Wolfgang Röhl / 02.08.2019 / 06:25 / Foto: Bundesarchiv / 149 / Seite ausdrucken

Wer da, Freund oder Leser? Über Kommentarforen

Kaum war das Stück über die Tiraden von Donald Trump gegen den Kongressabgeordneten Elijah Cummings auf „Spiegel Online“erschienen, da trudelten jede Menge Leserbriefe auf der Kommentarspalte ein. Doch längst nicht alle lasen sich so, wie es sich der in Washington ansässige Spiegel-Korrespondent Roland Nelles, seit Jahren in einen Hau-den-Trump-Wettstreit mit dem New Yorker SpOn-Mann Marc Pitzke verstrickt, womöglich gewünscht hatte.

Kommentar Nummer drei warf Nelles vor, den Lesern vorenthalten zu haben, dass gegen die Ehefrau des schwarzen Politikers seit langem Vorwürfe wegen Korruption erhoben werden, die vielleicht nicht zufällig in jenem verlotterten Milieu blüht, wo Cummings’ Wahlkreis liegt. Leserbrief Nummer vier klärte darüber auf, dass Cummings für rüde Verbalattacken gegen Trump bekannt ist, was die Retourkutsche des Potus zumindest relativiert. Der fünfte Kommentar legte nach, was Nelles’ Artikel nur angedeutet hatte: Trump hat mit dem Vorwurf, Cummings kümmere sich zu wenig um seinen „ekelhaften, von Ratten befallenen“ Wahlkreis in Baltimore, so unrecht nicht. 

Überhaupt sei die Stadt Baltimore, so andere Kommentatoren, tatsächlich und nicht bloß in Trumps Augen zu erheblichen Teilen ein Albtraum aus Kriminalität, Schmutz und Arbeitslosigkeit. Woran auch Millionen Dollar, die während der Obama-Administration in das überwiegend von Schwarzen bewohnte Baltimore geflossen seien, nichts geändert hätten. Baltimore sei die einzige Stadt der USA, die schrumpfe, und dafür gäbe es handfeste Gründe. Kurz, nicht wenige Leser drückten ihre Meinung aus, es sei unangemessen, Trump wegen seiner drastischen Bemerkungen über die gescheiterten Stadt gleich zum Rassisten zu ernennen. 

Ähnlich verlief die Diskussion auf anderen Onlineablegern der Mainstream-Medien, sofern sie zu der Angelegenheit Trump vs. Baltimore überhaupt Kommentare erlaubten. Selbst in der digitalen „Zeit“ plädierten Leser, von denen einige Baltimore mit Schaudern durchstreift hatten, in dieser Sache für Trump. Die Anwürfe gegen ihn bei nahezu jedem seiner Schritte seien nicht bloß zum Gähnen, sondern lägen im Fall Cummings/Baltimore auch sachlich daneben.

Früher war alles besser, zumindest für Journalisten

Aber hallo! Das hätte es früher nicht gegeben. Früher war alles besser, zumindest für Journalisten. Selten mussten sie sich rechtfertigen. Die Faustformel lautete: Je weiter ein Stück vom Turf der Leser spielt, desto freizügiger kann man mit Fakten, Bewertungen und Zitaten jonglieren. Berichte aus dem entfernteren Ausland waren für den gemeinen Medienkonsumenten praktisch unüberprüfbar, mangels eigener Reiseerfahrungen und ohne die Möglichkeiten des Internet. 

Nach Südwestafrika (bis 1915 Deutsch-Südwestafrika, ab 1990 Namibia) pilgerten zum Beispiel immer mal wieder west- und ostdeutsche Linksfedern, um die angeblich fortdauernde Tradition des deutschen Herrenmenschentums einer gruselnden Leserschaft rüberzubringen. Selbstredend gab es schlimme Finger unter den verbliebenen Deutschstämmigen, vor allem unter den in Swakopmund residierenden Pensionären. Und Rassisten waren mehr oder weniger alle da unten, ob sie nun schwarze oder weiße Haut hatten. 

Doch die Berichte waren oft grotesk überdreht und verzerrt, sie klitterten die Landesgeschichte und entdeckten auf jedem Farmersofa einen rassereinen Nazi. Ein deutschstämmiger Bäcker im Norden des Landes, der laut einem Illustriertenbericht an jedem 20. April Brötchen in Hakenkreuzform backte, tat das tatsächlich in manchen Jahren. Doch nur, um die angereisten Journos aus D auf den Arm zu nehmen, an deren kreative Recherchemethoden man sich längst gewöhnt hatte. 

So tauchte in deutschen Gazetten immer mal wieder eine Nazisprüche klopfende Frau auf, praktisch die Reichsfrauenführerin des südlichen Afrika. Tatsächlich handelte es sich um eine von niemandem für voll genommene Alkoholikerin, die regelmäßig bei Grillpartys ausrastete, man konnte die Uhr danach stellen. Sie galt unter deutschen Journos als Muss-Adresse, die man zwecks Entlarvung der Postkolonialisten anzulaufen hatte.

Schreibende Kollegen als schutzwürdige Spezies

Protestbriefe der Südwestler landeten meist in den Papierkörben der Redaktionen. Irgendwann hörten die Südwestler auf, welche zu schreiben, ließen den Frust bei der „Allgemeinen Zeitung“ in Windhuk raus. Überhaupt waren Leserbriefautoren bis zum Internetzeitalter ziemlich gekniffen. Nichts war den Redaktionen so schnurz wie die Meinung ihrer Leser; Hauptsache, sie kauften treudoof weiter ihre Blätter. 

In meinem langjährigen Redaktionsumfeld wurden bei ausgesuchten Artikeln gewöhnlich zwei bis drei meist stark gekürzte Briefe veröffentlicht. Einer war des Lobes voll, der zweite kritisch, ein dritter ambivalent. Kritik wurde nur gedruckt, wenn sie den Artikelschreiber nicht bloßstellte, ihm etwa eine Lüge oder eine grobe Unterlassung nachwies. Schreibende Kollegen galten in allen Redaktionen als schutzwürdige Spezies.

Gingen nicht genug oder keine passenden Leserbriefe ein, schrieben Redakteure schon mal selber welche. Ein legendäres Stück Lübke-Englisch („Equal goes it loose“) stammte gar nicht von dem etwas tollpatschigen Bundespräsidenten, sondern wurde ihm von einem Spiegel-Redakteur in den Mund gelegt. Weitergesponnen wurde das Lübke-Garn durch „Zuschriften“ zu diesem Artikel, welche in Wahrheit Spiegel-Redakteure ersonnen und auf die Leserbriefseite gehievt hatten.

Die gedruckte FAZ pflegte – früher mehr als heute – den Brauch, opulente Leserzuschriften abzudrucken, die manchmal kaum kürzer ausfielen als die angesprochenen Artikel. Meist handelte es sich um Elaborate von akademischen Klugscheißern, welche angebliche Fehler oder falsche Schlüsse etwa in Fachaufsätzen bekrittelten. 

Ehrfurchtgebietende Kürzel à la Prof. Dr. Dr.

Da roch man gekränkte Eitelkeiten zehn Meilen gegen den Wind. Warum, verdammt noch mal, hatte das Klugkopfblatt den und den Mann und nicht den Leserbriefschreiber damit beauftragt, über, sagen wir, die wahren Ursachen des Ersten Weltkriegs zu schwadronieren? Aus Rache wurde dem Blatt dann eine Zuschrift reingesemmelt, die es in sich hatte, gern signiert mit ehrfurchtgebietenden Kürzeln à la Prof. DrDr.

Oh ja, jedes Medium hat einen spezifischen Knilch, der nicht an ihm vorbei gehen mag. In der online-„taz“ müllt seit gefühlt zehn Jahren ein gewisser „lowandorder“ die Leserforen mit Stuss im Duktus von Arno Schmidt voll. Kein Thema, das der Mensch nicht bespielt, nirgends. Da aber jede Taz-Ausgabe zu drei Vierteln aus einer sinnfreien Reihung von Buchstaben besteht, besteht kein vernünftiger Grund, „lowandorder“ von der Unfugsproduktion auszuschließen. Birds of a feather. 

Klar, dass es auch Leserpost gab und gibt, die mit Fug und Recht sogleich dem Papierkorb überantwortet wird. Man erkannte sie früher untrüglich am Gebrauch des Farbbandes der Schreibmaschine (das für den Verfasser besonders Wichtige erschien in roter Schrift). Sowie an Umfang und Form des Briefes (ellenlange Postulate, Papier bis an die Ränder vollgeschrieben), an häufig in Versalien geschriebenen Wörtern oder am üppigen Gebrauch von Ausrufe- und Fragezeichen. Einiges davon signalisiert auch im Zeitalter elektronischer Post recht zuverlässig, wes Geistes Kind der Urheber ist. Mag sein, dass mal eine Perle übersehen wird. Aber Form und Inhalt gehen allzumeist keine gänzlich getrennten Wege.

Womit wir bei den Leserbeiträgen in kontemporären Medien sind. Wie soll man sie publizieren? Ganz ungefiltert oder zensiert/moderiert, und wenn Letzteres, nach welchen Kriterien? Sollen Leser sich überhaupt ausmotzen dürfen? Wäre die Welt nicht viel schöner, wenn es keine motzigen Leser gäbe? Über den User, das bekannte Unwesen, raufen sie sich in den Redaktionen immer öfter die Haare. Der Typus neigt dazu, über die Stränge zu schlagen.

Ich muss gestehen, dass ich mich gern auf sogenannten Foren herumtreibe, allerdings nur passiv. Sie bereichern mich immer, auf irgendeine Weise. Was in der Tiefe des grünroten Raumes schlummert und von dort bei passender Gelegenheit losbrüllt – zum Thema Seenotrettung schreibt ein „Amigo“ in der Taz: „Können wir nicht braune Schmeißfliegen ins Mussolini-Land schicken und nehmen dafür Geflüchtete auf?“ –, was sich da kenntlich macht an latenter Gewaltbereitschaft und klammheimlicher Freude, sobald zum Beispiel irgendwo ein „Rechter“ zusammengeschlagen wird, das zeigt ganz wunderbar auf, welche Klientel dieses vom Staatsfunk gern zitierte Nischenmedium bedient. Die Taz ohne ihr Leserforum, das wäre wie ein Haufen Kuhscheiße ohne Fliegen. Um mal im Jargon von manchen, nicht gerade wenigen, Taz-Konsumenten zu bleiben.

Wie bei der Saloon-Schlägerei eines B-Westerns

Lustig, bunt und spannend auch die Leserdiskussionen auf den Foren von „Zeit Online“. Um ordentlich Klicks zu fangen, lässt das Portal – anders als etwa Spiegel, Tagesspiegel, FAZ oder Süddeutsche Zeitung – bei fast jedem größeren Stück Kommentare zu. Handelt es sich um Reizthemen, wie der Mord an einem Kind im Frankfurter Hauptbahnhof, kochen innerhalb kurzer Zeit bis zu zweitausend Leseransagen hoch. Manche spiegeln einfach nur die Banalität des Blöden („Furchtbar! Gute Besserung für die Mutter und den Lokführer.“). Andere bilden das ideologisch Eingemachte der Kernleserschaft ab. („Diese tragische Einzeltat darf nicht schon wieder von Nazis instrumentalisiert werden!!!“)

Wenn einer dagegen hält, kriegt das Ganze rasch eine Krawalldynamik. Plötzlich haut jeder auf jeden ein, wie bei der üblichen Saloon-Schlägerei eines B-Westerns. Dann müssen die Sheriffs der Moderationstruppe ran. Ich habe schon Foren angeklickt, wo die ersten sechs oder acht Kommentare gelöscht wurden, weil sich da offenbar richtig harte Jungs die Köpfe verbal einschlagen wollten. 

Mit anderen Worten, ZON zahlt für seine Gier nach Reichweite einen hohen Preis. Nicht nur muss es eine Moderation im Drei-Schichten-Takt unterhalten. Es hat auch in Kauf zu nehmen, dass sich unter dem Rubrum „Zeit“, das mal für gepflegtes Feuilleton-Geschwurbel und geopolitische Bescheidwisserei stand, oft ein Abgrund von Dummheit, Rauflust und Denunziationen auftut. 

Sicher, beileibe nicht alle, die sich in solchen Foren um Kopf und Kragen posten, zählen zu den Abonnenten oder Kioskkunden der gedruckten Zeit. Aber das Image von Marken kann man auch mit deren Ablegern ruinieren. Das begann schon anno 1990 mit Günter Jauchs „Stern TV“ auf RTL. Das Plattformat trieb Autoren und Redakteure des Print-Stern regelmäßig in Wut. Sie betonten bei jeder Gelegenheit, dass ihr Magazin mit dem, O-Ton, „Scheißdreck aus Köln“ redaktionell rein gar nichts zu tun hätte (was korrekt war).

Es genügt, mal auf Wikipedia nachzuschauen

Was die Leserbriefe anging, so traf der Verlag des Stern bei seinem 1995 gegründeten Netz-Ableger eine für ihn glückliche Entscheidung. Auf „Stern.de“ waren, wenn ich mich richtig erinnere, von Anfang an nur wenige Artikel kommentierbar, heute gar keine mehr. Die Redaktion begründete das mit den happigen Kosten für eine – juristisch notwendige –Moderation. 

Mittlerweile dürften andere Online-Portale stern.de um diese Politik beneiden. Denn die Möglichkeit zum Kommentieren beinhaltet auch, dass Leser sich erfrechen, Artikel zu kritisieren oder gar Fakten vorzulegen, die in den Stücken nicht oder nur unvollständig vorkamen, vulgo aus meist ziemlich durchsichtigen Gründen unterschlagen wurden. Ein Stück wie das eingangs erwähnte Trump-Bashing des Spiegel auseinanderzunehmen, ist im Internet-Zeitalter keine große Kunst, für die man redaktionelles Herrschaftswissen benötigte. 

Genügt, mal auf Wikipedia nachzuschauen, was denn so los ist in Baltimore, wer dieser Mr. Cummings und seine Gattin sind, und dazu noch ein paar Quellen zu studieren, nicht bloß die linke „New York Times“, aus der die meisten deutschen Journos ihre Weisheiten über Amerika beziehen. Und – ffftttt – geht die Luft raus aus manchem Ballon, der gegen Trump aufgeblasen wurde. 

Das ist bitter, das tut weh. Mehr denn je gilt in deutschen Reaktionsstuben eine Parole, welche bei den legendären „St. Pauli-Nachrichten“ nicht nur zum Scherz gerufen wurde, wenn’s an der Redaktionstür klopfte: „Wer da – Freund oder Leser?“

Es wäre also nützlich für alle Schreib- und Sendekräfte, könnte man dem Leser beziehungsweise Zuschauer das ihm törichterweise mal eingeräumte Recht entziehen, seinen Senf zu den Darreichungen der Wahrheitsmedien abzudrücken. Aber wie?  Schon jetzt macht es in Leserkreisen böses Blut, dass bei Themen von Reiz in Blättern von betreuender Denkungsart die Kommentarpforten gar nicht erst geöffnet werden.

Arrogant, elegant und selbstironisch

Der Spiegel, nicht erst seit Relotius unter schärferer Beobachtung, arbeitet offenbar schon länger an dem Problem. Nach einem Bericht auf heise.de erlaubte SpOn im Jahre 2017 nur noch für die Hälfte seiner Artikel Kommentare – zwei Jahre zuvor durften noch 80 Prozent der Stücke mit teils ungnädigen Bemerkungen bedacht werden. Wie bei Menschen, die Cortison nehmen, gilt auch hier: langsam aus der Droge ausschleichen. 

Es kann nämlich zur Sucht werden, schlauer sein zu wollen als Redakteure, Kolumnisten, Reporter; schlauer mithin als die Dritte Gewalt, ach was: als die Zivilgesellschaft an und für sich. Möglich, dass in zehn Jahren oder fünf die letzte Kommentarfunktion abgewickelt wird. Dann blieben den ewig Langzähnigen, den notorischen Nörglern am Segen von Klimaschutz, Willkommenskultur und selbstfahrenden Elektroautos nur mehr die Alternativmedien, um sich auszumären.

Übrigens, wie halten es kleinere Portale mit Leserkommentaren? Ich habe aus dem Favoritenstadl meines Mac zwei herausgefischt, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf seinem Blog „Acta diurna“ beantwortete der rechtskonservative Autor Michael Klonovsky (er selber bezeichnet sich kokett als „reaktionär“) entsprechende Anfragen auf seine Art. Nämlich arrogant, elegant und selbstironisch zu gleichen Teilen:

Dieses Diarium ist wesenhaft monologisch ausgelegt. Sein Betreiber werkelt als Solist. Davon abgesehen, dass Kommentarfunktionen mit einigem Recht sogen. Trolle und agents provocateurs anlocken, regelmäßig eine unschöne Dynamik entwickeln, imagebezügliche oder gar juristische Scherereien eintragen können und deshalb unter redaktionelle Kuratel gestellt werden müssen, wofür ich weder Zeit noch Nerven habe, bin ich an dieser Form der Darbietung auch nicht interessiert. Ich freue mich über jede sachliche oder, wie die Deutsche Volkspolizei formuliert hätte, sachdienliche Zuschrift – und erfreulicherweise fallen 97 bis 98 Prozent der eingehenden Mails in diese Kategorie –, ich zitiere aus ihnen, wenn es mir passt, und ich würde gern mehr zitieren, so weit, so gut, aber ich will nicht, dass im Eckladen am Ende das Publikum mehr und lauter (und kundiger!) redet, als der Betreiber selber. Hier labert der Inhaber. My corner shop is my castle. Basta! 

Anders das Portal „Übermedien“. Dessen Betreiber heißt Stefan Niggemeier, sein Credo lautet: „Medien besser kritisieren“. Übermedien, ein linker Reparaturbetrieb des Lückenjournalismus, lässt Kommentare sogar dann zu (und macht sie auch sichtbar), wenn der Artikel dazu noch größtenteils hinter einer Bezahlschranke steckt, die erst später aufgehoben wird. Manche Stücke lese ich gern, zum Beispiel solche aus der Reihe „Schlagzeilenbasteln“

Die, nun ja, Diskussionen im Übermedien-Forum sind freilich entsetzlich. Entsetzlich voraussehbar. Meist hudelt ein Fanclub von „Stefan“, wie er dort schon mal ankumpelnd genannt wird, Lob & Anerkennung. Der Club besteht aus einer Schar von Beiträgern, die sich meist unter Nicks wie „Mycroft“ oder „someonesdaughter“ verbergen. Einem Leser, der die Usancen nicht kannte, entfuhr der Eintrag: „Ups. Ich dachte hier gibt es 30 Kommentare und lande auf einem Diskussionsforum von drei Personen.“

Gibt es hier keine Gestörten?

Verirren sich Leser, die etwas zu bemängeln haben, in Niggemeiers Mediengarage, setzt es sogleich Keile von der Stammmannschaft. Politisch Inkompatible werden als „Trolle“ geschmäht, welche ein „Derailing“ der Debatte im Schilde führten. Sprich, Argumente verwenden, welche die Übermedienblase nicht hören mag. Darob entgleist das Geschnatter dann wirklich. Manchmal schaltet sich der „Hausherr“ ein und barmt um Mäßigung, kündigt auch mal frustriert an, sich nunmehr aus dem Gequassel auszuklinken. 

Das alles ist dumm und traurig. Um es mit der Band „Supertramp“ zu sagen: How can you live in this way?

Dann schon eher die Klonovsky-Lösung. 

Jetzt höre ich Sie sagen (die Wendung habe ich von dem verstorbenen Michael Winner geklaut, Filmregisseur und Hobby-Gastrokritiker der „Sunday Times“): „Und was ist mit dem Leserforum auf der Achse des Guten?“

Gute Frage. Auch die Achse bildet ja eine Blase, wie jedes meinungsfreudige Medium. Mir fiel im Laufe der Jahre allerdings auf, dass die meisten Leserkommentare relativ zivilisiert formuliert sind, jedenfalls im Vergleich zu dem, was auf bestimmten anderen Websites abgeht. Zieht achgut.com weniger Schreihälse an? Gibt es hier keine Gestörten wie den „lowandorder“ von der Taz, die das Publikum mit ihren Meisen traktieren? Warum nicht? Weil zensiert wird?

Texte in Gedichtform 

Habe mich beim Leserbrief-Verantwortlichen der Achse erkundigt. Ja, es wird zensiert, gesiebt. Etwa 10 Prozent der Leser-Mails werden aussortiert. Wenn zum Beispiel keine korrekten Namen angegeben werden, Links im Posting stehen oder wüste Beschimpfungen der Autoren stattfinden. Texte in Gedichtform werden nicht veröffentlicht, ebenso keine „offensichtlichen Bullshitkommentare“. Ein technisch versierter Zeitgenosse mailt mit immer neuen IP-Adressen über Proxy-Server allerlei Unflat, die er in kopierte Kommentare anderer Achse-Leser einbaut, um so auf das Forum zu gelangen. Der Mann –  wenn es sich nicht um eine Frau oder irgendwas dazwischen handelt – macht erhebliche Anstrengungen, bislang jedoch vergebens.

Wem zur Achse inhaltlich nichts weiter einfällt als „nazi“, muss draußen bleiben. Ebenso, wer Wörter wie „Fotze“, „Schwanz lutschen“ oder ähnliche Galanterien benutzt. Sachliche Kritik an den Artikeln, auch wenn sie fundamental ausfällt, werde hingegen ungekürzt veröffentlicht, so der Forumskurator.

Das geht, finde ich, in Ordnung. Wünschte, es täte sich mehr Kontroverses im Kommentarbereich. Obwohl – kommen nicht die vom Süddeutschen Beobachter ohne Lesergelaber bestens aus? Ansonsten riskierten sie mit Teaserzeilen wie „Die Tat des Mannes, der einen Achtjährigen vor einen ICE schubste, hat nicht nur Anteilnahme, sondern auch Triumphgeheul ausgelöst“, die eine oder andere Watsche verpasst zu bekommen. 

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HaJo Wolf / 02.08.2019

Frage: wie stellt Achgut fest, ob es sich um „korrekte Namen“ handelt? Manch einer sieht doch ziemlich erfunden aus, was ich verstehe, denn nicht jeder kann sich leisten, offen seine Meinung zu sagen. Ansonsten finde ich den Kommentarbereich von Achgut, sehr zivilisiert, was viel über die Leser aussagt… [Anm. d. Red.: Natürlich kann Achgut nicht überprüfen, ob jemand tatsächlich »Peter Müller« heißt. Toleriert wird hier lediglich noch eine Abkürzung des Vornamens. Dagegen werden unter offensichtlichem Fake-Namen wie »Marilyn Monroe« abgegebene Kommentare nicht veröffentlicht.]

Arno Besendonk / 02.08.2019

Hier also unter dem Nickname der Supertrollin der Rheinischen Post, Winterwind, realitätsnahe Kommentare zu veröffentlichen (also das Gegenteil davon zu tun, was diese Dame auf rp-online so treibt) und sie damit zu ärgern funktioniert nicht? Schade. Erklärt aber auch das Verschwinden einiger Kommentare. Aber warum sollte man nicht unter einem Nickname schreiben? Wer nach einem unter seinem Namen veröffentlichten Leserbrief mal nachts um 11 von so einer von ihrer selbstgebastelten Aufgabe beseelten angerufen wurde, damals waren die Telefonbücher noch dicker,  und die Schwätzerin nicht mehr aus der Leitung bekommen hat, der wird sich hüten hier seinen Klarnamen zu veröffentlichen.

Rainer Kaufmann / 02.08.2019

Ich habe eine Idee für die finanziell darbenden MSM: Einfach die Kommentare, die die Zensur/Moderation ausgesiebt hat, in einen separaten Bereich ausgliedern. Quasi ein Darknet für Kommentare. Hinter einer Bezahlschranke. Das wär’s.

J. Polczer / 02.08.2019

Sehr geehrter Herr Röhl, tatsächlich liebe ich es ebenso die Kommentare zu lesen. Häufig sind sie sogar das einzige was ich noch konsumieren kann, ohne dass ich Magenschmerzen bekomme. Bei einigen Artikeln der “Zeit” oder “taz” ist dies mittlerweile genauso der Fall, wie bei der “Welt”. Ich denke, dass ein erwachsener Mensch selbst seinen Standpunkt bestimmen darf und deshalb nicht die Meinung von Medien zwangsläufig annehmen muss. Früher als Kind dachte ich nämlich, dass Zeitungen alles so sachlich korrekt darstellen würden. Wozu hatte der Lehrer mich früher denn sonst mit Berichten gefoltert? Zweifellos sind Journalisten auch nur Menschen, die ,wie die meisten Erdenbewohner mit eigener Sprache, Kritik meistens als unwillkommene Gratisprobe erachten.  Sei es drum. Für mich ist tatsächlich essenziell, ob ein Medium die Kommentarfunktion zulässt, da unwillkommene Stimmen so gar nicht in Erscheinung treten. In der heutigen Zeit, wo Journalisten gerne das ein oder andere Detail “doch lieber in der Schreibtischschublade lassen” sind die Stimmen der anderen Leser für mich zu einer bedeutsamer Informationsquelle geworden, die mit Hilfe des Internets gut recherchiert werden können.

Willy Kanz / 02.08.2019

Sehr geehrter Herr Röhl, was es dringendst bräuchte, wäre eine Webseite, auf der jeder die nicht-veröffentlichten, besser gesagt zensierten Kommentare der Allgemeinheit vorstellen könnte. Diese Seite sollte gegliedert sein nach Webseite und vielleicht auch noch separat eine Spalte zum Bekanntmachen der übelsten veröffentlichten Kommentare enthalten. Was mittlerweile an Zansur nicht nur bei SPON und ZON, sondern zB. auch in der Welt passiert, ist unglaublich. Mit freundlichen Grüßen W. Kanz  

Fred Anton / 02.08.2019

Schade, ich hatte mir etwas mehr Rechercheergebnisse erhofft darüber, ob und wie bei den „großen“ Medien wie SPON und Welt zensiert wird. Das wird dort auch von Briefautoren bemängelt. Auch die Antwort auf die Frage, wie viele Lesebriefautoren gibt es, immer dieselben, und welcher Couleur wäre interessant. Fred An

Andreas Rühl / 02.08.2019

Dann will ich die Funktion mal nutzen, solange es sie noch gibt… Ein Aspekt noch: die nationalchatakterliche Komponente. Der deutsche forenposter neigt dazu, seine Mitposter oder den Blogger nicht allein zu kritisieren, was sich bei politischen Aussagen normal ist, nein, er massregelt gerne, stellt in den Senkel. Das ist international ohne jedes Beispiel. Schauen Sie in ein englischsprachiges technikforum. Wenn dort ein User eine Frage stellt, wird die beantwortet, und wenn Sie schon 100 mal gestellt wurde. In einem deutschen forum heißt es dann, der User möge gefälligst die suchfunktion benutzen. Mitunter werden die nutzungsbedingungen mit Paragrafen zitiert. Auf keinen Fall wird die Frage beantwortet, selbst dann nicht, wenn das schneller und einfacher gewesen wäre als der anschiss. Geht dann der gemassregelte User in Sack und Asche, zeigt Reue, kann es sein, dass ihm sogar grossherziger verziehen wird. Das gibt es nirgendwo sonst in dieser ballung, zumindest ich kenne das nicht. Gute Frage, woran das liegt. Aber diese anschiss und massregel sucht fuehrt eben auch dazu, dass forenbeitraege im deutschen Sprachraum, gerade in politischen Blogs, häufig genug unangenehm sind. Ein ganzes Volk von Erziehern, verbal pruegelstrafe austeilenden, besserwisserischen, arroganten flegeln. Was der Verlust bürgerlicher Bildung uebrig gelassen hat, ist die selbstherrlichkeit und das oberlehrerhafte und querolatorische unseres volkscharakters. Schade irgendwie. Haette ich einen Blog, würde ich auf keinen Fall die Kommentarfunktion aktivieren. Bin nicht der schule entkommen, nur um mit das mit ueber 50 jetzt anzutun.

beat schaller / 02.08.2019

Da haben Sie recht Herr Röhl. Zu den Achse-Kommentaren kann ich nur sagen, dass ich selten in einem Medium so viele ergänzende Kommentare nachgereicht bekomme, die fundamental richtig und wichtig sind. Klar gibt es auch mal Ausbrüche von Hitzköpfen, zu denen ich mich ja auch zähle. Das ist aber gut so, denn dazu kann es auch mal einen korrigierenden Kommentar eines anderen Lesers geben.  Wichtig scheint mir, dass es auch hier eine echte Diskussion gibt und die ist Meinungsbildend und auch lehrreich. Das ist eher selten.  Dass man sich mit Mail und Namen anmelden muss ist wohl Teil der guten Basis. b.schaller

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