Vom Kritiker zum Gedankenverbrecher

Von Aljoscha Harmsen.

Wer heute öffentlich etwas sagt oder schreibt, muss scharf überlegen, welche Worte angemessen sind. Schon eine kleine Fehlformulierung kann dazu führen, dass die eigentliche Mitteilung ein Kollateralschaden der hypersensiblen Diskurskorrektur wird. Es hat sich dadurch eine Angst vor Begriffen entwickelt. Sie gipfelt darin, dass Kritiker wahlweise Hass und Hetze verbreiten oder Verschwörungstheoretiker seien, während diese ihre Opponenten der Political Correctness bezichtigen. So beißen sie sich aneinander die Zähne aus und ersetzen die Sachdiskussion durch Haltungsfragen.

Spricht sich die eine Seite zum Beispiel für eine relative Homogenität der Bevölkerung aus, bedient sie sich eines toxischen Vokabulars. Die Gegenseite disqualifiziert den Begriff als Angst vor Fremden und pathologisiert damit diese Diskursposition. Es geht nicht mehr um das Problem, sondern um das Vokabular. Manchmal geht der Gegner so weit und findet es gleich rassistisch, überhaupt einen solchen Gedanken zu haben. In der Folge ist diese konkrete Besorgnis nicht mehr diskursfähig. Der Gegenstand der Diskussion wird unantastbar und ihr Kritiker zum Unberührbaren.

Mit diesem Vorgehen gibt der diskursive Opponent eine zu teilende Haltung für das Publikum vor, statt das eigentliche Problem zu besprechen. Der Kritiker wird zum Gedankenverbrecher stilisiert. Er ist nun rhetorisch vorbestraft und verliert das Recht, Begriffe anders zu meinen, als sein Gegner ihm das zugesteht.

Sprachliche Politisierung ins Extreme

Ähnlich verhält es sich bei „Geflüchteten“. Eine Seite erklärt deren Aufnahme zur unantastbaren Menschenpflicht und zur gerechten Sache. Wer sie unterlasse, handele wider die Menschenwürde. Doch was, wenn ein Staat auf seine eigenen Interessen hinweist und Grenzen für die Aufnahme setzt? Macht ihn das unmenschlich? Dieses Spannungsverhältnis zeigt, dass Moral nicht als alleiniges Entscheidungsmerkmal für staatliches Handeln taugt. Die zwanghafte Verkürzung auf ein moralisches Problem anstelle einer Abwägung von staatlichen Interessen gegenüber humanitären Pflichten zeigt, welchen Schaden verclusterte Sprache anrichtet. Die Wortwahl überlagert schon die Sachebene: Wer von „Geflüchteten“ spricht, triggert seine Kritiker, die hier lieber „Flüchtlinge“ oder „Migranten“ hören würden. Anstatt darüber hinwegzusehen und zur Sache zu sprechen, verweist der Empörte auf die Political Correctness (PC), das Wort „Snowflake“ fällt und die Standpunkte zementieren sich.

Die diskursiven Gegner beurteilen einander sprachmoralisch und nicht mit Hinblick auf die Güte des Einwands. Verstärkt wird dies durch die sprachliche Politisierung ins Extreme. Bezichtigungen wie „Rassist“ und „Snowflake“ lassen keinen Spielraum für Kompromisse. Sie sind als Kampfbegriffe Ausdruck einer abgeschlossenen Meinungsbildung.

Die Sprache wird in Geiselhaft genommen und mit ihrer Hilfe der Opponent zum Feind hingedichtet. In der Folge ist kein Begriff mehr sagbar, ohne dass der Sprecher sich einem der verfeindeten Lager zugehörig verwortet. Mit Gegnern lässt sich reden, Feinde muss man bekämpfen.

Wir verschieben die Bedeutung von „demokratisch“

Die Kategorien haben sich von sachlich „richtig“ und „falsch“ zu moralisch „gut“ und „böse“ verschoben und das entwickelt eine eigene Dynamik. Der Lebensraum unverdächtigen Denkens wird immer kleiner. Jetzt bestimmen Gesinnungsfundamentalisten, welchen Kontext Begriffe haben dürfen, wer sie benutzen darf und wie sie angemessen verwendet werden. Hier kommt Orwell ins Spiel. In seiner Dystopie „1984“ hat er „Neusprech“ erfunden. Eine politische Sprache, die derart umgestaltet wird, dass sie das Denken verändert. Ein Mittel dabei ist die Präfigierung. Neusprech enthält keine genuinen Gegenbegriffe mehr. Das Gegenteil von „gut“ ist „ungut“, die Steigerung von „gut“ ist nicht „besser“, sondern „plusgut“.

Besonders anschaulich wird dieses Verfahren bei den Begriffen „demokratisch“ und „undemokratisch“, wie sie im deutschen Parlamentarismus derzeit als Kampfbegriffe verwendet werden. Zunächst nehmen wir dem Begriff „demokratisch“ sämtliche Antonyme weg. Es gibt die Zugehörigen zum Lager der Demokraten und die Feinde der Demokratie. Nun verschieben wir die Bedeutung von „demokratisch“. Es bezeichnet nicht mehr den Prozess der Willensbildung durch Mehrheiten, sondern bedeutet, dass jemand die Menschenwürde und -rechte verteidigt, nach Frieden strebt sowie edel, hilfreich und gut, also die beste aller Daseinsformen, sei. Diese Begriffe gehören jetzt zum Cluster „demokratisch“. Da wir keine abgestuften Antonyme mehr kennen, gibt es nur noch den präfigierten Gegenbegriff „undemokratisch“, der für das exakte Gegenteil des bestmöglichen Menschen steht. Dieser Mensch kann niemand sein wollen. „Undemokratisch“ ist von einer Prozessbeschreibung zu einer Haltungsbeschreibung verschoben worden.

Es werden Begriffe politisch-ideologisch geclustert, die in einer liberalen Gesellschaft frei verfügbar sein müssen. Solche versteinerten Begriffsgruppen werfen einen Orwellschen Schatten voraus, der umso größer wird, je niedriger die Sonne der Kultur steht. Damit sie wieder steigt, müssen Feinde wieder zu Gegnern werden. Damit helfen sie vor allem der Sache, denn wer seinen diskursiven Gegner davor schützt, zum Feind stilisiert zu werden, schützt auch den Diskurs.

Aljoscha Harmsen studierte Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften und arbeitet als Redakteur und als freier Autor u.a. für die Neue Züricher Zeitung 

Foto: United States Bureau of Prisons capone via Wikimedia Commons

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Paul J. Meier / 22.05.2020

Diese diskursiven Immunisierungsstrategien, welche a priori jede sachliche Auseinandersetzung nicht nur im Keim ersticken, sondern gleich unmöglich machen, benutzen bezeichnenderweise gerade solche Leute gerne, die sich Moral auf die Fahnen geschrieben haben. Diskurse sind aber ohnehin keine Wirklichkeit, sind Denkkonstrukte. Nehmen wir den konkreten Fall vor einige Tagen in Duisburg-Marxloh oder überhaupt diese Situation dort. Da wohnen einige Leute, welche von diesen Moralisten beschützt werden, die diesen selbst aber ganz offenkundig feindlich und ablehnend gegenüberstehen. Statt sich mit solche Fakten auseinanderzusetzen, greift man die Kritiker dieser an. Kant hat in seiner Moralphilosophie diese bekanntlich sehr differenziert aufgearbeitet und dabei auch die Folgen einer “guten Tat” analysiert oder den befriedigten Egoismus, welcher z.B. im Helfersyndrom zum tragen kommt oder einzig einem Gott zu gefallen. Aber das sprengt natürlich diesen Rahmen. Von dogmatisch-kategorischen Aussagen ist es dann nur noch ein Schritt hin, diese Aussagen in normative Form zu kleiden. Wir kennen das aus der Wissenschaft, wo soziologische Normen aus Ideologien entwickelt werden und entgegengesetzte mathematisch-logisch. Wenn es eindimensionale Normen für das Denken gibt, muss es auch solche für das Handeln geben und genau darin versinkt der offene Horizont, welcher für Theorie und Praxis wichtig ist!

Belo Zibé / 22.05.2020

Herr Klaus Rocholl hat den ersten Gedanken, der mir beim Lesen des Artikels in den Sinn kam, bestens zusammengefasst.

Ricardo Sanchis / 22.05.2020

@Horngacher Ein selbsternannter “Gutmensch” ist kein guter Mensch sondern jemand mit manichäischen Weltbild in dem er sich selber zum Guten und alle anderen zum Bösen erklärt.

Wolfgang Kaufmann / 22.05.2020

Argumente abzuwägen scheitert oft am IQ. Gegen Wortwahl oder Personen reicht der dB-Wert.

Claudius Pappe / 22.05.2020

So geht Framing heute: Strategiepapier für Demokratie eines NRW SPD Bürgermeisters ” So können wir Hand in Hand Antidemokraten die Stirn zu bieten. Die verschiedenen Aktivitäten und Initiativen für Demokratie der Stadtgesellschaft sollten miteinander vernetzt und es sollten neue Aktionsformen entwickelt werden. Dazu wäre es sinnvoll, interessierte Akteure einzuladen, um ein Strategiepapier für Demokratie zu entwickeln. Es gehrt darum, sich gegen Diskriminierung, Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit zu stemmen. Dafür muss uns allen jedes demokratische Mittel recht sein. Ich weiß, dass wir auf einem guten Weg sind. Das darf uns aber nie daran hindern, für die Werte unserer Demokratie zu arbeiten.” SPD und Demokratie ? Warum denke ich da an Thüringen ? Was sind Antidemokraten ? Regierungskritiker ? Menschen die die Einhaltung von Gesetzen fordern ? Menschen die das Grundgesetz achten ?

Hermine Mut / 22.05.2020

@ Frank Horngacher : unter “Gutmensch” verstehe ich Menschen, die ( zumindest wohl sehr viele von ihnen ) es gut meinen, aber nicht sehen (wollen), dass ihr “Gutes” leider sehr viel mehr Schlechtes und Destruktives hervorbringt/ schafft , als sie sich vorstellen wollenkönnen . (“Der Geist, der stets das Gute will und stets das Böse schafft…”, oder so. teuflisch halt, auch wenn viele naiv = gutgläubig sind.)  Was soll denn z.B. am “Recht auf globale Migration” (regulated and orderly ?) so viel besser sein, als es ein Recht auf Heimat bzw. das Recht, in seinem Herkunftsland leben zu können ,wäre ?  Und BITTE, verraten Sie uns, woran Sie “Hass, Hetze, Verleumdungen, Beleidigungen und Rassismus derer festmachen, die sie offenbar nicht so “gut” finden .

Karl Napp / 22.05.2020

Orwells großer Bruder beobachtet eben scharf was abgeht. Er und die Seinen fahren auf Sicht; ich vermute, das Prinzip heißt learning by doing.

Helmut W. Hoffmann / 22.05.2020

Es ist schlimm, was sich hier in D auf allen Gebieten des Zusammenlebens breit gemacht hat - eine Katastrophe, die sich vielleicht nicht mehr eindämmen läßt. Ich verorte dies besonders an der staalichen Führung und den ihr hörigen Medien, die einer Person der ehemaligen DDR hinterher laufen. Daher hoffe ich, daß noch viel mehr kritischer Artikel wie es dieser sehr gute Beitrag darstellt, geschrieben und auch in der überregionalen Presse veröffentlicht werden - auf das glorreiche Staatsfernsehen dürfen wir nicht hoffen. Ich bin 77 Jahre alt und mich wird die langfristige Zukunft meines Heimatlandes nicht mehr belasten, daher können mich die moralisierenden Eliten samt dem politischen Schrotthaufen, der zurzeit noch das Sagen hat, mal kreuz und quer an der Mäse bölken.

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