hätte getan werden müssen. Den Gegebenheiten entsprechend ist dringend das Europa der zwei Geschwindigkeiten einzurichten, mit allen Instrumenten, die der Zentralbank ihre Aufgaben, vor allem aber die Unabhängigkeit erhalten sollen.
Den Bundesstaat Europa wird es sicherlich nicht geben, aber dafür ein friedliches Nebeneinander und Miteinander der europäische Nationen. Wer jetzt den hässlichen Deutschen hervorholt, will damit seine eigene Unfähigkeit verdecken, er fällt in die Muster der Nachkriegszeit zurück. Damals war es eine Art Sport, den Deutschen ihre Grenzen aufzuzeigen. Dieser Sport wurde im In - und Ausland eifrig betrieben. Linke wie Rechte, Populisten und Elitäre, sie bedienten sich allesamt gerne des schmissigen Vokabulars.
Angeblich waren wir, die Deutschen, die Unbelehrbaren. Wir indessen haben unsere Lektion gelernt. Es heißt, Leistung erbringen und dieser Leistung entsprechend Verantwortung übernehmen. Nichts geht heute in Europa ohne die Deutschen. Das ist richtig und hat auch seine Gründe.
Es ist die Mittellage, in der sich unser Land auf dem Kontinent befindet, sein Bezug zu den anderen Nationen, ausgehend von dieser Lage. Sowie die Briten die Interessen ihrer Insellage vertreten, so vertreten wir unsere Interessen der Mittellage. Ja, es ist wahr, das Angela Merkel nicht Adenauer ist, sowie Sarkozy nicht De Gaulle sein kann, aber auch die Publizisten, die sich über die beiden auslassen, haben nicht das stilistische Gardemaß ihrer Vorgänger. Oder sollen wir uns etwa einen Hemingway vorstellen, der den Flachmann mit Bionade nachfüllt?