Bernhard Lassahn / 12.08.2011 / 08:01 / 0 / Seite ausdrucken

Zensur in der Literatur

Teil 1: die Keule

Gerade wollte ich das Buch ‚Das Da-Da-Da-Sein’ von Maik Brüggemeyer empfehlen und hatte ihm schon geschrieben: „Du machst alles richtig. Ich war überrascht, wie selbstverständlich du es schaffst, männliche Befindlichkeiten darzustellen. Es kommen außerdem großartige einzelne Sätze vor, als würde es zwischendurch aufblitzen ...“

Doch, Halt, Kommando zurück: Das Buch erscheint nicht. Jedenfalls nicht so. In letzter Sekunde stoppte der Verlag die Auslieferung, nachdem eine einstweilige Verfügung gegen das Buch angedroht worden war. „Eine Frau glaubt, darin porträtiert zu werden, und fühlt sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt“, so heißt es bei ‚Welt online’. Der Roman wird nun den Wünschen der juristischen Gegenspielerin angepasst. Dem ‚Focus’ sagte der Autor: „Als Schriftsteller, der über die Gegenwart schreibt, kommt man in Deutschland ohne Anwalt nicht mehr aus.“

So sieht es also aus mit der Freiheit der Kunst. In Deutschland. Heutzutage. Aber helfen da noch Anwälte? Befreien sie den Autor von den Fesseln oder legen sie ihm überhaupt erst welche an? Trifft hier das berühmte Bonmot zu, dass die Psychoanalyse das Problem ist, für dessen Lösung sie sich hält? – in dem Fall bezogen auf Anwälte und unser Rechtssystem.

Die viel zitierte Freiheit der Kunst wird nämlich nicht großmütig durch unabhängige Richter und das segensreiche Wirken von selbstlosen Anwälten garantiert, die auch gerne von der Muse geküsst werden möchten – im Gegenteil: Diese Herrschaften in Talaren finden je nach Grad ihrer Anpassung an die Stimmung im Lande stets neue Gründe, die Freiheit einzuschränken, - etwa weil ihrer Meinung nach Gewalt verherrlicht oder der Staat verunglimpft wird, oder weil - so die aktuelle Variante - das Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Das Private ist inzwischen, wie wir bemerkt haben, politisch, ob wir das in der Art wollten oder nicht, der Staat ist zum zweiten Mann einer Frau geworden, das Persönlichkeitsrecht einer Frau ist heute eine Staatsaffäre.

Und dieser Staat rückt uns immer dichter auf die Pelle. „Die neue Redefreiheit“ ist zu einer Werbung für eine Flatrate verkommen. Die Parole ist nicht ernst gemeint. Bei politischen Diskussionen gilt die längst nicht mehr, da sollten wir uns vorsichtshalber auf die Zunge beißen, da gibt es inzwischen nicht nur Fettnäpfchen, sondern „Meinungsdelikte“, wie Pascal Bruckner sagt. Auch wenn der ‚Spiegel’ meint „Political Correctness ist gesellschaftliche Toleranz“, im Flüsterton wird sie schon lange als „Stasi West“ bezeichnet. Korrektes Denken und Sprechen gilt besonders gegenüber Frauen; wir befinden uns in einer Situation, in der „nichts Gutes über Männer und nichts Schlechtes über Frauen“ veröffentlicht wird, wie jemand, dessen Namen mir gerade nicht einfällt, mal gesagt hat (ich bin momentan auch zu faul, danach zu suchen). Doch da könnte was dran sein. Den Eindruck habe ich manchmal auch. Und dann ist auch die Freiheit der Kunst bedroht – sofern darin Frauen vorkommen, was fast immer der Fall ist.

Dabei basiert die Freiheit der Kunst auf einem Gesellschaftsvertrag der besonderen Art: Die Freiheit der Autoren gründet sich auf die Freiheit der Leser. Beide Enden hängen zusammen und bedingen sich. Der „liebe Leser“ ist volljährig, er hat lesen gelernt und kann nun ohne Bevormundung selbst entscheiden, was er sich zumuten will und was nicht. Ich mache von dieser Freiheit übrigens häufig Gebrauch: Wenn mich ein Buch langweilt oder meine Intelligenz unterfordert, lege ich es weg und sage mir leise: Das tu ich mir nicht an.

So möchte man auch der Klägerin zurufen: Lass doch die Finger von dem Buch, wenn du meinst, du tust dir damit was an. Tu doch nicht so, als sei das Pflichtlektüre, respektiere die Freiwilligkeit als Grundlage für den Umgang mit Kunst. Du musst das nicht lesen. Doch die Klägerin denkt vermutlich, dass sie das muss. Sie fühlt sich nicht frei. Dann sollen sich andere auch nicht frei fühlen. Der Autor nicht. Und auch die potentiellen Leser nicht, die sollen von vorneherein in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt werden; die sollen den Text gar nicht erst lesen dürfen. So wird die Klägerin nicht erfahren, ob die Leser zu demselben Urteil über die von ihr beanstandeten Passagen kommen oder nicht. Vielleicht sind denen gerade diese Stellen herzlich gleichgültig, so wie sie ihr selber wenig später womöglich auch gleichgültig sein werden, wenn sie mit zeitlichem Abstand die Sache neu bewertet. Es bleibet dabei: Die Leser denken, was sie wollen; weder schließen sie sich automatisch dem Autor an, noch dem Zensor. Die Gedanken sind frei.

Die Freiheit im Umgang mit dem Buch als „Massenmedium des Individuums“ ist obendrein besonders stark ausgeprägt, weil der Leser nicht nur bestimmen kann, ob er das Buch sofort oder erst mit Zeitverzögerung lesen möchte, er kann auch über das Lesetempo selbst bestimmen: Er kann Pausen einlegen, Seiten überblättern und kann sogar,  falls die Spannung unerträglich wird, das letzte Kapitel zuerst angucken; er muss sich nicht überrumpeln lassen, wie das bei anderen Medien möglich ist. Er liest mit Lesebrille und mit Eselsohren. Der mündige Leser kann jederzeit innehalten und sich seine eigenen Gedanken machen - das soll er sogar -, er kann die Lektüre langsam auf sich einwirken lassen, er kann sich aber auch genauso gegen jegliche Wirkung immunisieren. Ein gutes Buch ist in etwa so wie diese Seife, von der früher mal ein Werbeslogan behauptet hat: „Diese Seife entfaltet auf jeder Haut einen anderen Duft.“

Jeder Leser duftet anders. Ein Leser ist in keiner Weise verpflichtet, sich der Sichtweise des Autors oder der Perspektive der Romanhelden anzuschließen. Er muss keinesfalls irgendetwas von dem nachmachen, was ihm die Figuren alles an Dummheiten vorführen. Der Leser kann darüber herzhaft lachen, er kann weinen - oder beides bleiben lassen. Der Dichter, so bedeutend er auch sein mag, ist letztlich doch nur - wie Berthold Brecht einst in seiner berüchtigten Bescheidenheit gesagt hat - einer, der lediglich „Vorschläge“ gemacht hat, mehr nicht. Unter solchen Umständen möchte man doch gerne Leser sein – oder?

Ich jedenfalls. Und wenn nun irgendwo auf der Welt diese Freiheit bedroht oder eingeschränkt wird, ist ein Autor stets auf der Seite der Leser und setzt sich für seine Freiheiten ein, weil das auch die Freiheit des Autors gewährleistet. Ich rufe also zweistimmig nach Freiheit – als Autor und als Leser: Freiheit! Freiheit!

Die Freiheit der Leser macht auch die Wirkung der Literatur so unübersichtlich. Wer sich auch nur ein wenig mit Rezeptionsästhetik befasst, merkt schnell, dass es „ein weites Feld“ ist. Mindestens. Die lieben Leser lassen sich eben nicht vorschreiben, wie das geschriebene Wort zu wirken hat. Einstweilige Verfügungen oder Verbote setzen aber voraus, dass ein Text nur eine einzige Lesart zulässt und sich nur auf eine einzige Art auf die Endverbraucher auswirkt – nämlich genau auf die Art, die man unterbinden will. Aber nichts da. Ein Roman ist kein Flugblatt. Er ist komplex und widersprüchlich und bietet sich einer Leserschaft an, von denen sich jeder selber seinen Reim auf die Welt macht.

Wer bei so einer unüberschaubaren Vielfalt und so einem Reichtum mit Verboten kommen will, erweist sich als kulturfremder Primitivling, der versucht, mit der Keule eine SMS zu schreiben. Außerdem wird deutlich, dass hier jemand gerne den Tyrannen spielt.

Also: Ich erhöhe den Einsatz: Ich empfehle das Buch von Maik Brüggemeyer zweifach. Zum einen in der Version, die im September beim Aufbau-Verlag erscheinen wird. Ich nehme an, dass die Änderungen keinen schweren Schaden anrichten werden; das Buch wird immer noch so gut sein, wie ich es in Erinnerung habe. Und dann bietet sich für alle, die sich gerne über bedrohte Kunst empören, der textkritische Vergleich mit dem Original an. Also los, ihr Literaturwissenschaftler: Zensurmaßnamen müssten doch ein gefundenes Fressen für euch sein – ein Festmahl in mehreren Gängen. Hier kann man die Gängelung im quälenden Detail nachvollziehen. Hier kann man der Freiheit der Kunst den Puls fühlen und sehen, wie schlecht es ihr im Moment geht.

Fortsetzung folgt

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