Cora Stephan / 11.07.2012 / 11:16 / 0 / Seite ausdrucken

Weil sie sich hier frei fühlen

Es war die Frage, die man angeblich nicht stellen darf, weil sie ja diskriminierend sei, die ihn zum Reden brachte: Die Frage, wo er denn herkomme? Aus Diyarbakir. Mehmet O. ist Türke. Nicht Hintergrund, sondern Vordergrund: So sah er aus und so sprach er auch, kein gepflegtes Deutsch, aber verständlich genug. Und er hatte viel zu sagen.
Dass man in der Türkei Kemal Atatürk, den Vorkämpfer der Republik und ersten Staatspräsidenten vergessen habe, den großen Reformer, der einst dafür sorgte, dass die Türkei ein säkularer Staat und der Einfluss der Religion zurückgedrängt wurde. Dass Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdo?an den Vater der Türken und seine Reformen verraten hätten. Dass daran die Religion schuld sei.
Also der Islam? Nein, das nicht, da wurde er leise. Aber die falschen Priester, die die Religion entstellt hätten.
Private Gespräche mit Berliner Taxifahrern sind gewiss keine wissenschaftliche Basis für weitgehende politische Aussagen.

Aber es gibt ein paar Evidenzen: Ahmed vom Gemüseladen in unserem Kiez redet ähnlich. Erst recht Hayder, der Vorzeigetürke vom Land, aber der ist ja auch Kurde und kann viele Gründe nennen, warum es ihm im deutschen Exil besser geht als “zu Hause”. Und dann seine Frau, die sich erst in Deutschland frei fühlt. Oder der Frankfurter Student, der sich mit Taxifahren was dazuverdient, auch er ein Türke, der mit Religion nichts am Hut hat, auch nicht mit dem Islam. Nein: Vor allem nicht mit dem Islam.
Reden wir mal nicht von der Zahnarzthelferin, die zur zweiten Generation türkischer Migranten gehört und so deutsch ist wie ihre Chefin, die Zahnärztin mit Diplom aus Marmara. Reden wir nicht von der Journalistin oder dem Werbemann und dem Uniprofessor oder dem Unternehmer mit “Hintergrund”. Alles Menschen, die deutsch sind und deutsch fühlen, ohne Familie, Herkunft und Geschichte vergessen (aber manchmal auch verraten) zu haben. Und reden wir vor allem nicht von den selbsternannten Stellvertretern: den islamistischen Missionaren, den ewig Klagenden und ewig Beleidigten, den Anklägern eines angeblich rundum ausländerfeindlichen Deutschlands. Oder von den weniger Privilegierten, Fremdgebliebenen oder Heimwehkranken, von all denen, die sich vom türkischen Ministerpräsidenten vertreten fühlen, obwohl sie nicht nur in Deutschland leben, sondern sogar deutsche Staatsbürger sind. Und reden wir mal nicht über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört.
Ach, und schweigen wir auch von diesem anderen Taxifahrer, der seinen Fahrgast “Faschistin” nannte, weil die es wagte, in seiner Anwesenheit mit einem anderen Fahrgast über “Ehrenmorde” zu reden, die sie fürchtete und deren Opfer sie bedauerte. Und der dem feige das Maul haltenden Mann fast um den Hals gefallen wäre, weil der so “tolerant” sei. Oder von jenem Journalisten, der sich bei der Buchmesse vordrängelte und, als man ihm das nicht zugestand, von Rassismus sprach, dafür seien die Deutschen ja bekannt.
Reden wir mal von dem, was Multikultiverfechter immer so schön bunt finden. Denn bei allem Streit um den verlogenen Kulturrelativismus, der davon lebt, Probleme lieber zu übersehen (als sie zu benennen, weil man sie lösen will): Es gibt sie natürlich, die bunte, die schöne Seite einer offenen Gesellschaft, in der Integration und Assimilation gar kein Thema sind, weil man sie entweder nicht will oder nicht braucht.
Da sind all die Italiener, die mindestens so schlecht Deutsch sprechen wie viele Türken, die Japaner, die das überhaupt nicht können, die Spanier, die charmant radebrechen, die Amerikaner, die Deutsch nicht lernen müssen, weil hierzulande jeder Englisch spricht. Sie respektieren ganz selbstverständlich Rechte und Gewohnheiten des “Gastlandes”, so fremd und bizarr ihnen das oft erscheinen mag. Und auch sie zucken nicht zusammen, wenn man sie nach ihrer Herkunft fragt. Denn was ist an Interesse diskriminierend? Und was könnte interessanter sein als die Lebensgeschichte und der kulturelle Hintergrund anderer Menschen? Gerade in Deutschland, wo man nicht zuletzt durch die lange Besatzungszeit an “Fremde” gewöhnt ist, kommt wohl kaum jemand auf die Idee, einem “Negerkind” ans Kraushaar zu fassen. Das dürfte einer Blondine in, sagen wir mal: Tansania, schon eher passieren. Empörte Reiseberichte, die den Tansaniern Rassismus vorwerfen, kenne ich nicht.
In Deutschland leben unzählig viele Menschen, die keine Deutschen sind und das auch nicht werden wollen. Und die weder erwarten oder verlangen, dass die ihnen vertrauten Bräuche und Überzeugungen ins Grundgesetz aufgenommen werden. Menschen, die keinen Zweifel an ihrer Integrationsfähigkeit lassen und deshalb auch kein Problem bereiten. Die man fast schamhaft verschweigt, weil sie ja “niedere Dienste” tun, für die sich Deutsche entweder zu fein fühlen oder wozu sie kein Talent haben. Sie gehören dazu und sie werden gebraucht: Wie die Frauen und Männer aus Osteuropa, ohne die es in Krankenhäusern und Restaurants trostlos zuginge. Wie die geschäftsmäßigen Japaner und ihr Tross, die Sushibuden und Asienläden. Wie die Polen, die zu den fleißigsten und besten Handwerker hierzulande gehören. Wie, ja, wie eben der ganze bunte Kramladen, den ein freier Markt mit sich bringt. Auf dem Markt ist man nicht beleidigt, wenn man nach dem Woher und dem Wohin fragt. Da kränkt es nicht, wenn einer sich mit Ganjitsu, Ramadan oder Pessach nicht auskennt. Markt ist ein Ort der Distanz und der Nähe zugleich, wo man nicht den “ganzen Menschen” fordert, sondern nur das, was er (freiwillig) zu bieten hat. Wer mehr will, muss Freundschaft suchen. Die findet man anderswo.
Ja, es gibt sie, “Ausländer”, die das auch bleiben (wollen), und die nicht auf das rassistische Wort von den “Biodeutschen” zurückgreifen, wenn sie Menschen meinen, die keinen “Migrationshintergrund” jüngeren Datums aufbieten können (über ihre diversen Migrationshintergründe aus vergangenen Jahrhunderten schweigen die meist höflichen Deutschen gern). Das Problem sind die Missionare und Lobbyisten, die sich als Opfer und Ankläger gerieren, um vom (deutschen) Schuldkomplex zu profitieren, und sie finden sich nicht eben selten in der zweiten, dritten Generation der Einwanderer. Doch das ist kein deutsches Phänomen allein - obwohl deutsche Selbstverachtung eine nützliche Blaupause liefert. Ein Blick nach Großbritannien belehrt darüber, dass das Schwierigste für jede offene Gesellschaft der missionarische Anspruch einer Religion ist, deren Prediger und Nutznießer in die Nischen drängen, die ihnen Freiheit und Toleranz bieten.
Die Islamkonferenz, von Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, ins Leben gerufen, war gewiss gut gemeint. Zugleich eröffnete sie Verbandsvertretern eine Plattform, die sich anmaßen, nicht nur für „alle Muslime“ zu sprechen, sondern auch für die, deren freier Wille es ist, muslimisch nicht mehr sein zu wollen.
Was findet ein freies Land wie unseres attraktiv an der autoritären Ordnung, die der Islam verspricht? Ist man die eigene Freiheit leid geworden, mitsamt der Freiheiten, die wir uns herausnehmen dürfen? Brauchen wir Schutz durch (religiöse) Führung?
Dann sollten wir uns allerdings klarmachen, dass wir damit all jenen Schutz entziehen, die ihn nötiger haben als wir: Denjenigen, die sich der Vereinnahmung durch Religion und die Gemeinschaft der Gläubigen entziehen wollen. Wir verweigern denen die Stimme, die nach Deutschland kommen, weil sie sich hier frei fühlen. Das tun sie hoffentlich noch lange.

In: Welt am Sonntag, 8. Juli 2012. Siehe auch bLogisch.

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