Dass der Bundespräsident eine Sonderstellung genießt, ist eine zweifelhafte Angelegenheit. Wer es noch nicht wusste, weiß es jetzt, spätestens seit Christian Wulff im Schloss Bellevue residiert.
Mit dem Amt des Bundespräsidenten verbinden sich nicht wenige Missverständnisse. Das kommt daher, dass der Präsident zwar irgendwie nicht der Exekutive angehört, aber dieser in allem Möglichen zustimmen muss. Im Klartext: Seine Unterschrift ist zwar nichts Wert, aber ohne sie gilt das Gesetz nicht. Theoretisch könnte er die Exekutive blockieren, aber er wird es nicht wirklich tun. Nicht weil es ihm nicht möglich wäre, sondern weil es sich nicht gehört.
Der Bundespräsident befindet sich also vom Prinzip her in der Rolle des Monarchen, wenn es um die Repräsentation geht, und, politisch betrachtet, in der Rolle seines eigenen Sekretärs, der morgens mit der Mappe zur Unterschrift antritt, und zwar bei sich selbst.
Das Amt des Bundespräsidenten kam in seiner jetzigen Form bekanntlich durch das Grundgesetz von 1949 zustande. Es sollte die überparteiliche Autorität wenigstens symbolisch oder höchstens symbolisch darstellen. Denn geringen Spielraum, den das Amt bietet, haben die meisten seiner bisherigen Inhaber dazu genutzt, um es mit ihrem Profil zu vereinbaren. Sie lebten nicht vom Amt, sie lebten vom Image, das sie ihm jeweils zu geben verstanden. Bestes Beispiel dafür ist bis heute Richard von Weizsäcker.
So wurde es zum Gewohnheitsrecht, dass der Präsident zwar in die laufende Politik schlecht eingreifen konnte, aber dafür bei wichtigen Anlässen auch Grundsätzliches zur Sprache bringen durfte. Zum Maßstab dafür wurde die so genannte Ruck- Rede des Roman Herzog.
Zumindest an diese beiden Vorgänger, Weizsäcker und Herzog, mag Wulff gedacht haben, als er sich seine Rede zum Tag der deutschen Einheit zurecht legte. Was lag näher, als sich dem Thema des Tages zu widmen, der Integration? Zumal sich erst vor kurzem selbst ernannte Sprecher der Muslime in Deutschland mit einem offenen Brief an ihn, den Bundespräsidenten, gewandt haben, um vor der Ausgrenzung zu warnen.
Damit fühlte Wulff sich wohl in die Pflicht genommen. Jedenfalls beförderte er per Nebensatz den Islam in Deutschland zur großen Ergänzung des Abendlands. Indem er ihn politisch korrekt neben Christen- und Judentum rückte, entsprach er dem allgemeinen Gesäusel der öffentlich- rechtlich kujonierten Meinungsbildung.
Dass er dabei etwas gesagt hat, was das Grundgesetz so nicht kennt und auch nicht vorsieht, scheint er gar nicht gemerkt zu haben. An dieser Stelle ist zu sagen: Nicht das Gute ist der Maßstab, sondern das Gesetz. Das Gesetz, das auch für die Guten gilt. So gesehen, hat Wulff in seiner Rolle als Bundespräsident am Tag der deutschen Einheit etwas gesagt, was rechtlich so nicht zutrifft, und, bei genauerem Hinsehen, vielleicht sogar dem Grundgesetz widerspricht.
Wer aber ist der Souverän in Deutschland gemäß dem Grundgesetz? Sie werden staunen: Es ist, laut Gesetzestext, das deutsche Volk. Also hat sich der Bundespräsident an das deutsche Volk zu wenden, wenn er am Tag der deutschen Einheit spricht, und nicht an die Bunte Republik Deutschland. Diese ist Teil des Karnevals, die Bundesrepublik ist mehr. Sie ist mehr als Wulff. Der aber sollte sein Amt ausfüllen, und nicht ausweiten.