Schauen Sie sich mal das Organigramm des Bundesministeriums des Innern (BMI) an: Obwohl ich den Anblick von Organigrammen gewöhnt bin, wird mir ganz schwindelig dabei. 11 Abteilungen, jeweils geleitet von einem Ministerialdirektor, 8 Unterabteilungen, geleitet von 7 Ministerialdirigenten und einem Ministerialrat, der vermutlich auf seine Beförderung wartet, und dann 92 Referate, jedes in der Regel geleitet von einem Ministerialrat. Macht zuzüglich der 6 Stäbe und 5 Arbeitsgruppen 122 Häuptlinge. Nicht zu vergessen die 5 Staatssekretäre (2 Parlamentarische und 3 beamtete) sowie der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.
Hinzu kommen noch rund 1.400 Indianer. Und diese geballte Ansammlung an Sachverstand und Erfahrung ist nicht in der Lage, das Thema Antisemitismus angemessen zu „handlen“ (sprich „händeln“). Auch nicht mit Unterstützung noch anderer betroffener Ministerien. Dazu braucht man offenbar einen Antisemitismus-Beauftragten.
Dabei herrscht keineswegs ein Mangel an Beauftragten und Koordinatoren. Die aktuelle Übersicht nach dem Stand vom 29. September 2017 weist 32 derartige Funktionsträger nach § 21 Abs. 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) auf. Seit ich vor anderthalb Jahren meinen Beitrag „Die Bundesregierung und ihre 29 Beauftragten“ auf der Achse veröffentlicht habe, sind also noch drei weitere hinzugekommen. § 21 der GGO lautet:
Zusammenarbeit mit den Beauftragten der Bundesregierung, den Bundesbeauftragten sowie den Koordinatorinnen und Koordinatoren der Bundesregierung
„(1) Die Beauftragten der Bundesregierung, die Bundesbeauftragten sowie die Koordinatorinnen und Koordinatoren der Bundesregierung sind bei allen Vorhaben, die ihre Aufgaben berühren, frühzeitig zu beteiligen.
(2) Die Beauftragten der Bundesregierung, die Bundesbeauftragten sowie die Koordinatorinnen und Koordinatoren der Bundesregierung informieren die Bundesministerien – vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen – frühzeitig in Angelegenheiten von grundsätzlicher politischer Bedeutung, soweit Aufgaben der Bundesministerien betroffen sind.
(3) Eine Liste der in Absatz 1 genannten Stellen wird beim Bundesministerium des Innern geführt und im Intranet des Bundes veröffentlicht. Die Liste wird regelmäßig aktualisiert. Dies geschieht im Einvernehmen mit den in Absatz 1 genannten Stellen, den Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt, soweit diese betroffen sind.“
Der Zitronenfalter faltet keine Zitronen
Bei der Lektüre solcher Bürokraten-Lyrik hüpft das Herz im Leibe des einzigen Kraken, der ohne Wasser leben kann. Bei mir ruft sie die Erinnerung an eine Frage wach, die ich mal einem Abteilungsleiter gestellt habe: Was haben ein Zitronenfalter und ein Abteilungsleiter gemeinsam? Erwartungsgemäß wusste er die Antwort nicht und war keineswegs amüsiert, als ich sie ihm verriet: Der Zitronenfalter faltet auch keine Zitronen.
Doch zurück zu den unergründlichen Tiefen der Ministerialbürokratie. Damit die Häuptlinge und Indianer auch wissen, was sie zu tun haben, sind die „ministeriellen Aufgaben“ in § 3 Absatz 1 GGO beschrieben:
„Die Bundesministerien nehmen Aufgaben wahr, die der Erfüllung oder Unterstützung von Regierungsfunktionen dienen. Dazu zählen insbesondere die strategische Gestaltung und Koordination von Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen, Schwerpunkten und Programmen, die internationale Zusammenarbeit, die Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren sowie die Wahrnehmung von Steuerungs- und Aufsichtsfunktionen gegenüber dem nachgeordneten Geschäftsbereich. Zu den wesentlichen Elementen der Führung und Kontrolle der Bundesverwaltung zählt die Fachaufsicht. Oberstes Ziel der Fachaufsicht ist ein rechtmäßiges und zweckmäßiges Verwaltungshandeln. Die Ausrichtung auf ministerielle Kernaufgaben ist durch ständige Aufgabenkritik sicherzustellen.“
Alle Dokumente, die das Ministerium verlassen und die nicht vom Minister selbst unterschrieben sind, werden in seiner Vertretung oder in seinem Auftrag unterzeichnet. Die „in Vertretung“ Unterzeichnenden sind zwar in der Tat Vertreter des Ministers (§ 6 Absatz 1 GGO), die „im Auftrag“ Unterzeichnenden aber nicht seine Beauftragten. Denn dieser Begriff ist für die besonderen Funktionsträger aus der erwähnten Liste reserviert.
An sich hätte man einen Antisemitismus-Beauftragten während der zwölf Jahre des Tausendjährigen Reiches gebraucht, da hätte er alle Hände voll zu tun gehabt. Nach dem 8. Mai 1945 waren die Antisemiten jedoch wie vom Erdboden verschluckt, aus welchem sie jetzt, 72 Jahre später, langsam wieder hervorkommen, verstärkt durch jene aus dem Morgenland, denen ihr „schönes Vorbild“ Abū l-Qāsim Muhammad ibn ʿAbdallāh ibn ʿAbd al-Muttalib ibn Hāschim ibn ʿAbd Manāf al-Quraschī, kurz Mohammed (gestorben 632), vor etwa 1.400 Jahren aufgegeben hat: „Ihr werdet die Juden bekämpfen, bis einer von ihnen Zuflucht hinter einem Stein sucht. Und dieser Stein wird rufen: ‚Komm herbei! Dieser Jude hat sich hinter mir versteckt! Töte ihn!’“
“Now we're in a fine mess“.
Das lasen natürlich auch diejenigen, die schon länger im Abendland lebten, in der Reclam-Ausgabe der „Nachrichten von Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad, zusammengestellt von Sahih al-Buhari." Doch sie nahmen das genauso wenig ernst, wie ihre Eltern und Großeltern die antisemitischen Parolen des Gefreiten aus Braunau in der 1920er Jahren.
Und jetzt haben wir den Salat. Oder wie unsere Freunde von der Insel sagen: “Now we're in a fine mess“. Offenbar gehört es nicht zu den „ministeriellen Kernaufgaben“, die Regierung bei der Bekämpfung des Antisemitismus zu unterstützen. Dazu braucht man einen speziellen Beauftragten. „Wir wenden uns gegen alle Formen von Antisemitismus und Fremdenhass“, hatte die Kanzlerin nach ausreichender Bedenkzeit kürzlich verkündet und zum wiederholten Mal „mit allen Mitteln des Rechtsstaates“ gedroht.
Diesmal ging es um das Verbrennen von Israelflaggen vor dem Brandenburger Tor durch Anhänger der „Religion des Friedens“. Außerdem betonte die Kanzlerin erneut, Deutschland sei dem Staat Israel und allen Menschen jüdischen Glaubens „in besonderer Weise eng verbunden“. Um diesem Satz besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen, hatte die Bundesregierung, zusammen mit 127 anderen Staaten, für die UN-Jerusalem-Resolution 2017 gestimmt, durch die die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA abgelehnt wurde.
Und um auch nicht den leisesten Zweifel an den Worten der deutschen Bundeskanzlerin vor der israelischen Knesset aufkommen zu lassen, wonach „das Bewusstsein für die historische Verantwortung und das Eintreten für unsere gemeinsamen Werte ... das Fundament der deutsch-israelischen Beziehungen von ihren Anfängen bis heute“ bilden, hatte die Staatsministerin für Kultur im Einklang mit dem Auswärtigen Amt sich kürzlich geweigert, dem hessischen Kultusminister ihre Zustimmung für die Rückgabe der berühmten Qumran-Schriftrollen an Israel zu geben, soweit diese aus dem Westjordanland stammten. Eine für 2019 geplante Ausstellung im Frankfurter Bibelhaus musste deshalb ad acta gelegt werden, was die Deutsch-Israelische Gesellschaft als Skandal bewertete.
Aiman Mazyek ist der ideale Antisemitismus-Beauftragte!
Hätten wir einen Antisemitismus-Beauftragten gehabt, wäre das alles natürlich ganz anders gelaufen. Oder etwa nicht?
Doch egal wie die Sache ausgeht: Einen geeigneten Kandidaten für diesen ehrenvollen Posten hätte ich auf jeden Fall. Wer wäre dafür besser geeignet, als jemand, der von sich gesagt hat (am 14. Januar 2015): „Ich bin ein Jude, wenn Synagogen angegriffen werden, ich bin ein Christ, wenn Christen beispielsweise im Irak verfolgt werden, und ich bin ein Muslim, wenn Brandsätze auf ihre Gotteshäuser geworfen werden.“ Wie, Sie wissen nicht, wer das gesagt hat?
Nun, es gibt nicht viele, die zu einer solchen Aussage bereit und in der Lage sind. Es war Aiman Mazyek, der Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Wenn Sie den Link angeklickt haben sollten, werden Sie allerdings nicht die erwartete Bestätigung bekommen haben. Die Suche in tageschau.de (am 23. Dezember 2017) ergab vielmehr folgendes: „Ihre Suche nach ‚Aiman Mazyek Ich bin Jude‘ war leider erfolglos.“ Offenbar war den Verantwortlichen die Sache doch zu peinlich. Am Zeitablauf kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn es gibt sogar noch einen Eintrag vom 1. März 2012. Doch ein Beleg für Mazyeks Bekenntnis findet sich immerhin hier.
Die Ernennung von Aiman Mazyek zum Antisemitismus-Beauftragten hätte überdies den unschätzbaren Vorteil, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er könnte gleichzeitig das von ihm vorgeschlagene und bei der Gelegenheit neu zu schaffende Amt des Antirassismus-Beauftragten in Personalunion übernehmen. Und wenn’s ganz gut läuft, könnte man auch noch einen Antiislamophobie-Beauftragten draufpacken, wenn den auch bisher zu meiner Verblüffung noch niemand gefordert hat.