Hannes Stein / 08.01.2013 / 19:14 / 0 / Seite ausdrucken

Shylock

Aber man wird Shylock doch noch kritisieren dürfen! Schließlich ist es nicht nett, nicht wahr, dass er vom Wucher lebt. Es widerspricht den fundamentalen Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit.   

 

Wissen Sie überhaupt, was die ersten drei Worte von Shylock sind? „Three thousand ducats.“ Sprechen Sie das einmal aus, da fliegt der Speichel nur so durch die Gegend! Shylock besteht überhaupt aus Speichel.

Man ist doch kein Antisemit, wenn man das einmal objektiv feststellt! Und wie er dann seine Tochter behandelt. Als ob sie sein Besitz wäre. Man wird doch noch kritisieren dürfen, wie orthodoxe Juden mit ihren Töchtern umgehen! Gerade wir als Deutsche haben da eine besondere Verantwortung.

Schon gut, Shylock hat ja recht, wenn er darauf besteht, dass Juden auch Menschen sind. „Hath not a Jew eyes? hath not a Jew hands, organs, dimensions, senses, afflictions, passions? ... if you prick us, do we not bleed? if you tickle us do we not laugh? if you poison us do we not die?“

Bitte, das hat ja auch niemand in Abrede gestellt. Aber dann kommt naturgemäß gleich wieder diese alttestamentarische Rachelogik hinterher: „And if you wrong us shall we not revenge?“, fragt Shylock, natürlich ist es eine rhetorische Frage. Dann steigert er sich in einen Wutanfall hinein. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Man doch noch sagen dürfen, dass das falsch ist. Unchristlich. Unaufgeklärt. Es passt einfach nicht zu unserer Gesellschaft. Und am Schluss diese Sache mit dem Pfund Fleisch.

Also, da muss doch jeder anständige Mensch was gegen sagen. Also, das ist ja ... also, unerhört ist das. Also, dass dieser Shylock darauf besteht, dem ehrlichen christlichen Kaufmann Antonio ein Stück Fleisch aus dem Leib zu schneiden, weil der seine Schulden nicht bezahlen kann. Also, wo hat man so was denn schon gehört.

Ich sage es ganz offen, wie es ist. Wenn er nicht den Judenbonus hätte, würde man diesen Shylock einen Barbaren nennen. Einen satanischen Blutsauger. Musste einmal gesagt werden. Ich nehme es auf mich, das für uns alle hier auszusprechen.

Noch etwas Anderes ist unbestreitbar: dass Shylock von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden ist. Okay – so ganz ordentlich vielleicht nicht, aber doch immerhin von einem Gericht! Mit einer bezaubernden verkleideten Dame an der Spitze. Und zwar im Namen der christlichen Liebe und Nachsicht: „The quality of mercy is not strain´d, it droppeth as the gentle rain from heaven ...“

Sie müssen zugeben, das ist lyrisch! Und am Schluss legt der Jude sein Judentum ab, er sagt: „I am content.“ Ich bin´s zufrieden.

Na also. Geht doch.

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