Vera Lengsfeld / 06.01.2012 / 10:52 / 0 / Seite ausdrucken

Wulff zum Letzten

Wulff wollte, so wird kolportiert, Krieg und er hat ihn bekommen. In der Medienschlacht gerät, wie in vielen anderen Schlachten, leicht in Vergessenheit, worum es eigentlich geht.
Eben nicht um Sieg für Bild oder Wulff, sondern es geht darum, ob Gesetze und Regeln, in diesem Fall die Antikorrupionsrichtlinien des Landes Niedersachsen für alle gelten, auch für den Ministerpräsidenten. Da kann es nur eine Antwort geben: Ja und zwar zu allererst. Dies bis heute nicht erkannt zu haben, werfe ich Christian Wulff vor. Statt dessen inszeniert er sich als das unschuldige Opfer vom Lande, das von der Meute gehetzt wird, obwohl es sich nichts zuschulden kommen ließ. Das Gegenteil ist wahr.
Deshalb noch mal die Knackpunkte:
Wulff: “Das hätte ich sagen sollen, wenn ich es heute noch mal entscheiden könnte von vornherein, dann würde ich heute in dem Moment, wo ich dieses Haus kaufe, ein Interview geben und sagen, ich habe dieses Haus gekauft mit Hilfe von Freunden, die mir für die Anfangszeit und Sanierung Geld zur Verfügung gestellt haben, ordentlich verzinst.”
Falsch! Als Ministerpräsident hätte er von keiner Privatperson einen Kredit nehmen dürfen. Denn kein Regierungsvertreter darf finanzielle oder andere Vergünstigungen annehmen, die auch nur entfernt mit dem Amt in Verbindung stehen könnten. Dies ist bei einem Ministerpräsidenten prinzipiell bei niemanden auszuschließen, insbesondere nicht bei einem Bürger von Niedersachsen und erst Recht nicht bei der Ehefrau eines in Niedersachsen tätigen Unternehmers. Frau Geerkens hätte gemäß geltender Richtlinien das Angebot für den Privatkredit übrigens auch niemals machen dürfen. Wenn überhaupt, hätte ein Privatkredit nur nach vorheriger Freigabe durch einen Antikorruptionsbeauftragten und klarer Dokumentation aller involvierten, marktgerechten Konditionen aufgenommen werden dürfen. Ob ein Antikorruptionsbeauftragter einem solchen Kredit zugestimmt hätte, bleibt höchst zweifelhaft. Viel naheliegender wäre eine reguläre Bankfinanzierung nach marktüblichen Konditionen. Die Verschleierung des Vorgangs gegenüber dem Landtag kommt erschwerend hinzu. Dass Christian Wulff mit Egon Geerkens langjährig befreundet war, mag als mildernder Umstand gewertet werden, mehr nicht.
Wulff: “Wenn man als Ministerpräsident keine Freunde mehr haben darf und wenn alle Politikerinnen und Politiker in Deutschland ab sofort nicht mehr bei Freunden übernachten dürfen, sondern, wenn Sie bei den Freunden im Gästezimmer übernachten, nach einer Rechnung verlangen müssen, dann verändert sich die Republik zum Negativen. Davon bin ich fest überzeugt. Und deswegen stehe ich zu diesen sechs Urlauben bei Freunden auf Norderney oder fünf, sechs Tage dort in Italien oder sieben Tage bei Freunden, mit den Freunden zusammen zu kochen, zu frühstücken, im Gästezimmer zu schlafen. Da erhebe ich auch keine Rechnung, wenn mich die Freunde hier in Berlin besuchen.”

Falsch - Verantwortungsträger in Regierung und Verwaltung dürfen natürlich Freunde haben und mit diesen auch gemeinsame Urlaubstage verbringen. Dies schließt aber eben gerade nicht geldwerte Vorteile, wie kostenlose Urlaubsübernachtungen in Ferienorten im In-, und Ausland ein. 5-6 Übernachtungen in Italien gehen auch weit über ein im Rahmen einer langjährigen Freundschaft vielleicht denkbare einmalige Übernachtung aus besonderem Grund hinaus. Ein gemeinsamer Urlaub muss selbstverständlich getrennt abgerechnet werden, wo immer er stattfindet.
Wulff: Jetzt als Bundespräsident, habe ich Ja gesagt, war es ein Fehler, überhaupt bei einem Unternehmer zu übernachten.”
Die Frage ob die kostenlosen Übernachtungen richtig oder falsch waren, hat nichts mit dem Amt des Bundespräsidenten zu tun, sondern ist eine universelle Regel für Verantwortungsträger in allen Ebenen von Regierung und Verwaltung. Sobald eine auch nur geringe Verbindung zum Job möglich ist, muss auf eine strikte Vermeidung von Vorteilsnahme geachtet werden. Dies trifft bei einem Ministerpräsidenten tatsächlich auf fast jeden zu, insbesondere aber auch auf alte Freunde, vor allem wenn sie in dem Bundesland unternehmerisch tätig sind.
Deppendorf: “Was sagen Sie eigentlich Ihren Beamten? Oder was sagen Sie den Beamten, wenn sie sowas machen würden?”
Wulff: “Das ist genau der Unterschied. Wenn es dienstliche Kontakte gibt, wenn es in Bezug auf das Amt geleistet wird, dann kommt es überhaupt nicht infrage. So ist genau die Regelung. Aber dies wird nicht in Bezug auf das Amt gemacht, denn ich bin in Norderney schon gewesen oder in Spanien, als ich noch gar nicht im Amt war. Ich kenn den Herrn Geerkens, seit ich 14, 15, 16 bin. Den kannte mein Vater, der war mit dem eng befreundet. Und wenn man den seitdem kennt und ihn besucht hat und er uns besucht hat und man sich ein Leben lang begleitet, dann ist das nicht auf das Amt bezogen. Sondern dann ist das eine private Beziehung, die auch Politikern möglich sein muss.”
Im Prinzip richtig und in der Konsequenz auf sein Amt grundfalsch - wie kann ein Ministerpräsident einen Bezug zu seinem Amt auch bei einem langjährigen Freund ausschließen? Jeder Verantwortungsträger muss alle seine persönlichen Beziehungen vom ersten Tag einer Verantwortungsannahme auf die neuen Gegebenheiten umstellen. Eine Freundschaftspflege sollte auch ohne kostenlose Freundschaftsdienste möglich sein - für Christian Wulff wohl nur schwer vorstellbar.
Obwohl im Interview nicht explizit angesprochen, gelten diese Grundsätze natürlich ebenfalls für alle anderen Formen von Vorteilsannahme. Selbst wenn Christian Wulff mit dem Chef von Air Berlin seit seiner Sandkastenzeit befreundet gewesen wäre (dies hat C. W. nicht behauptet), hätte er auf einem privaten Flug zu dem Feriendomizil seines langjährigen Freundes in Florida, USA, kein kostenloses Upgrade in die Business class von Air Berlin für seine Frau und sich akzeptieren dürfen. Der geldwerte Vorteil liegt schon in diesem einen Fall auch weit außerhalb jeglicher möglicher Toleranzwerte. Dass die Differenz nach öffentlicher Kritik beglichen wurde, ist selbstverständlich, aber ein normaler Beamter wäre damit nicht davongekommen.

 

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