Lizzy Stender, Gastautor / 14.05.2016 / 10:00 / Foto: Yana Mishina / 0 / Seite ausdrucken

„Beleidigt“- ein neues Unterhaltunsformat zur besten Sendezeit

Von Lizzy Stender.

Böhmermann und kein Ende. Jetzt hat es seine Poesie, diesmal ohne die außen angebrachte Versuchsanordnung „Grenzen für Schmähgedichte austesten“,  in die Bundestags-Debatte zur Abschaffung des Majestätsbeleidigungs-Paragraphen geschafft. Der CDU-Abgeordnete Detlef Seif trug das Werk am Donnerstagmittag im Rahmen seiner Rede laut, deutlich und ungekürzt vor. Allerdings ohne die Schutzhülle „Testversion“, und ohne selbst einen ABC-Schutzanzug zu tragen, einzig beschirmt vom heiligen Zorn des edlen Ritters, der schonungslos dem Ehrverletzer Erdogans die Maske des Satirikers vom Gesicht reißt.

Es folgte eine angeregte Debatte, deren Tonlage zumindest für die Protokollführer eine angenehme Abwechslung zur sonst eher drögen Tagesordnung gebracht haben mag. Der Grünen-Rechtspolitiker Christian Ströbele steuerte die scharfe Analyse bei, daß Kanzlerin Merkel wegen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei versuche, der „Majestät Erdogan alles recht zu machen“.

„Noch’n Gedicht !“

Der Urheber des Corpus Delicti, Jan Böhmermann, hat offenbar bereits rechtliche Schritte angekündigt gegen die aus dem Zusammenhang gerissene und nicht autorisierte Rezitation. Herrlich, das gibt Stoff für die Debatte, ob der besagte Paragraph aus Kaiser Wilhelms Zeiten vor oder doch erst in 2018 abgeschafft werden soll. Warum eigentlich 2018? Hat der Passus ein Verfallsdatum, auf englisch „best before 2018“ oder eine Mindestlaufzeit von 125 Jahren im Strafgesetzbuch eingedruckt? Ja, nun muss das Plenum entscheiden, ob man den Paragraphen 103 Stgb. vielleicht doch zeitnäher eliminiert, damit man – Vorsicht, List! – die mittlerweile tätige Judikative veranlassen (nein, nicht beeinflussen, pfui, wer denkt denn so was…) kann, das oder die Verfahren wegen sich verändernder Gesetzeslage gleich wieder einzustellen. Bevor noch Jan Böhmermann die Bühne eines Gerichtssaals betreten kann. Das wäre schade. Ich habe schon eine Wette abgeschlossen, dass er seine Einlassung mit einem Heinz Ehrhardt-Zitat beginnen wird: „Noch’n Gedicht !“

Vielleicht ist es aber wirklich vernünftiger, dem CSU-Abgeordneten Volker Ullrich zu folgen, der vor Schaden für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland gewarnt hat, wenn die Majestätsbeleidigung durch Jan Böhmermann ungeahndet bleiben sollte. Welchen Schaden eine Majestäts-Beleidigung anrichten kann, entnehmen wir dem britischen „Guardian“ in seinem Bericht mit Video von einer Gartenparty im Buckingham-Palast am Dienstag dieser Woche:

Die Queen hat den Kaiser von China beleidigt!

Vor dem Staatsbesuch von Chinas Staatspräsident Xi Jinping in Großbritannien im Jahre 2015 müssen wohl die mit der Vorbereitung beauftragten Repräsentanten des Reichs der Mitte eine Botschafterin Ihrer Majestät und die für die Sicherheit verantwortliche Polizeibeamtin Lucy D’Orsy beleidigt haben. Dies veranlasste Ihre Majestät Queen Elizabeth II, der Miss D’Orsy auf besagter Gartenparty vorgestellt wurde, das Benehmen der chinesischen Diplomaten vor laufender Kamera als „very rude“ (entspricht etwa unserem „unverschämt“) zu bezeichnen. Alarm! Die Queen hat den Kaiser von China beleidigt! Diplomaten und Außenpolitiker beider Länder verfielen in hektische Kommunikationsbetriebsamkeit, drohte doch laut Titel des „Guardian“ das Ende des „Goldenen Zeitalters“ in den Beziehungen zu China. Staatspräsident Xi Jinping hätte ja nun, nach dieser Beleidigung durch Ihre Majestät, ergo Majestäts-Beleidigung, richtig eingeschnappt sein können mit entsetzlichen Folgen für die britische Wirtschaft und insbesondere für die City of London. Diese außenpolitische Kernschmelze wurde wohl gerade noch einmal abgewendet.

Diese Häufung von „Beleidigt!“-Ereignissen in einer einzigen Woche bringt mich auf eine Idee: wenn man – Erstens – nicht nur Majestäten beleidigen kann, sondern auch durch Majestäten beleidigt werden kann, und – Zweitens – nach Christian Ströbele, der als Mitglied des Bundestages einen Informationsvorsprung hat, der Despot vom Bosporus bereits als „Majestät Erdogan“ tituliert wird, schließe ich messerscharf, daß ich mich als deutsche Bundesbürgerin ebenso durch die „Majestät Erdogan“ beleidigt fühlen darf. In den zahlreichen Äußerungen des aufstrebenden Sultans bei Veranstaltungen auf deutschem Boden wird sich doch bestimmt ein passender Straftatbestand finden lassen.

Das Gesellschaftsspiel „Beleidigt!“ auf eine neue Ebene heben

Damit heben wir dieses Gesellschaftsspiel „Beleidigt!“ auf eine neue Ebene und passen es unseren heutigen Gesellschaftsverhältnissen an. Im 21. Jahrhundert sollte niemand ausgegrenzt werden und jeder, ohne Ansehen von Geschlecht, Rasse, Religion und sexueller Orientierung sollte sich durch die „Majestät“ seiner Wahl beleidigt fühlen dürfen.

In den frühen Morgenstunden bin ich heute aufgewacht, von einem angenehmen Traum. Ich war gerade dabei gewesen, mit Reichskanzler Otto von Bismarck ein wichtiges Tauschgeschäft auszuhandeln. Ich bot den Paragraphen 103 Stgb. „Majestätsbeleidigung“ an und wünschte mir im Gegenzug den ganzen Abschnitt zum Thema „Hochverrat“ aus dem Strafgesetzbuch des Deutschen Kaiserreiches. 

Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne. 

Foto: Yana Mishina CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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