Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein höchst erstrebenswertes und immer noch nicht ganz erreichtes Ziel. Aber der aktuelle – man muss schon sagen: Sprachterror –, mit dem eine verbohrte Ideologenclique ganze Stadtverwaltungen und Universitäten überzieht, ist der falsche Weg dahin.
Keine Frage: Das frühere „Fräulein“ ist zu recht verschwunden, und wenn ich auf der Weihnachtsfeier der Bäckerinnung Heidelberg den Festvortrag halte, dann begrüße ich die Anwesenden natürlich mit „Meine lieben Bäcker und Bäckerinnen“. Aber eher würde ich mir meine Hand abschneiden, als vom Bäcker- und Bäckerinnenhandwerk zu schreiben.
Einmal spreche ich konkrete Personen an, und einmal rede ich abstrakt über einen Beruf. Generell spricht nichts dagegen, beim Schreiben oder Reden über konkrete Menschen, wenn nötig, auch sprachlich festzuhalten, dass darunter Männer wie Frauen vertreten sind: Beim letzten Seifenkistenrennen des Bäckerhandwerks belegten die Bäcker und Bäckerinnen aus Heidelberg den zweiten Platz.
Der Irrtum vom grammatikalischen Geschlecht
Im Prinzip aber umfasst „Bäcker“ die diesem Handwerk obliegenden Männer und Frauen gleichermaßen. Der Bäcker ist das altbekannte generische Maskulinum, das allerdings wie das „grammatische Geschlecht“ allein schon durch seinen Namen für Verwirrung sorgt. Rein sprachwissenschaftlich gesehen handelt es sich hier um verschiedene Schubladen, in welche fast alle indogermanischen Sprachen die Welt einsortieren, etwa belebte Dinge in die eine und unbelebte in die andere. Warum nennen wir die Schubladen nicht X und Y? Und einige Sprachen kennen für Abstrakta wie das Denken oder das Vergessen auch noch eine dritte Schublade Z.
Der Begriff des grammatischen Geschlechts für diese Sortierfächer ist eine unglückliche Übersetzung des deutschen Barock, da kreierten deutsche Grammatiker für den Fachausdruck „Genus“, wie man diese Schubladen in der Sprachwissenschaft benennt, das „grammatische Geschlecht“ und nannten die Artikel der, die, das „Geschlechtswörter“. Eine genauso irreführende Falschbenennung. Dass sogar große Gelehrte wie Jacob Grimm hier eine tiefere Bedeutung hineingeheimnissen wollten, macht die Sache auch nicht besser. Auf jeden Fall steckt seitdem die Verbindung zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht in den Köpfen fest.
Nochmals größer wird die Konfusion dadurch, dass das biologische Geschlecht auf viele Begriffe in seiner Nähe abfärbt. In einer Schublade mit Lavendel riechen die Unterhemden und Taschentücher auch nach Lavendel. Und in einer Schublade mit Kettenöl nach Kettenöl. So haben Sprachwissenschaftler herausgefunden, dass Franzosen und Spanier bei dem Wort „die Brücke“ an andere Dinge denken als Deutsche: „Le pont“ und „el puente“ sind dort in der gleichen Schublade wie der Mann, bei Brücke denkt man an bedrohlich, steil.
In Deutschland dagegen assoziiert man mit Brücke gerne Adjektive wie „geschwungen“ oder „leicht“. Damit hat also die Metapher vom Brückenbauen in unseren südwestlichen Nachbarländern nicht unbedingt die gleiche hoffnungsstiftende Bedeutung wie bei uns, da denkt man vielleicht eher an Attacke. Aber diese Nebenwirkungen werden wir nur los, wenn wir auch die biologischen Geschlechter loswerden oder soweit angleichen, dass auch Männer Kinder kriegen. Solange riecht ein Wort mit „der“ nach Mann und ein Wort mit „die“ nach Frau.
Eher esse ich meine Bibel
Das gilt aber im Wesentlichen nur für unbelebte Dinge. Bei belebten verschwindet der Geruch sehr schnell, wenn uns die Erfahrung eines Anderen belehrt. Jedenfalls sagt die Koexistenz in der gleichen Schublade mit „Männer“ oder „Frauen“ nichts über das biologische Geschlecht von Mitgliedern einer Mensch-Gattung aus. Auch in der Frauen-Schublade finden sich seit langem Personen wie die Frohnatur, die Dumpfbacke oder die Betriebsnudel, mit denen man auch Männer meint. Und die meisten denken bei der Dumpfbacke sogar zuerst an einen Mann. Aber der zentrale Sachverhalt, dass diese Benennungen, wie die Sprachwissenschaftler sagen, „generisch“ sind und nichts mit dem biologischen Geschlecht der so bezeichneten Personen zu tun haben, bleibt weiterhin bestehen (und ist, nebenbei gesagt, auch ein bisher viel zu wenig beachteter Vorteil in der Paralleldebatte über dritte, vierte und fünfte biologische wie über soziale Geschlechter sowie sämtliche sogenannten sexuellen Orientierungen: das Generikum bezeichnet alle).
Dieses generische Femininum ist zwar weniger verbreitet als das maskuline Gegenstück, aber man frage doch mal zehn zufällig ausgewählte Bundesbürger, ob sie bei dem Wort „die Schnapsdrossel“ eher an Männer oder an Frauen denken, und es wird klar, dass das „Geschlechtswort“ der oder die vor einer Personenbenennung keinen sicheren Rückschluss auf deren biologisches Geschlecht erlaubt. Der Held ist und bleibt eine Person, die sich durch heldenhaftes Verhalten auszeichnet, egal ob Mann oder Frau. Das beliebte Standardargument, Frauen wären hier nur „mitgemeint“, wird auch durch 1000-maliges Wiederholen nicht richtiger. Sprache meint nie etwas, Menschen meinen. Und wenn Menschen meinen, der Held wäre ein Mann, dann muss man eben diese Meinung ändern. Einfach, indem mehr Frauen Helden sind. Viele Kinder in Deutschland meinen, der Bundeskanzler wäre immer eine Frau.
Dass in den bekannten Trivialstudien die Befragten mehr Männer nennen, wenn man sie nach ihren Lieblingsautoren fragt, ist doch klar: Im bisherigen Verlauf der Menschheitsgeschichte waren Autoren überwiegend Männer. Zumindest diejenigen, über die geredet wurde. Also denkt man beim Wort „Autor“ erst mal an Männer. Genauso denken wir, obwohl es inzwischen in Deutschland mehrere Dutzend Männer gibt, die diesen Beruf ausüben, bei dem Wort „Hebamme“ zuerst einmal an Frauen. Die Frage nach „Autoren und Autorinnen“ ist eine Kurzfassung der Info: „Nicht vergessen: auch Frauen schreiben Bücher.“ In diesem Sinn spricht sicher nichts dagegen, in Kontexten, wo der weibliche Anteil wichtig ist, von „Patienten und Patientinnen“ oder „Mördern und Mörderinnen“ zu sprechen. Aber eine Patienten- und Patientinnenverfügung? Niemals. Nero und die Christen- und Christinnenverfolgung? Eher esse ich meine Bibel. Oder „Proletarier und Proletarierinnen, vereinigt euch?“ So hätte es die Oktoberrevolution in Russland nie gegeben.
Neuer Tatbestand der Kulturkriminalität
Der aktuelle Kampf um der, die das, die BäckerInnen und den Genderstern erscheint mir zuweilen wie das letzte Aufbäumen einer vor wenigen Jahrzehnten noch die Hälfte der Welt beherrschenden linken Gewaltideologie, die in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft krachend gescheitert ist. Wenn man den Menschen schon nicht mehr vorschreiben darf, was sie zu kaufen und zu produzieren haben, dann will man wenigstens das Denken kontrollieren. Genderwahn und Linksgesinnung sind zwei Seiten der gleichen Münze, und es ist auch leicht zu sehen, warum das eine so erfolglos und das andere so erfolgreich ist. Anders als die traditionelle linke Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik profitiert die Genderbewegung von einem durchaus berechtigten schlechten Gewissen der Männer, die ja tatsächlich hunderte von Jahren von Frauenunterdrückung zu verantworten haben, und der Feigheit zahlreicher politischer Amtsträger und Unisenatoren, die sich aus Angst vor dem Gekreische von ein paar Dutzend durchgeknallter Kampflesben wie der Bär am Nasenring durch die Manege ziehen lassen.
Leider ist es aber nicht damit getan, dies als kostenlose Zirkusvorführung abzutun. Denn die deutsche Sprache geht dabei kaputt. Eine hochkomplexe Sprache wie das Deutsche funktioniert wie eine Rolexuhr, in der man keine Schraube verdrehen kann, ohne dass die ganze Mechanik alias die Grammatik durcheinander gerät. Es reicht ja nicht, bei Hauptwörtern zu gendern, auch die Pronomen, Präpositionen und Adjektive und alles, was damit grammatikalisch zusammenhängt, sind mitzubedenken: Wer hat seinen Lippenstift im Bad vergessen? Sollen wir stattdessen sagen: Wer hat ihren Lippenstift im Bad vergessen? Missverständlich. Oder das Fragepronomen „Wer“ durch etwas anderes ersetzen? Ja, durch was denn?
Mir kommen diese sprachhandwerklich oft unbedarften Eingriffe von Menschen, die es ansonsten gerne sehr genau nehmen, wie Versuche vor, eine solche Rolex mit Hammer und Meißel (oder besser: Hammer und Sichel) auf Vordermann zu bringen. Dergleichen Eingriffe funktionieren vielleicht bei einer Kunstsprache wie Esperanto, die man auf dem Reißbrett quasi freihändig entwirft. Aber bei einem in mehr als 1.000 Jahren gewachsenen, mit vielfältigen Verästelungen und Querverbindungen durchwobenem organischen Gebilde können solche Eingriffe nur in Katastrophen enden. Und wenn man sich diverse Verlautbarungen amtlicher Stellen in Hannover, Berlin oder Lübeck einmal ansieht, ist die Katastrophe ja auch schon da. Die „Fußgehendenbrücke“, der/die „Patient/innenanwalt/wältin“ – da tut einem ja der Kopf weh. „Nur jede/r sechste Wissenschaftler/in ist eine Frau.“ Bei derartigen Satzgebilden ist man versucht, auf eine Änderung des Strafgesetzbuches mit einem neuen Tatbestand der Kulturkriminalität zu drängen.
Dem Deutschen aufgezwungene Sexualisierung
Wir wirklich den Frauen etwas Gutes tun will, sollte das auf andere Weise tun. Wenn in einigen Jahren bei dem Spruch „Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ fast alle Menschen bei den Wörtern Arzt und Apotheker vor allem an Frauen denken, ist das kein Erfolg der Genderlobby, sondern eine Konsequenz der Tatsache, dass Frauen ohne alle Hilfe von Sprachverhunzern, allein aufgrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, in diesen Berufen sehr erfolgreich sind. Also gilt es, diese Rahmenbedingungen zu verbessern. Gleiches Geld für gleiche Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Man könnte zum Beispiel alle Gleichstellungsbeauftragten entlassen und mit den eingesparten Gehältern zusätzliche Kitaplätze finanzieren. Auf diesem Weg zur vollen Gleichberechtigung kommen wir jedenfalls keinen Zentimeter weiter, wenn die Sparkasse Saarbrücken ihre Klienten mit „Kunden und Kundinnen“ anspricht. Zum Glück wurde dieses Ansinnen vor Kurzem höchstrichterlich verworfen. Diese durch die Gendersprache dem Deutschen aufgezwungene Sexualisierung, der bislang nicht vorhandene Zwang, bei Personen immer auch das Geschlecht zu denken, ist vielleicht sogar für Frauen eher schädlich, von den sonstigen desaströsen Konsequenzen für eine kultivierte, nuancenreich und melodische Sprache völlig abgesehen.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein, sagte schon Karl Marx, und nicht umgekehrt. Nicht die Etiketten sind wichtig, sondern das, was darunter steckt. Und so denken unsere Urenkel als Folge einer auch im Haushalt bis dann hoffentlich etablierten Gleichberechtigung beim Wort „der Putzteufel“ vielleicht dann auch an Männer.
Dieser Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung zuerst im Cicero.