Gastautor / 11.09.2010 / 16:33 / 0 / Seite ausdrucken

„Warum die schwarze Antwort des Hasses?“

Dankesrede von Esther Schapira bei der Verleihung des Theodor Lessing Preises durch die Deutsch-Israelische Gesellschaft in Hannover:

Ich freue mich über diese hohe Auszeichnung und ich verspreche, mich zu bemühen ihrer und des Namensstifters würdig zu sein. Vielen Dank an alle, die mir diese besondere Ehre heute Abend zuteil haben werden lassen. Und ich danke Nikolaus Brender für seine eindrucksvolle Laudatio, eine Auszeichnung zur Auszeichnung.

Ich gestehe aber auch: es gibt Momente in meiner täglichen Arbeit, in denen ich mir unsicher bin, ob sich Streitbarkeit, ob sich Einmischen lohnen, ob sich so wirklich etwas bewirken lässt, ob die gerade so klug beschriebene Aufklärung wirklich eine Spur hinterlässt in den Köpfen der Zuschauer und Leser. Manchmal, wenn die Puste nicht mehr reicht, stellt sich die Frage. Ganz kurz. Und ist auch gleich wieder vorbei, nicht zuletzt dank derer, die mir helfen beim Luft holen und weitermachen, die mich unterstützen und mich anspornen bei meiner Arbeit.

Das sind zuweilen Zuschauer, die sich melden. Das sind aber vor allem Freunde und Familie. Und deshalb möchte ich die Gelegenheit auch nutzen, um mich bei ihnen allen zu bedanken. Allen voran Georg M. Hafner, mit dem ich seit vielen Jahren an genau dieser Aufklärungsfront streite und arbeite, der mich immer ermutigt hat und mit dem ich viele der Filme und Publikationen, die jetzt zu dieser Auszeichnung geführt haben, gemeinsam gemacht habe. 
Und da sind natürlich all jene Mitstreiter, die sich unermüdlich für die Aufklärung und gegen die Dummheit engagieren. Menschen wie mein verehrter Vorgänger als Preisträger, Wolf Biermann, oder unabhängige Geister wie Leon de Winter oder Henryk M. Broder und erfreulich viele andere.

„Die Presse hat … die Aufgabe Gras zu mähen“, meinte der großartige österreichische Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Polgar, nämlich Gras, „das über etwas zu wachsen droht“. Ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Polgars droht über die Aufgabe des Grasmähens ihrerseits Gras zu wachsen, weil viel zu viele Menschen gar nicht wollen, dass Gras gemäht wird. Vor allem nicht, wenn es um die deutsche Vergangenheit geht und die Verantwortung, die daraus für die Gegenwart erwächst. Applaus-umtost hatte Martin Walser ein Ende „dieser Dauerpräsentation unserer Schande“ gefordert. Erfolgreich gefordert. Der 9. November etwa ist im kollektiven Bewusstsein der Tag des Mauerfalls und nur wenige, hartnäckige Spaßbremsen erinnern noch an den 9. November 1938.  Störenfriede. Ruhestörer. „Als die wirklich Unbelehrbaren, Unversöhnlichen, als die geschichtsfeindlichen Reaktionäre im genauen Wortverstande werden wir dastehen, die Opfer, und als Betriebspanne wird schließlich erscheinen, dass immerhin manche von uns überlebten“, schrieb der Auschwitz-Überlebende Jean Améry 1966.

Doch warum rede ich hier überhaupt von Juden und den nationalsozialistischen Verbrechen, wo es doch um eine Auszeichnung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, also um das Verhältnis zweier Länder zueinander geht?

Weil eben das eine vom anderen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht getrennt wird, weil es emotional unauflösbar miteinander verbunden ist. Weil für Israel heute gilt, was für Juden schon immer galt: „Israel steht unter anderen Gesetzen der Beurteilung als andere Völker der Welt; ob wir nun wollen oder nicht – was wir Israelis tun, vollzieht sich auf einer Bühne – unser Los hat sie gezimmert. Art und Unart anderer Völker wird selbstverständlich hingenommen. Aber alle Welt darf auf Publikumssitzen lümmeln und Israel anstarren (…) und wehe, wenn wir nicht als Halbgötter über die Szene schreiten.“ 

Diese Sätze stammen von Richard Beer-Hofmann, aber auch das ist nicht ganz richtig, denn er schrieb sie 1913, also lange vor der Shoah und lange vor der Staatsgründung Israels. Und da, wo ich „Israel“ eingesetzt habe, steht im Original „Jude“, aber das eine ist so wahr wie das andere.
Israel wird mit anderen Maßstäben beurteilt als jedes andere Land, so wie es für Juden kein Entrinnen aus dem „magischen Judenkreis“ gibt, wie es Ludwig Börne nannte. Stets sind die Kriterien der Beurteilung andere, wird mehr und besseres, eine höhere Moral erwartet, ganz so, als ob Verfolgung, als ob Auschwitz eine Schule der Menschlichkeit gewesen wäre – für die Opfer.

Dass geschlagene Kinder häufiger selbst schlagen als Kinder, die keine Gewalt erfahren haben, ist eine psychologische Binsenweisheit. Strafmildernd wirkt sich deshalb die schwere Kindheit eines Gewaltverbrechers oft auf sein Urteil aus. Auch bei romantisch verklärend „Aufständische“ genannten Terrorbewegungen führt die Erfahrung politischer Unterdrückung zu verständnisvollen Abschlägen in der öffentlichen Empörung.

Nur bei Israel gelten andere Moralgesetze. Kaltes Urteil und kein einfühlendesVerständnis.

Über 1000 Israelis wurden bei Terroranschlägen getötet. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl wären dies über 15 000 Terrortote in Deutschland. Ich wage nicht, mir vorzustellen, in welchem Zustand unsere Demokratie dann wäre und wie etwa die Grenze zu Österreich aussähe, wenn alle Terroristen über diese Grenze gekommen wären.

Dabei führt kein anderes Land einen solchen Existenzkampf, ist jeder Krieg eine Frage des Überlebens. Auch das ist Teil der komplizierten Wahrheit des Nahostkonflikts.

Sie zeichnen mich heute dafür aus, dass ich Gras mähe, indem ich u.a. versuche, Wahrheiten zu recherchieren und zu verbreiten, die in der Berichterstattung über Israel gerne wegfallen, weil sie nicht ins Bild passen, das Zuschauer und Journalisten im Kopf haben.  Zwar gilt grundsätzlich, dass viele Zuschauer oder Leser auf der Suche nach der Bestätigung für vorgefasste Meinungen sind und Journalisten viel zu häufig willige Bildbeschaffer sind für die Bilder im Kopf – auch die eigenen. Doch selten tritt diese Wechselwirkung so offen zutage wie im Nahostkonflikt. Und selten sind Journalisten so willig dabei, diese Rolle zu spielen, weil sie eben vielfach übereinstimmt mit der eigenen Haltung.

Und so kann, wer wacker den Mainstream des Israel-Bashing bedient, sich des Applauses sicher sein und sich zugleich als mutigen Querdenker feiern lassen, denn angeblich ist es in Deutschland tabu, Israel zu kritisieren. Tatsächlich aber existiert dieses Tabu zum Glück längst nicht mehr, so es überhaupt je galt. Viel mehr Gegenwind erfährt dagegen jeder, der sich öffentlich positiv über Israel äußert.

Wenn bei einer netten Abendeinladung das Gespräch nach ein, zwei Wein auf Israel kommt, dann wird mir – wenn der Kreis der Gäste groß und nicht zu vertraut ist – mulmig. Ich fürchte, einmal mehr mit der „unerträglichen Besserwisserei der Wenig-Wisser“, wie Wolf Bierman es so trefflich nannte, konfrontiert zu werden und mit jener anmaßenden Kälte, die jedes Verständnis von vornherein unmöglich macht.

„Warum die schwarze Antwort des Hasses auf Dein Dasein, Israel?“ fragte die Dichterin Nelly Sachs verzweifelt.

Ich gestehe: mich macht die Schwärze des Hasses oft sprachlos. Wie soll ich reden von meiner tiefen Sorge um die Zukunft dieses kleinen Landes und seiner Bevölkerung angesichts der Existenzbedrohung durch feindliche Nachbarn, religiöse Fanatiker, eifernde Politiker und Kriegsdrohungen aus dem Iran?

Wie kann ich vermitteln, dass die von allen so selbstverständlich geforderte Zwei-Staaten-Lösung voraussetzt, dass beide Völker die Existenz des anderen nicht als temporäre Zwischenlösung bis zur Erreichung des eigentlichen Ziels, der Auslöschung des anderen, ansehen?

Und wie kann ich verständlich machen, dass es sich nicht einfach als politische Ausflucht abtun lässt, wenn ein Volk, das schon einmal knapp der Vernichtung entronnen ist, die Morddrohung in der Charta der Hamas ernst nimmt und „Auslöschung Israels“ nicht bereitwillig mit „friedlicher Nachbarschaft“ übersetzt?

Dabei hilft das populäre Klischee von den palästinensischen Opfern und den israelischen Tätern nicht einmal dem vermeintlichen palästinensischen Mündel, das mit rassistischer Überheblichkeit in seiner Opferrolle gehalten und eben nicht ernst genommen wird.

Echte Anteilnahme verlangt Hinsehen und das Aushalten unbequemer Wahrheit. Das Herz mag heftig für die eine oder die andere Seite schlagen, die journalistische Aufgabe aber besteht eben darin, nicht einfach alte Bilder zu wiederholen, sondern neue zu finden, nachzufragen und auf Antworten zu bestehen und diese auch dann zu verbreiten, wenn sie die politische Ruhe stören.  Also aufzuklären und so Zuschauern und Lesern zu einem eigenen, mündigen Urteil zu verhelfen. Genau diesem Ziel fühle ich mich verpflichtet. Danke, dass Sie mich mit dieser Auszeichnung in die Riege der großen Ruhestörer einreihen wollen.

Es ist ehrenvoll, aber eigentlich nichts, was man auszeichnen muss, denn es steht in meinem Arbeitsvertrag. Im Rundfunkgesetz meines Senders, für den ich arbeite, dem Hessischen Rundfunk, und dem ich dankbar bin, dass er mir alle Freiheiten und Luft für diese Arbeit gibt, steht, dass meine „Darbietungen“, so nannte man das damals 1948, als das Gesetz verabschiedet wurde, dass also meine „Darbietungen“ dem „Frieden, der Freiheit und der Völkerverständigung dienen sollen“. Ich tue also nur, was im Gesetz steht.
                                                                                                                                                                                  Aber weil dieser Artikel schon 1948 geschrieben wurde und sich seit dem doch allerhand geändert hat, bleibt leider auch niemandem verborgen, dass, das gesamte Medienangebot betrachtet, einiges ins Rutschen geraten ist seit 1948, und zwar in ziemlich ungebremstem Fall nach unten. Zunehmend führen Filme und Dokumentationen, die ich betreue und die ich auch selbst machen darf, ein Nischendasein.  Sie werden in das quotenunschädliche Programm nach Mitternacht gepackt, weil sie angeblich nicht massenpopulär sind und den Ablauf eines gemütlichen Fernsehabends stören. Dabei ist genau das unsere Aufgabe: Zuschauer dafür zu gewinnen, dass sie sich auch mit sperrigen Themen auseinandersetzen. Oder anders gesagt:  aufzuklären! Stattdessen wird bei „diesen Themen“, ein Desinteresse unserer Zuschauer unterstellt, das wir selbst durch entsprechendes Fast-Food-Fernsehen geschaffen haben. 

Zweifellos schauen mehr Menschen zu, wenn Hansi Hinterseer gute Laune verbreitet als bei einer politischen Dokumentation, aber immerhin hat diese auch zu später Uhrzeit noch bis zu einer Million Zuschauer. Eine Chance zur Aufklärung, die wir nutzen müssen, um z.B. darüber zu informieren, dass hiesige Unternehmen Waren im Wert von rund 3,7 Milliarden Euro in die Islamische Republik Iran exportierten. Das ist neuer Rekord! Der Exportweltmeister Deutschland freut sich über das neue Wirtschaftswunder und macht eifrig Geschäfte mit einem Land, das unverhohlen droht, Israel zu vernichten und sich gerade erfolgreich darum bemüht, mit der Atombombe auch die Mittel zur Realisierung dieser Drohung zu erhalten. Ein Land, in dem Jugendliche wegen Homosexualität hingerichtet und Frauen gesteinigt werden. 100 Städte demonstrierten weltweit gegen die bevorstehende Steinigung von Sakineh Mohammadi Aschtiani, darunter auch die Partnerstädte Tel Aviv und Frankfurt. Doch anders als in Tel Aviv war es in Frankfurt nur ein verlorenes Häuflein, das sich da, kaum beachtet, versammelte. Die meisten waren Exiliraner. Ein Demoaufruf gegen Israel dagegen hätte zweifellos ungleich mehr Menschen auf die Beine gebracht. Warum?

In diesen Tagen wurde das iranische Atomkraftwerk Buschehr mit russischen Brennstäben bestückt. Und neue Drohnen, die sich mit Marschflugkörpern bestücken lassen, haben eine Reichweite von über 3000km. Sie heißen „Angriff“. Ahmadinedschad nennt sie auch „Botschafter des Todes“. Und natürlich lesen sich diese Nachrichten in Tel Aviv anders als in Frankfurt.

Hier aber schweigt die deutsche Friedensbewegung. Warum?

Die Todesstrafe in den USA und in China sorgt zu Recht für Empörung, doch wenn es um die Hinrichtungen der Hamas im Gazastreifen geht, schweigen die Aktivisten. Warum?

Auch die Inhaftierung und Folterung oppositioneller Aktivisten, Homosexueller, Christen und Feministinnen in den palästinensischen Gebieten und in der muslimischen Welt, tut der politische Korrekte lieber bequem ab. Eine Laune der Islamisten, Folklore, Achselzucken. Man will den Mullah nicht vergrätzen, der weltweite Aufruhr wegen ein paar mäßig witzigen Mohammed-Karikaturen steckt allen noch in den Knochen.

Als wir kürzlich ein Portrait des legendären Rudi Carell ausstrahlten, fehlte eine entscheidende Szene aus seiner Karriere, die dazu führte, dass der deutsche Botschafter aus dem Iran ausgewiesen, dass das dortige Goetheinstitut geschlossen und der Flugverkehr nach Teheran unterbrochen wurde. Der Grund: eine Szene von ganzen 6 Sekunden, in der der Showmaster eine Büste des Ayatollah Khomeini mit Dessous beworfen hatte. Haben die Autoren diesen Skandal schlicht vergessen oder hatten sie Angst vor einem neuerlichen Aufruhr? Eins wäre schlimmer als das andere.

Ich will nicht verhehlen, dass mich gerade in den letzten Monaten, vieles an der Politik Israels irritiert. Die jetzt aufgetauchten Feldpostkarten junger israelischer Rekruten mit gefangenen Palästinensern. Der tragische Vorfall vor der Küste Gazas, bei der 10 Menschen durch eine desaströse Aktion des israelischen Militärs so sinnlos ihr Leben verloren. Der unsinnige und politisch dumme Ausbau der Siedlungen in der Westbank. Alles das irritiert mich in hohem Maße, der Triumph des Irrationalen ängstigt mich.

Gleichzeitig verstört mich die Wonne, mit der die Medien Israel vorführen. Da werden Seiten und Sendezeit freigeräumt, um den Schriftsteller Henning Mankell gegen Israel wettern zu lassen wegen des feigen Angriffs auf eine angeblich friedliche Hilfsflotte. Ist Mankell ein Augenzeuge? Nein, sagt er selbst, und poltert weiter. Doch weder er noch die Bundestagsabgeordneten der Linken, die sich ebenfalls unter Deck, brav getrennt nach Mann und Frau, in ihre Kajüten einschließen ließen, während das angebliche Hilfsschiff Kurs auf Gaza nahm, haben auch nur mit einer Silbe Gilad Schalit erwähnt, jenen israelischen Soldaten, der mit nur 19 Jahren entführt wurde und vergangenen Samstag Geburtstag hatte. Der fünfte in der Gefangenschaft der Hamas. Das Schicksal Gilad Schalits findet ganz selten den Weg in unsere Schlagzeilen und treibt auch niemanden auf die Straße. Dabei löste seine Entführung den Krieg gegen Gaza aus und die Verschärfung der israelischen Gaza-Blockade. Die Friedensaktivisten forderten brav die Aufhebung der Blockade von Israel, nicht aber die Freilassung Gilad Schalits von ihren palästinensischen Freunden. Warum?

„Warum die schwarze Antwort des Hasses auf Dein Dasein, Israel?“

Unter Kollegen wird gerne gesagt, die Recherche sei der Tod einer jeden guten Story. Natürlich ist das nur ein Scherz und trotzdem ist etwas Wahres dran. Um eine Geschichte pointiert und zugespitzt im Blatt oder auf dem Sender zu haben, stört die Gegenstimme und wer nur 90 Sekunden für einen Nachrichtenfilm hat, der wird in der Tat nicht alle Aspekte behandeln können, die in einer komplizierten Geschichte aus einer immer komplexeren Welt stecken.

Aber was lässt der Reporter weg und was lässt er durch? In der Regel hat derjenige gute Chancen, mit seinem Anliegen an die breite Öffentlichkeit zu kommen, der am lautesten schreit und die besten Bilder hat. In jedem Konflikt weltweit gilt die Faustregel: Bomben sind besser als runde Tische. Die Newsagenturen liefern das nötige Material, in den Redaktionsstuben wird das „footage“, das angelieferte Filmmaterial, nur noch bearbeitet. Die Quellenlage bleibt in der Hektik des Alltages ungeprüft.

Eines der bekanntesten Beispiele dafür sind die dramatischen Bilder der Erschießung Mohammed al-Durahs im Gazastreifen im September 2000. Doch niemand weiß bis heute, ob der kleine Palästinenserjunge damals tatsächlich erschossen wurde oder ob er heute noch am Leben ist. Bei der spektakulären Beerdigung Mohammed al Durahs jedenfalls wurde ein anderes Kind zu Grabe getragen. Das ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherche der ARD, die sich im Augenblick des Geschehens kein Sender, keine Zeitung, keine Nachrichtenredaktion leisten kann, weder finanziell, schon gar nicht zeitlich, die Bilder müssen raus, man will der erste sein und nicht der letzte.

Derartige Beispiele lassen sich natürlich nicht nur in der Israelberichterstattung finden. Doch kenne ich kein anderes Land, bei dem so viele so schnell bereit sind, Fälschungen zu glauben. Die Solidarität mit Israel ist hierzulande Staatsräson, doch bei kaum einem anderen Thema ist die Kluft zwischen offizieller Politik und Volksmeinung größer – und zwar unabhängig von Parteien, Generationen und Religion. Wenig beruhigend ist dabei, dass Deutschland im schlechtesten Sinne mitten in Europa liegt. Der Deutsche Thilo Sarrazin entdeckt das jüdische Gen und der niederländische EU-Handelskommissar Karel de Gucht moniert Juden als „Rechthaber“, weswegen es „selbst mit einem gemäßigten Juden“ nicht einfach sei „ein rationales Gespräch über das zu führen, was sich im Nahen Osten abspielt.“ Vielleicht, so wäre de Gucht entgegenzuhalten, ist es ja die Erfahrung mit dem Irrationalismus, mit dem tödlichen Hass der Antisemiten, die Juden weltweit gelehrt hat, wie wenig Verlass im Ernstfall auf die Hilfe von außen und wie wichtig es ist, eine eigene Armee zu haben, sich wehren zu können. 

Langfristig aber sichern nicht Waffen das Überleben, sondern nur der Frieden. Und so hoffe ich, dass alle jene irren, die die gerade begonnen neuen Nahostverhandlungen schon jetzt für gescheitert halten. Europa mit seiner Jahrhunderte langen Blutgeschichte hat wenig Grund, ungeduldig zu werden, weil der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nach gut 60 Jahren noch immer nicht gelöst ist. Weniger Urteil, mehr Wissen. Weniger Vorurteil, mehr Aufklärung.  Das wünsche ich mir. Ganz in der Tradition des Namensgebers dieses Preises, ganz im Sinne Theodor Lessings, der mit Hingabe Gras mähte und so die Ruhe störte. Lassen Sie uns also weiter gemeinsam Gras mähen. Ein guter Vorsatz für das neue Jahr: in diesem Sinne uns allen: Shana Tova!

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