Leider scheint es der Klimakatastrophenhysterie gar nicht gut zu gehen. Wenn die Umfragen Recht haben, dann glauben immer weniger Leute, dass wir mit unserem frivolen Lebenswandel – Kohlendioxid und so – der Erde dermaßen einheizen, dass bald die Polkappen abschmelzen und der Kölner Dom unter Wasser steht. Es hat sich herumgesprochen, dass die Weltuntergangsszenarien eigentlich nur im Computer stattfinden, das Klima eine komplizierte und chaotische Angelegenheit ist und die einschlägigen Wetterfrösche nur durch grobe Datenfälschung dazu in der Lage waren, uns die Öko-Apokalypse zu prophezeien. Jawohl, es steht zu befürchten, dass die „Klimakatastrophe“ einen stillen Tod in den Archiven der Wissenschaft sterben wird – genau wie das Waldsterben (erinnern Sie sich?), genau wie die bibbernde Angst, dass eine neue Eiszeit bevorsteht (wissen Sie noch?). Und das ist jammerschade. Das Klimakatastrophendogma war nämlich, wenn man es einmal ohne Vorurteile betrachtet, ungeheuer nützlich.
Zum Beispiel hat es ein paar Grüne dazu verführt, sehr vernünftige Dinge zu sagen. Nehmen wir Stewart Brand, der selbstverständlich aus Kalifornien stammt, dem amerikanischen Bundesstaat, in dem per Quadratkilometer mehr Freaks und Genies wohnen als auf jedem anderen Flecken Erde. Brand war in seinen jungen Jahren der amerikanische Vorzeigegrüne. 16 Jahre lang hat er den „Whole Earth Catalogue“ herausgegeben, ein Magazin, das von Sorge um die gesamte Biosphäre (darunter tun die Herrschaften es ja nicht) geprägt war. Selbstverständlich wurde dort das Hohelied der Solar- wie der Windenergie und der organischen Landwirtschaft gesungen. Jetzt aber wurde Stewart Brand durch die akute Furcht vor dem Klimakollaps dazu gezwungen, noch einmal und radikal neu nachzudenken. Das Resultat dieses Umdenkens: sein Buch „Whole Earth Discipline“, das in dem herrlich kalifornisch-meschuggenen Satz mündet: „Wir sind wie Götter und MÜSSEN es schaffen, darin gut zu werden.
Vorher aber stellt sich in „Whole Earth Discipline“ die Frage, wie er nur so verblendet sein konnte – vor allem, was die Atomkraft betrifft. „Warum habe ich so lange gebraucht?“, schreibt er und rauft sich die Glatze. „Wenn ich nicht so faul wäre, hätte ich die Wahrheit über die Atomenergie längst recherchieren können.“ Hier das Ergebnis der Recherche (in Stewart Brands eigenen Worten): „Die Furcht vor der Radioaktivität ist ein viel ernsteres Gesundheitsproblem als die Radioaktivität selbst.“ Außerdem: „Reaktorsicherheit ist ein Problem, das gelöst wurde.“ Auch die Frage, was man denn um Himmels willen mit dem nuklearen Abfall anstellen soll, ist längst keine mehr. Teure Endlagerstätten brauchen wir heute „ungefähr so nötig wie einen Hochsicherheitstrakt für gefährliche Außerirdische“. Vielleicht das wichtigste Argument für die Atomenergie: Sie ist nicht nur im Vergleich zu den Alternativen die billigste Stromquelle, wenn man darauf verzichten will, Kohle zu verfeuern – es handelt sich überhaupt um die billigste Art der Stromerzeugung. Punktum. Wissenschaftler sprechen sich in Umfragen „unweigerlich immer wieder in hohen Zahlen“ für Atomenergie aus. Brand ist übrigens nicht der einzige Grüne, der in dieser Frage eine rabiate Kehrtwendung gemacht hat. Er zitiert James Hansen, den Klimaexperten der NASA, der bekanntlich nimmermüde fordert, die Industrieländer müssten ihren Ausstoß von Kohlendioxid drastisch reduzieren. Hansen schrieb laut Brand: „Eine der größten Gefahren, die der Welt drohen, besteht in der Möglichkeit, dass eine stimmkräftige Minderheit von Anti-Atomkraft-Aktivisten die Stilllegung von Kohlekraftwerken verhindert.“
Darf man so etwas in Deutschland überhaupt laut sagen? Schließlich hat jene „stimmkräftige Minderheit von Anti-Atomkraft-Aktivisten“ hierzulande dafür gesorgt, dass die letzten verbliebenen Atomkraftwerke in teuren Schrott verwandelt wurden. Statt dass man noch ein paar Dutzend dazugebaut hätte. Was für ein gewaltiger Unsinn. Was für ein Verbrechen an der Nachwelt! (Und dass diese verfehlte Politik unter einer deutschen Bundeskanzlerin fortgesetzt wird, die mal Physik studiert hat, ist ein schlechter Witz.) Schauen wir der bitteren Wahrheit ins Gesicht: Jene Leute, die den „Atomkraft-Nein-Danke“-Aufkleber auf den Augen tragen, haben uns wahrscheinlich noch einmal 40 Jahre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beschert. Vertane Zeit, verlorene Chancen, vergeudete Ressource. Unter uns können wir ja offen reden: Die Öko-Fuzzis haben vollkommen Recht, wenn sie sagen, die westlichen Industrieländer sollten nicht mehr so viel Kohlendioxid in die Luft blasen. Das bedeutet, dass wir unsere Abhängigkeit vom Erdöl beenden müssen. Wie lange wollen wir eigentlich noch zwielichtige Diktaturen (Russland, Venezuela) und finstere Theokratien (Saudi-Arabien, Iran) alimentieren, indem wir teures Geld für Heizung und Treibstoff bezahlen? Im Übrigen kann man aus Öl viel zu wunderbare Dinge herstellen, als dass man das kostbare Zeug verfeuern sollte. Und was passieren kann, wenn bei der Ölförderung etwas schief geht, kann man derzeit im Golf von Mexiko besichtigen. Wir sollten unsere Stimmen also, nachdem wir uns gehörig geräuspert haben, zu dem Rufe geschmeidigen: Nieder mit der Ölindustrie, nieder mit der Kohle!
In diesem Zusammenhang mag die Information hilfreich sein, dass Elektroautos cool sind. Der Schreiber dieser Zeilen hatte vor ein paar Wochen die Gelegenheit, sich in einem „Tesla Roadster“ durch Silicon Valley kutschieren zu lassen. Der „Tesla Roadster“ ist ein kleiner roter Sportflitzer, der in vier Sekunden von 0 auf 100 beschleunigt. Über Nacht hängt man das Auto mit einem Stromkabel an eine ganz normale Steckdose, eine „Tankfüllung“ kostet in Kalifornien ungefähr sechs Dollar. Danach fährt der „Tesla Roadster“ 380 Kilometer weit, ohne dass man ihn neu aufladen müsste. Im nächsten Jahr kommt „Tesla“ mit einem Familienauto heraus, das nicht ganz so schnell fährt wie der Sportflitzer, dafür aber Platz für sieben Leute bietet und nach einer Nacht am Stromnetz 483 Kilometer weit kommt. Es geht gar nicht darum, Werbung für eine einzelne Firma zu machen. Es geht hier um den zarten Hinweis, dass die technischen Probleme des Elektroautos allesamt gelöst sind: Es fährt schon. Sobald man in einem solchen Gefährt sitzt, kommen einem die Benzinkutschen, zwischen denen man sich im Straßenverkehr elegant durchschlängelt, beinahe schon rührend altertümlich vor. Freunde, das ist (wenn alles gut geht) die Zukunft: Elektrisch betriebene Autos, die an Steckdosen hängen, die von Atomkraftwerken beliefert werden. Stewart Brand in Kalifornien hat das längst begriffen. Warum nur sind die deutschen Grünen sämtlicher Parteien so schwer von Kappee?
Es wurde schon oft bemerkt, dass die Klimakatastrophobie verdächtig an eine Religion erinnert – item: Der Mensch ist gefallen, er ist sündhaft, er bedarf der Reinigung, er muss mit gewissen rituellen Handlungen die Umweltgötter besänftigen – die Apokalypse dräut am Horizont. Weniger häufig wird darauf hingewiesen, dass man von Religionen auch einen rationalen Gebrauch machen kann. Nehmen wir den Philosophen Baruch de Spinoza. Er hat in seiner „Ethik“ und seinem „Tractatus Theologico-Politicus“ die historischen Fundamente des Juden- und des Christentums gleichzeitig in die Luft gesprengt. Gleichwohl hielt der Philosoph dafür, dass man die Texte der traditionellen Religionen (die Thora, das Neue Testament, den Koran) dazu verwenden könne, um die Massen ein halbwegs vernünftiges Verhalten zu lehren. Laut Spinoza ist nicht jeder ungebildete Bauer dazu fähig, auf die leisen Argumente der Vernunft zu hören. Aber eine apokalyptische Strafpedigt wird ihn vielleicht trotzdem davon abbringen, seinem Nächsten an die Gurgel zu gehen. Vielleicht lässt sich ja – im Sinne Spinozas – auch die Ökoreligion zu einem guten, einem philosophisch einwandfreien Zweck einsetzen. Möge also jeder Zweifel am Abschmelzen der Polkappen (beider Polkappen!) verstummen. Mögen die Unheil verkündenden Computerdaten studiert und ausgelegt werden wie Heilige Schriften. Möge uns allen ein gewaltiger Schrecken in die Glieder fahren. Und wenn die Kanzeln, von denen herunter heute noch die grünen Oberpriester donnern, morgen verwaist daliegen, müssen eben schweren Herzens die Ökoskeptiker und Rationalisten sie besteigen. Denn ohne die Furcht vor dem Weltuntergang schaffen wir wahrscheinlich nie, das zu tun, was heute notwendig ist. Unsere immergrüne Parole laute: Baut zwei, drei, viele Atomkraftwerke!