Ganz bestimmte Fragen in der Klimadebatte sind ganz besonders umstritten. Die Argumente sind von beiden Seiten bekannt, werden wie Bälle hin und her geschoben. Zum Beispiel beim Meereis. In der Arktis hat es sich in den letzten Jahrzehnten zurückgezogen, in der Antarktis nicht, da ging es eher in die Gegenrichtung. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass die Eisfläche rund um den Nordpol in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gewachsen sei (was davor passierte, ist weitgehend unbekannt, aber darum soll es hier nicht gehen).
Die Symbole, die Reizworte sind bekannt: Eisbären, Gletscher, trockene Böden, Waldbrände, Extremwetter, aber auch Erwärmungspause, Climategate, der Flop der Hockeyschlägerkurve, falscher Alarm im Himalaja und so weiter und so weiter.
Und dann kommt immer wieder der Meeresspiegelanstieg ins Spiel. Am liebsten wird er mit untergehenden Südseeinseln bebildert, und dabei taucht dann immer wieder ein Land auf, das ganz besonders gefährdet sei: Kiribati, weit abgelegen irgendwo zwischen Neuguinea und Hawaii, besonders flaches Land, Inseln, die kaum höher als zwei Meter aus dem Pazifik herausragen.
Jetzt wieder, heute in der Süddeutschen Zeitung auf der Titelseite ein längerer Beitrag: Ein Mann aus Kiribati, der viele Jahre mit seiner Familie in Neuseeland lebte, wo seine drei Kinder geboren wurden, will nicht wieder zurück, obwohl seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist. Er beantragt für sich und seine Lieben Asyl. Die Begründung: Er könne nicht mehr in Kiribati leben, weil die Inseln untergingen.
Ein Klimaflüchtling beantragt Asyl, „Verfolgt von der Natur“ titelt die Süddeutsche Zeitung, eine Natur, die sich nun offenbar endlich mal rächt, nur an den Falschen. Ein gefundenes Fressen für das Blatt und viele andere vor allem im englischsprachigen Raum, die allesamt sehnsuchtsvoll neue Marksteine im Klimawandel und seinen Folgen suchen, neue Etappen, neue Qualitäten, neue Stufen in der Dramatik. Kiribati, natürlich, das hört sich sowieso an wie Atlantis und die Titanic zusammen. Immer wieder Kiribati, weltweit einschlägig bekannt.
Es ist schon frappierend, wie ausgerechnet ein solcher Inselstaat für den Untergang in den Medien herhalten muss, für den die Wissenschaft genau das Gegenteil ermittelt hat: Die Fläche einer ganzen Reihe von Südseeinseln ist in den letzten sechs Jahrzehnten sehr deutlich größer geworden, und dies gilt ganz besonders für Kiribati, und da nochmal noch „besonderer“ für Tarawa, ein Atoll-Abschnitt, von dem ein Haus jetzt in einigen Blättern in Szene gesetzt wird, weil es so pittoresk nahe am Wasser steht. Leider ist in den Berichten nirgendwo erwähnt, von welchem Atoll Kiribatis der Kläger, Ioane Teitiota, stammt. Womöglich spielt dies auch keine Rolle, weil die Familie sowieso viele Jahre schon in Neuseeland lebt. Tatsache bleibt dennoch, dass die Atollinseln jenes Staates nicht im Meer versinken sondern ganz im Gegenteil wachsen.
Ich gönne der Familie Teitiota ein Leben in ihrer Wahlheimat, wo sie ja offenbar schon länger arbeitet. Was aber nicht angeht, ist, den Fall für den Beweis von Klimawandel und Klimafolgen in Szene zu setzen. Ohnehin zeichnet sich nirgends ab (nicht mal in Bangladesch), dass der Meeresspiegelanstieg bereits größeren Landraub begangen hat, abgesehen von der Versalzung des Trinkwassers, das allerdings auch seit Jahrhunderten registriert und berichtet wird. Es stellt sich aber doch sehr deutlich die Frage, warum als Symbol für den Weltuntergang immer wieder ein Inselstaat herhalten muss, der ganz und gar nicht untergehen will sondern eher aus den Fluten emporsteigt. Und warum man sich nicht wenigstens einen Inselstaat bei dieser Diskussion heraussucht, von dem zumindest nicht erwiesen ist, dass seine Inseln in den letzten Jahrzehnten größer geworden sind. Eine Antwort fiele mir ein: Es interessiert einfach niemand, jeder betet das nach, was sich ihm als Untergangsszenario anbietet. Fragen? Wieso? Wer will denn etwas anderes hören, wir sind uns doch einig.
Seit dem Kriegsende stellt sich das Migrationsproblem im pazifischen Raum. Polynesier und Mikronesier wollen nach Australien und Neuseeland ziehen. Der Grund: Ein äußerst starkes Bevölkerungswachstum auf den kleinen Inseln, und der daraus resultierende Rückgang der Ressourcen, Verknappung des landwirtschaftlichen Bodens. Insbesondere das Trinkwasser wird knapp. Die kargen Böden der Atolle geben – ganz im Gegensatz zu unserem romantischen Südseebild – nicht genug her, die Tragfähigkeit der kleinen, sehr, sehr schmalen Landstreifen ist überreizt. Das hat mit Klimawandel und Meeresspiegelanstieg nichts zu tun, jedenfalls noch nicht und es zeichnet sich auch wenig ab in dieser Richtung, was wirklich handfest zu belegen wäre.
Es geht um Geld, um Hilfspakete, um Land in Australien und Neuseeland. Deshalb hat sich die AOSIS (Alliance of Small Island States) gegründet, um berechtigterweise für ihre drängenden Interessen bei internationalen Konferenzen zu werben. Aus ihrer Sicht auch verständlich, dass sie das Klima ins Spiel bringen, weil dieses Argument mehr Hilfsgelder locker machen könnte. Unlauter ist es aber, dass all das hierzulande wiederum als Beweis für den dramatischen Meeresspiegelanstieg herangezogen wird, unhinterfragt.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT