Lange Zeit war es ein Problem, dass die Mehrheit unserer Gesellschaft zu arm war. Heute fürchten sich viele davor, dass einige Menschen zu reich werden könnten. Aber sind wohlhabende Menschen wirklich furchteinflößender als arme? Ich finde, bis auf Typen wie Ernst August Prinz von Hannover eigentlich nicht.
Doch je besser es uns geht, desto mehr nehmen Reichen-Bashing und wachstumskritische Ideen zu. Meine Nachbarin hat bei ihrem letzten Amerika Urlaub sogar demonstrativ Starbucks boykottiert, um ein Zeichen gegen „blinden Wachstum und Kapitalismus“ zu setzen. Ich befürchte, davon wird sich der Konzern nur ganz schwer erholen. „Die Menschen in Kuba oder Brasilien besitzen viel weniger, aber sind trotzdem so unglaublich lebensfroh …“ schwärmt sie. Was möglicherweise daran liegen könnte, dass dort die Praxis des Klebstoffschnüffelns sehr weit verbreitet ist.
Statt vor Freude in die Hände zu klatschen, dass Deutschlands Unternehmen trotz Euro-Krise Rekordumsätze machen, prangert meine Nachbarin rücksichtloses Gewinnstreben an und fordert im Gegenzug Steuererhöhungen und staatliche Umverteilung. Und mit ihr sämtliche Gewerkschaften, Kirchenverbände und Parteien. Eine brillante Idee, keine Frage. Hat doch der Staat in den letzten Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen, wie verantwortungsvoll er mit Geld umgehen kann. Von den 49 Milliarden Euro, die Bund und Kommunen 2010 für Hartz IV Empfänger ausgegeben haben, kamen nur knapp 24 Milliarden direkt bei den Betroffenen an. Über die Hälfte des Geldes versickerte in der Bürokratie oder ging an Rechtsanwälte oder Wohlfahrtsprojekte.
Wenn der Staat Geld in die Finger bekommt, sieht das Ergebnis meist ähnlich gut aus wie das Tellerchen einer Klofrau: Ein kleiner Teil der Bevölkerung legt viel aufs Tellerchen und findet beschissene Verhältnisse vor. Der restliche Teil legt wenig oder nichts aufs Tellerchen und findet ebenfalls beschissene Verhältnisse vor. Ein paar wenige Verantwortliche kassieren das meiste ab und leben davon, dass sich nichts am System ändert.
Vor einigen Jahren machte ein Professor aus Tübingen dazu ein erhellendes Experiment. Er lud seine Studenten in ein Restaurant ein, zahlte die Getränke und sagte: „Essen zahlt jeder selbst.“ Daraufhin nahm die Mehrheit das preiswerteste Gericht. Ein paar Wochen später wiederholte er das Ganze - nur mit einem entscheidenden Unterschied: Jetzt legte er das Essen auf alle um. Und plötzlich bestellten seine Studenten die teuersten Gerichte. Irgendwie logisch. Denn warum soll man sich zurückhalten, wenn die Last auf die Gemeinschaft verteilt wird. Das ist ein Hauptgrund, weshalb unser Wohlfahrtsstaat scheitert.
Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Staatliche Umverteilung ist im Kern ja durchaus eine gute Idee. Aber das ist „freie Liebe“ auch. Und jeder, der sie schon einmal ausprobiert hat, weiß, welche Probleme daraus entstehen.
Jahrzehntelang haben wir Politiker gewählt, die uns Renten und Sozialleistungen versprechen, die auf Dauer nicht finanzierbar sind. Und wenn das ganze System dann nicht mehr funktioniert, gehen wir auf die Straße und geben Josef Ackermann die Schuld.
Es wird ja immer gesagt, dass der real existierende Sozialismus untergegangen ist, weil die Staatsführung der DDR konsequent die Realität ausgeblendet hat. Vielleicht geht ja unsere Demokratie zugrunde, weil das gesamte Volk die Realität ausblendet.
© Vince Ebert